Kündigungsrechte des Versicherungsnehmers und des Versicherers
1. Begriff: Rechte auf eine einseitige, gestaltende, empfangsbedürftige Erklärung zur Beendigung des Versicherungsverhältnisses für die Zukunft. Die Kündigung hat im Gegensatz zur Anfechtung und zum Rücktritt keine Rückwirkung für die Vergangenheit.
2. Arten der Kündigung (Überblick): Zu unterscheiden sind die ordentliche und die außerordentliche Kündigung. Die ordentliche Kündigung setzt im Gegensatz zur außerordentlichen Kündigung keinen Kündigungsgrund voraus, kann dagegen i.d.R. nur unter Einhaltung einer Kündigungsfrist erklärt werden.
3. Ordentliche Kündigung von Versicherungsverhältnissen: Versicherungsverhältnisse auf unbestimmte Zeit können ordentlich gekündigt werden. Dagegen ist bei befristeten, auf bestimmte Dauer abgeschlossenen Versicherungsverträgen die ordentliche Kündigung ausgeschlossen, insoweit kommt nur das gesetzliche Kündigungsrecht nach § 11 IV VVG zum Ablauf des dritten oder jedes folgenden Versicherungsjahres in Betracht (Vertragslaufzeiten). Die ordentliche Kündigung eines auf unbestimmte Zeit laufenden Versicherungsverhältnisses kann von beiden Seiten nur für den Schluss der laufenden Versicherungsperiode erklärt werden (§ 11 II S. 1 VVG). Die Kündigungsfrist muss für beide Vertragsparteien gleich sein; sie darf nicht weniger als einen Monat und nicht mehr als drei Monate betragen (§ 11 III VVG). Die auf unbestimmte Zeit laufende vorläufige Deckung kann der Versicherungsnehmer ohne Einhaltung einer Frist kündigen, die Kündigung des Versicherungsunternehmens wird jedoch erst nach Ablauf von zwei Wochen nach Zugang wirksam (§ 52 IV VVG). In der Kfz-Haftpflichtversicherung sieht § 5 V S. 2 PflVG eine Kündigungsfrist von einem Monat zum Ablauf der Versicherungsperiode vor. Diese monatliche Kündigungsfrist wird durch die Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung (AKB) auf die Kfz-Kaskoversicherung und die Insassenunfallversicherung sowie auf den Kfz-Schutzbrief ausgedehnt. In der Lebensversicherung gilt § 168 VVG, ebenso in der Berufsunfähigkeitsversicherung (siehe Verweis in § 176 VVG). Danach kann der Versicherungsnehmer das Versicherungsverhältnis jederzeit für den Schluss der laufenden Versicherungsperiode kündigen, falls laufende Prämien zu zahlen sind. Ein ordentliches Kündigungsrecht des Versicherungsunternehmens besteht nicht. In der privaten Krankenversicherung (PKV) kann der Versicherungsnehmer die Krankheitskostenversicherung und die Krankentagegeldversicherung nach § 206 I VVG kündigen, die Basisversicherung (Basistarif) nach Maßgabe von § 206 VI VVG. Die ordentliche Kündigung des Versicherungsunternehmens ist in der PKV grundsätzlich ausgeschlossen (§ 206 VVG); Ausnahmen gelten nach § 206 I S. 4 und II VVG.
4. Außerordentliche Kündigung von Versicherungsverhältnissen: a) Beiderseitiges Kündigungsrecht: Kündigung aus wichtigem Grund (§ 314 BGB); Kündigung nach Eintritt des Versicherungsfalls in der Sachversicherung (§ 92 VVG) und in der Haftpflichtversicherung (§ 111 VVG).
b) Kündigungsrecht des Versicherers: Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht (§ 19 III S. 2 VVG); Gefahrerhöhung (§ 24 VVG); Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit vor dem Versicherungsfall (§ 28 I VVG); Veräußerung der versicherten Sache (§ 96 I VVG).
c) Kündigungsrecht des Versicherungsnehmers: Wegen einer Prämienerhöhung oder eines Risikoausschlusses nach Vertragsanpassung bei Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht oder Gefahrerhöhung (§§ 19 VI, 25 II VVG); wegen einer Prämienerhöhung oder Reduzierung des Versicherungsschutzes aufgrund einer Anpassungsklausel (§ 40 VVG).
d) Kündigungsrecht des Erwerbers einer versicherten Sache (§ 96 II VVG).
5. Anforderungen an eine Kündigung: a) Person des Kündigenden: Eine Kündigung muss grundsätzlich durch den Versicherungsnehmer oder das Versicherungsunternehmen als eine der Vertragsparteien ausgesprochen werden; der Versicherte in der Versicherung für fremde Rechnung ist nicht kündigungsberechtigt. Bei (rechtsgeschäftlicher) Vertretung muss die Vollmachtsurkunde im Original vorgelegt werden. Fehlt sie, ist die Kündigung unwirksam, wenn sie vom Empfänger unverzüglich zurückgewiesen wird (§ 174 BGB). Das gilt auch für die Kündigung durch einen Versicherungsmakler. Die Vertretung des Versicherungsunternehmens braucht nicht durch eine Vollmachtsurkunde belegt zu werden, wenn sie sich aus dem Handelsregister ergibt.
b) Person des Erklärungsempfängers: Die Kündigung muss gegenüber dem Versicherungsunternehmen bzw. dem Versicherungsnehmer als gegenüberstehender Vertragspartei ausgesprochen werden. Der Versicherungsvertreter ist zur Entgegennahme von Kündigungen des Versicherungsnehmers bevollmächtigt (§ 69 I Nr. 2 VVG).
c) Form: Textform bei der mit der Mahnung verbundenen Kündigung wegen Folgeprämienverzugs (§ 38 I, III VVG), im Übrigen ist keine gesetzliche Form vorgeschrieben. Die Einhaltung einer Form (insbesondere Schriftform) dient indes Beweiszwecken. Auf die Vereinbarung einer einzuhaltenden Schriftform kann sich der Versicherer nicht berufen, wenn das Kündigungsrecht zugunsten des Versicherungsnehmers zwingend oder halbzwingend vorgegeben ist (z.B. gem. § 11 II bis IV i.V.m. § 18 VVG). In der Lebensversicherung und in der PKV ist hingegen die Vereinbarung der Text- oder Schriftform zulässig (§§ 171 S. 2, 208 S. 2 VVG).
d) Ausschluss- und Kündigungsfristen: Außerordentliche Kündigungsrechte sind vielfach mit Ausschlussfristen verbunden, z.B. ab Kenntnis der Gefahrerhöhung (§ 24 III VVG) oder der Obliegenheitsverletzung (§ 28 I VVG). Das Kündigungsrecht erlischt bei Versäumung dieser Ausschlussfrist. Die Kündigungsfrist muss zwischen dem Zugang der Kündigungserklärung und deren Wirkung eingehalten werden. Außerordentliche Kündigungen können vielfach fristlos erfolgen (§§ 24 I S. 1, 28 I, 38 III VVG), zuweilen auch mit Frist z.B. von einem Monat (§§ 19 III S. 2, 24 I S. 2 und II VVG). Die Kündigung kann an einen bestimmten Termin gebunden werden, etwa zum Ablauf der Versicherungsperiode (§ 168 I VVG). Der Versicherungsnehmer kann nicht für einen späteren Zeitpunkt als den Schluss der laufenden Versicherungsperiode kündigen (§ 92 II S. 3 VVG), d.h. er darf höchstens zum Schluss derjenigen Versicherungsperiode kündigen, in der er die Kündigung erklärt.
e) Zurückweisungspflicht des Versicherungsunternehmens: Unwirksame Kündigungen des Versicherungsnehmers muss das Versicherungsunternehmen unverzüglich zurückweisen, sonst kann es sich nicht auf die Unwirksamkeit berufen. Verspätete Kündigungen sind trotz Zurückweisung in eine solche zum nächst möglichen Termin umzudeuten.
f) Beweis: Der Kündigende muss den Zugang und ggf. den Zugangszeitpunkt beweisen. Das ist mit Hilfe von Einschreiben mit Rückschein möglich, nicht aber durch Übermittlung mit einfachem Brief, wenn der Empfänger den Zugang bestreitet.
Autor(en): Prof. Dr. Roland Michael Beckmann, Professor Dr. Helmut Schirmer