Versichertes Interesse
Versicherungswert.
1. Begriff: Vermögensschaden (in betriebswirtschaftlicher Terminologie zutreffender: wirtschaftlicher Schaden), der dem Versicherungsnehmer oder dem Versicherten durch den Versicherungsfall entstehen kann. Begriff aus der Schadenversicherung.
2. Hintergründe: In der Schadenversicherung ersetzt das Versicherungsunternehmen den durch den Versicherungsfall verursachten Vermögensschaden. Dieser Schaden muss dem Versicherungsnehmer und/oder – in der Versicherung für fremde Rechnung – dem Versicherten als Träger des versicherten Interesses entstanden sein. Er kann auf unterschiedliche Weise eintreten: a) Verlust, Verminderung, Beschädigung, Wertlosigkeit bereits vorhandener Vermögensbestandteile (insbesondere in der Sachversicherung, siehe auch Aktivenversicherung).
b) Ausfall erwarteter Einnahmen, Erträge, Erlöse oder Gewinne (z.B. Betriebsunterbrechungsversicherung, Kreditversicherung).
c) Entstehung unerwarteter Ausgaben, Aufwendungen, Kosten oder Schuldpositionen (z.B. in der Haftpflichtversicherung, siehe auch Passivenversicherung).
3. Eingrenzung auf den versicherten Schaden: Der Begriff des Vermögensschadens ist zu weit und unscharf. Nur der versicherte Vermögensschaden wird nach Maßgabe des Versicherungsvertrags ersetzt, es werden aber nicht alle aus dem Versicherungsfall folgenden Vermögensschäden beglichen. Der versicherte Schaden führt dann z.B. in der Aktivenversicherung zum Versicherungswert (§ 74 I VVG: Wert des versicherten Interesses). Dieser ergibt sich aus dem Vertrag oder für die Sachversicherung aufgrund der Auslegungsregel gem. § 88 VVG. Der Versicherungswert ist für den Umfang des Versicherungsschutzes maßgeblich (§ 88 VVG) und entwickelt insoweit seine leistungsbegrenzende Funktion; zudem ist der Versicherungsschutz durch die Versicherungssumme begrenzt. Das Verhältnis zwischen Versicherungswert und Versicherungssumme ist wiederum Anküpfungspunkt für eine etwaige Überversicherung (§ 74 VVG) bzw. Unterversicherung (§ 75 VVG). In der Passivenversicherung fehlt der Begriff des Versicherungswerts, denn jede weitere Schuldposition belastet den Versicherungsnehmer bzw. Versicherten. Den Vermögensschaden muss das Versicherungsunternehmen in der Passivenversicherung im Rahmen des versicherten Risikos bis zur Deckungssumme ausgleichen.
4. Versichertes Interesse in der Sachversicherung: An einer Sache können verschiedene Interessen nicht nur des Eigentümers, sondern mehrerer Personen bestehen. Der Versicherungsfall führt zu unterschiedlichen Schadensfolgen bei den einzelnen „Interessenten“. Die Zerstörung oder Beschädigung eines Gebäudes stellen zunächst einen Schaden des Eigentümers dar (Sachsubstanzschaden). Bei einem vermieteten Gebäude entsteht darüber hinaus ein Mietausfall beim Vermieter bzw. Eigentümer, möglicherweise auch ein Nutzungsausfall beim Mieter bzw. Pächter. Darüber hinaus werden Grundpfandrechtsgläubiger vom Versicherungsfall betroffen, weil das Grundstück die Forderungen nicht mehr ausreichend sichert (Kredit- oder Sicherungsinteresse). Eine entsprechende Interessenlage wie bei Grundpfandrechten ergibt sich bei beweglichen Sachen, die für ein Kreditinteresse unter Eigentumsvorbehalt oder Sicherungsübereignung stehen. Der Verlust, die Zerstörung oder Beschädigung der in Reparatur gegebenen Sachen während der Reparaturzeit sind zunächst wiederum Schäden für den Eigentümer (Sachsubstanzschaden), möglichweise aber auch für einen Dritten, der die Sachen nutzt (Sachersatzinteresse). In gleicher Weise führt die Zerstörung oder Beschädigung der Mietsache (Gebäude, Maschine, Kraftfahrzeug) zu einem Substanzschaden zulasten des Vermieters bzw. Eigentümers, kann aber zugleich ein Schaden eines ersatzpflichtigen Mieters sein (Sachersatzinteresse). Vermögensschäden können durch Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung eigener oder fremder Sachen entstehen. Es muss daher im Versicherungsvertrag festgelegt werden, welche Person gegen welche Schäden versichert ist. a) Versichertes Interesse an eigenen Sachen: Das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) geht davon aus, dass der Versicherungsnehmer selbst gegen Beeinträchtigungen vorhandener Vermögenswerte versichert ist. Dafür steht der Grundsatz der Versicherung für eigene Rechte nach § 43 III VVG, der jedoch nur eine schwache Vermutung enthält. Der Eigentümer erleidet einen Vermögensschaden in Höhe des Sachwerts, wenn ihm die Sache nicht mehr zur Verfügung steht. Er trägt die Gefahr von Verlust, Zerstörung und Beschädigung. Das schließt jedoch nicht aus, dass die Interessen weiterer Personen in die Versicherung des Eigentümers eingeschlossen werden. So werden die Grundpfandrechtsgläubiger durch §§ 1127–1130 BGB geschützt; denn danach erstreckt sich das Grundpfandrecht nicht nur auf das Grundstück selbst, sondern auch auf die Versicherungsforderung des Eigentümers bzw. Versicherungsnehmers gegen das Versicherungsunternehmen. Der Grundpfandrechtsgläubiger hat zwar keinen unmittelbaren Anspruch gegen das Versicherungsunternehmen, aber er ist mittelbar dadurch gesichert, dass sein Pfandrecht auf die Entschädigungsforderung erstreckt wird. Der weitergehende Schutz der Grundpfandrechtsgläubiger gegenüber Leistungsfreiheitsgründen aus der Person des Versicherungsnehmers (§ 102 I VVG a.F.) wurde zwar im neuen VVG nicht fortgeführt, kann allerdings durch Vereinbarung erreicht werden. Bei Veräußerung der versicherten Sache (Eigentumswechsel) wird von der Mitversicherung des gefahrtragenden Käufers vor Vollendung des Eigentumsübergangs in der vom Verkäufer abgeschlossenen Versicherung ausgegangen. Eine vollständige Sicherung folgt daraus nicht für den Käufer, da Leistungsfreiheitsgründe aus der Person des Verkäufers auch gegen den Käufer wirken (§ 47 I VVG). Der – i.d.R. mit dem Eigentümer vereinbarte – Abschluss eines Versicherungsvertrags durch einen Dritten wird als Versicherung für fremde Rechnung zugunsten des Eigentümers verstanden. Das gilt für Mieter, Leasingnehmer, Käufer unter Eigentumsvorbehalt oder den Sicherungsgeber bei der Sicherungsübereignung. Gegen die Abhängigkeit des Eigentümers von der Leistungsfreiheit des Versicherungsunternehmens aus der Person des Versicherungsnehmers hilft dann allerdings nur ein Einwendungsverzicht des Versicherungsunternehmens, d.h. ein Ausschluss von § 47 I VVG.
b) Versichertes Interesse an fremden Sachen: Pfandrechtsgläubiger können ihr Kreditinteresse durch eine Versicherung der mit dem Pfandrecht belasteten Sache für eigene Rechnung decken, womit nur ihr eigenes, durch die Sache vermitteltes Kreditinteresse unter Versicherungsschutz gebracht wird, nicht aber das Sachsubstanzinteresse des Eigentümers (vgl. für Grundpfandgläubiger § 105 VVG a.F.: Hypothekeninteresseversicherung). Schließt der gefahrtragende Grundstückskäufer den Versicherungsvertrag, endet die etwaige Mitversicherung des Verkäufers bzw. Eigentümers mit der Erfüllung der Kaufpreiszahlung oder deren Sicherung durch Zahlung auf ein Notaranderkonto. Der Ertragsausfall des Mieters bzw. Pächters bei Beschädigung oder Zerstörung des Gebäudes lässt sich nur durch eine eigenständige Betriebsunterbrechungsversicherung, nicht durch eine Sachversicherung abdecken. Wird der Vertrag über die versicherte Sache vom Mieter, Leasingnehmer, Käufer unter Eigentumsvorbehalt oder Sicherungsgeber bei einer Sicherungsübereignung (vgl. 4 a) als Versicherungsnehmer abgeschlossen, ist davon auszugehen, dass dessen Sacherhaltungsinteresse oder Sachersatzinteresse eingeschlossen wird. Das Gleiche gilt für Kundenversicherungen, die von obhutspflichtigen Personen über die in ihrem Besitz befindlichen fremden Sachen genommen werden: Versichert ist im Wege der Versicherung für fremde Rechnung das Eigentum des Kunden (Sachsubstanzinteresse) sowie das Sachersatzinteresse des Versicherungsnehmers.
5. Regelungen im Versicherungsvertrag oder (ergänzende) Auslegungen: Versicherungsbedingungen, Klauseln und Einzelverträge regeln oft nur unvollständig, wessen Interessen versichert sind. Ausgangspunkt ist das Eigentum als versichertes Interesse des Versicherungsnehmers oder des Versicherten in der Versicherung für fremde Rechnung. Ob weitere Interessen eingeschlossen werden, wie z.B. das Sachersatzinteresse oder Kreditinteressen, ist Auslegungsfrage. Die Antwort entscheidet, ob und wie diese weitergehenden Interessen durch den Versicherungsvertrag geschützt werden oder ob das Versicherungsunternehmen Regress nehmen kann. Fremdeigentumsklauseln (z.B. über die Mitversicherung von Arbeitnehmer- oder Kundeneigentum, in der Handels- und Handwerksversicherung für Kundenfahrzeuge) führen zu einer Versicherung für fremde Rechnung des Eigentümers. Die Mitversicherung des Sachersatzinteresses auf Seiten des Versicherungsnehmers ist durch Auslegung zu erzielen (vgl. 4b). Hinsichtlich des Sachersatzes fehlen weitgehend ausdrückliche Regelungen, so dass nur die (ergänzende) Auslegung helfen kann. Das Sachersatzinteresse bedeutet das Risiko, gegenüber dem Eigentümer ersatzpflichtig zu werden. Es handelt sich daher um ein Haftpflichtinteresse, also ein Passiveninteresse, das gleichwohl in einer Sachversicherung nach deren Grundsätzen gedeckt werden kann. Diese Einbeziehung des Sachersatzinteresses in die Sachversicherung kann auf zwei Wegen erreicht werden: Entweder durch echte Mitversicherung im Wege der Versicherung für fremde Rechnung oder in abgeschwächter Form durch Regressverzicht des Versicherungsunternehmens gegenüber dem Ersatzpflichtigen. Eine ausdrückliche Regelung in Form des Regressverzichts enthält die Kfz-Kaskoversicherung in A.2.15 AKB 2008 bzw. A.2.8 AKB 2015: Das Versicherungsunternehmen verzichtet auf den Regress gegen den berechtigten Fahrer, der den Schaden am Fahrzeug schuldlos oder nur einfach fahrlässig herbeigeführt hat. Ähnliche Wirkungen folgen aus dem Regressverzichtsabkommen der Feuerversicherer, wonach das Versicherungsunternehmen des Geschädigten keinen Regress gegen den Schädiger nehmen wird, falls dieser selbst feuerversichert ist und aus dieser Versicherung Leistungen erhalten hat. In Richtung des Regressverzichts hat die Rechtsprechung auch den sog. Mieterregress entwickelt. In ergänzender Vertragsauslegung sei dem Versicherungsvertrag zwischen dem Gebäudeeigentümer bzw. Versicherungsnehmer und dem Gebäudeversicherer zu entnehmen, dass der Regress mit Hilfe der auf das Versicherungsunternehmen übergegangenen Schadensersatzansprüche des Gebäudeeigentümers bzw. Versicherungsnehmers bei nur einfacher Fahrlässigkeit des Mieters ausgeschlossen ist. Dieser Regressverzicht gilt auch dann, wenn der Mieter gegen Mietsachschäden durch eine eigene Haftpflichtversicherung geschützt ist. In diesem Fall kommt es zwischen Gebäude- und Haftpflichtversicherer zu einem i.d.R. hälftigen Ausgleich des Zeitwertschadens unter entsprechender Anwendung der Regeln für die Mehrfachversicherung. Nicht den Regressverzicht, sondern die Mitversicherung des Sachersatzinteresses hat die Rechtsprechung bei der Kaskoversicherung des von einer Kommanditgesellschaft versicherten Kraftfahrzeugs eingesetzt. Das Sachsubstanzinteresse (Sacherhaltungsinteresse) wird der Kommanditgesellschaft als rechtsfähiger Personengesellschaft zugeordnet, während das Sachersatzinteresse des Gesellschafters und Geschäftsführers mit Hilfe der Versicherung für fremde Rechnung eingeschlossen ist. Von dieser Grundlage ist auch dann auszugehen, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsvertrag zugunsten des Eigentümers abgeschlossen hat; sein eigenes Sachersatzinteresse ist in diesem Vertrag mitversichert.
6. Fehlen bzw. Wegfall des versicherten Interesses: Fehlt das versicherte Interesse beim Versicherungsnehmer oder Versicherten, ist der Versicherungsnehmer nicht zur Prämienzahlung verpflichtet; das Versicherungsunternehmen kann nur eine Geschäftsgebühr verlangen (§ 80 I VVG). In der Sachversicherung ist das kein praktischer Fall, falls die versicherte Sache überhaupt existiert. Werden individuell gekennzeichnete Sachen versichert, kommt es auf die Eigentumslage, die Zuordnung auf die Person des Versicherungsnehmers, entgegen § 43 III VVG nicht an. Versichert der Versicherungsnehmer Gebäude, Maschinen oder Kraftfahrzeuge, die im Eigentum eines Dritten stehen, ergibt sich aus den Umständen eine Versicherung für fremde Rechnung zugunsten des Dritten hinsichtlich seines Sachsubstanzinteresses als Eigentümer. Die Veräußerung der versicherten Sache führt nicht zum Wegfall des versicherten Interesses beim Versicherungsnehmer, sondern zum Übergang des Versicherungsvertrags auf den Erwerber (siehe auch Eigentumswechsel).
Autor(en): Prof. Dr. Roland Michael Beckmann, Professor Dr. Helmut Schirmer