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Derivative Finanzinstrumente

lat. derivare = ableiten, abgeleitete Finanzinstrumente, Derivate.

I. Allgemein: 1. Begriff: Finanzinstrumente mit begrenzter Laufzeit, deren Wert auf dem Wert einer Basisposition (Underlying) beruht und nach einem bestimmten Mechanismus daraus abgeleitet wird. Basiswerte können a) andere Wertpapiere, wie Aktien, Anleihen oder andere Derivate,
b) Referenzgrößen, wie Zinssätze, Indizes und Währungen, oder
c) andere Handelsgegenstände, wie Rohstoffe oder Agrarprodukte, sein.

2. Einteilungskriterien: Geschäfte mit derivativen Finanzinstrumenten können nach verschiedenen Kriterien eingeteilt werden: a) Nach dem Erfüllungszeitpunkt in Kassa- und Termingeschäfte;
b) nach dem Vertragsinhalt in unbedingte und bedingte Geschäfte;
c) nach dem Ort des Vertragsabschlusses in börsliche und außerbörsliche („Over-the-Counter“-)Geschäfte;
d) nach den zugrunde liegenden Basispositionen (z.B. Zinssätzen, Devisen, Aktien und Güterpreise).

3. Formen: Die Hauptformen von derivativen Finanzinstrumenten sind Futures, Forwards, Options (Optionen) und Swaps. Eine Kombination von Optionen und Swaps sind Swaptions.

4. Bedingungen: Da beim Abschluss eines Derivatgeschäfts keine oder nur eine geringe Zahlung zu leisten ist, sind die Transaktionskosten i.d.R. erheblich niedriger als beim Handel mit dem Basiswert. Um die Erfüllung der aus Derivatgeschäften resultierenden Zahlungsverpflichtungen jederzeit sicherzustellen, müssen beide Vertragspartner in Termingeschäften und der Stillhalter in Optionsgeschäften Sicherheiten (Collaterals) stellen.

5. Ziele und Wirkungen: Der Erwerb eines Derivats ermöglicht eine dem Erwerb des Basisinstruments gleichwertige Partizipation an Kursänderungen des Basisinstruments bei wesentlich geringerem Kapitaleinsatz. Dies beruht auf dem Hebeleffekt (Leverage-Effekt) von Derivaten, der eine überproportionale Teilnahme an Kurssteigerungen, aber auch an Kursverlusten mit sich bringt. Diese Eigenschaft nutzend, wird ein Großteil der Derivate mit dem Ziel der Absicherung bestehender Geschäfte abgeschlossen. Weitere Ziele können die Replizierung des Basiswerts oder die Erzielung hoher Renditen bei geringem Kapitaleinsatz (und hohem Risiko) durch Spekulation sein. Der Derivathandel bietet außerdem Gelegenheiten zur Arbitrage (Nutzung von räumlichen oder zeitlichen Preisdifferenzen zur risikolosen bzw. risikoarmen Gewinnerzielung) zwischen den Kassa- und den Terminmärkten, zwischen zwei Staaten aufgrund der unterschiedlichen rechtlichen und steuerlichen Behandlung oder aus komparativen Kostenvorteilen zwischen Marktsegmenten.

6. Historie und Entwicklung, besonders bei den Underlyings: Ein frühes Beispiel für den Handel mit Derivaten – und für deren Risiko – ist der erste dokumentierte Börsencrash, der 1637 in Holland durch Termingeschäfte auf Tulpenzwiebeln ausgelöst wurde. Seit den 1980er-Jahren ist ein starkes, bislang ungebrochenes Wachstum des Derivathandels zu verzeichnen. So wurden an den Terminmärkten der Eurex-Group im Jahr 2012 ca. 2,3 Mrd. Kontrakte gehandelt. Neben den Basiswerten, die auf dem Finanzmarkt handelbar sind, nimmt die Bedeutung alternativer Underlyings zu. Beispielsweise haben Derivate auf Zahlungsausfälle (sog. Credit Default Swaps, kurz: CDS) eine rasante Entwicklung erlebt. Ebenso weisen Derivate auf Wetterereignisse (Wetterderivate) und Energiederivate steigende Handelsvolumina auf.

7. Börsen: Wesentliche Derivatbörsen sind die deutsch-schweizerische Terminbörse European Exchange (EUREX) und die US-amerikanische Börse Chicago Mercantile Exchange (CME). Große Teile des Warentermingeschäfts werden über die New York Board of Trade (NYBOT) und die New York Mercantile Exchange (NYMEX) abgewickelt. In Deutschland findet der Börsenhandel mit Derivaten v.a. über die European Warrant Exchange (EUWAX) statt.

8. Derivate in der Versicherungspraxis: Grundprinzip aller derivativen Finanzgeschäfte in der Assekuranz ist, dass ein Versicherungsunternehmen eine eigene Vermögensposition gegen eine Vermögensposition eines Geschäftspartners (z.B. einer Bank) tauscht. Die Vermögenspositionen sind durch Einzahlungen und Auszahlungen gekennzeichnet; diese sind bedingt/unbedingt, liegen in der Gegenwart/Zukunft, sind deterministisch/stochastisch. Drei Grundfälle sind bekannt: a) Das Versicherungsunternehmen zahlt einen festen Betrag und erhält als Gegenleistung stochastische Einzahlungen, Erträge oder Vermögenswerte;
b) das Versicherungsunternehmen erhält einen festen Betrag und verspricht als Gegenleistung stochastische Auszahlungen, Aufwendungen oder Vermögenswerte oder
c) das Versicherungsunternehmen tauscht stochastische Zahlungen gegen andere stochastische Zahlungen.

II. Nach IAS/IFRS: Finanzinstrument, dessen Wert sich infolge einer Änderung einer zugrunde liegenden Variable (z.B. Zinssatz, Preis eines anderen Finanzinstruments) ändert, und dessen Anschaffungsauszahlung niedriger ist als für andere Instrumente erforderlich wäre, die auf ähnliche Weise auf Änderungen der zugrunde liegenden Variable reagieren und zu einem späteren Zeitpunkt beglichen werden (IAS 39.9). Eingebettete Derivate sind Bedingungen von Kontrakten oder Instrumenten, die sich wie ein derivatives Finanzinstrument verhalten (IAS 39.10).

III. Nach Handelsrecht: Derivative Finanzinstrumente nach IAS/IFRS stellen prinzipiell auch derivative Finanzinstrumente nach HGB dar. Eine Definition findet sich in § 1 XI KWG.

IV. Nach Aufsichtsrecht: Eine Definition findet sich im Rundschreiben 3/2000 der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Zu den Geschäften mit derivativen Finanzinstrumenten gehören demnach alle Geschäfte, deren Preis sich von einem zugrunde liegenden Handelsgegenstand (z.B. Aktien), Referenzpreis, Referenzzins oder Referenzindex ableitet; sie bestehen entweder aus zweiseitig bindenden (Termingeschäftsmerkmal) oder aus einseitig bindenden (Optionsmerkmal) Rechtsgeschäften.

V. Rechtliche Grundlagen und Folgen: 1. IAS/IFRS: Derivative Finanzinstrumente werden „At Fair Value through Profit or Loss” bewertet. Für ein eingebettetes Derivat besteht grundsätzlich die Prüfungspflicht nach IAS 39.11, ob es vom Basisvertrag zu trennen und separat zu bilanzieren ist (Separierungspflicht, wenn die betreffenden Kriterien erfüllt sind). Eine Ausnahme von der hypothetischen Separierungspflicht bildet die Möglichkeit zur Designation des gesamten strukturierten Finanzinstruments „At Fair Value through Profit or Loss“, vgl. die Fair-Value-Option. Nach dem künftigen IFRS 9 besteht keine Zerlegungspflicht, sondern eingebettete Derivate führen zu einer Bilanzierung des gesamten Instruments „At Fair Value through Profit or Loss“.

2. Handelsrecht: Für den Bilanzansatz und die Bewertung existieren keine ausdrücklichen Regelungen. Derivative Finanzinstrumente werden oftmals nicht in der Bilanz erfasst. Eine Erfassung durch Bildung einer Rückstellung ist jedoch erforderlich, wenn aus derivativen Finanzinstrumenten Verluste drohen (vgl. Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften), es sei denn, das derivative Finanzinstrument fließt in eine Bewertungseinheit ein.

3. Aufsichtsrecht: Für Versicherungsunternehmen sind derivative Finanzinstrumente nach § 15 I VAG im Rahmen von Absicherungs-, Erwerbsvorbereitungs- und Ertragsmehrungsgeschäften zulässig. Spekulationsgeschäfte mit derivativen Finanzinstrumenten sind verboten. (Näheres regelt das Rundschreiben 3/2000 der BaFin).

VI. Hedge Accounting: Derivative Finanzinstrumente werden auch im Rahmen des Hedge Accountings (siehe Bewertungseinheiten) eingesetzt.

Autor(en): Dr. Frank Ellenbürger, Dr. Joachim Kölschbach

 

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