Beitragsanpassung
1. Begriff: Anpassung von Beiträgen i.S.v. Preisen (bzw. Prämien) für Versicherungsschutz. Verträge können ohne Zustimmung der Parteien während der Laufzeit grundsätzlich nicht geändert werden. Bei Versicherungsverträgen, insbesondere bei solchen mit langer Laufzeit, muss indessen ausnahmsweise das Bedürfnis anerkannt werden, die Bedingungen (Bedingungsanpassung) oder die Beiträge an veränderte Umstände anpassen zu können. Dies kann auf der Grundlage von vereinbarten Anpassungsklauseln oder direkt auf Grundlage gesetzlicher Bestimmungen erfolgen. Besonderheiten gelten für die private Krankenversicherung (PKV), die Lebensversicherung, die Berufsunfähigkeitsversicherung und die Unfallversicherung mit garantierter Beitragsrückzahlung; das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) sieht hier das Recht des Versicherers zur Neufestsetzung der Beiträge vor, ohne eine entsprechende vertragliche Anpassungsklausel vorauszusetzen.
2. Private Krankenversicherung (PKV): In der PKV nach Art der Lebensversicherung ist der Versicherer bei einer nicht nur als vorübergehend anzusehenden Veränderung der Rechnungsgrundlagen für die Beitragskalkulation berechtigt, diese Grundlagen auch für bestehende Versicherungen zu berichtigen und die Beiträge den berichtigten Rechnungsgrundlagen entsprechend anzupassen. Auch der Selbstbehalt (Franchise) und der Risikozuschlag können bei entsprechender Vereinbarung geändert werden. Hintergründe: Im Rahmen der vertraglichen Zusagen können sich die Leistungen des Versicherers u.a. wegen steigender Kosten für die Heilbehandlung im Zuge des medizinischen Fortschritts, durch eine häufigere Inanspruchnahme medizinischer Leistungen oder aufgrund steigender Lebenserwartung ändern. Versicherungsmathematisch entspricht z.B. der medizinische Fortschritt einer Ausweitung des Versicherungsschutzes. Verbesserte und teurere Leistungen, die früher noch nicht existierten und daher nicht im Versicherungsschutz enthalten waren, werden in der Folge zusätzlich aufgenommen. Deshalb vergleicht der Versicherer zumindest jährlich für jeden Tarif die erforderlichen mit den in den technischen Berechnungsgrundlagen kalkulierten Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeiten. Ergibt diese Gegenüberstellung für eine Beobachtungseinheit eines Tarifs eine Abweichung von mehr als der gesetzlich oder tariflich festgelegten Abweichung in Prozent (auslösender Faktor), werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, angepasst (Beitragsanpassung nach § 155 VAG). Voraussetzung für die Beitragsanpassung ist, dass es sich um Versicherungen handelt, bei denen das Kündigungsrecht des Versicherers gesetzlich oder vertraglich ausgeschlossen ist. Ferner muss ein unabhängiger Treuhänder die technischen Rechnungsgrundlagen überprüft und der Beitragsanpassung zugestimmt haben. Auslöser für Anpassungen sind also die Versicherungsleistungen und die Sterbewahrscheinlichkeiten; vor einer Anpassung müssen allerdings alle Rechnungsgrundlagen überprüft und ggf. angepasst werden, d.h. auch Storno, Zins, sonstige Zuschläge und Verwaltungskosten. Die Summe dieser Veränderungen führt oft zu anderen Veränderungsraten (manchmal gar zu anderen Vorzeichen), als sie durch den auslösenden Faktor angezeigt scheinen. Der auslösende Faktor stellt lediglich fest, ob eine Überprüfung der Rechnungsgrundlagen stattfindet; er zeigt weder Ausmaß noch Richtung der daraus evtl. resultierenden Beitragsanpassung. Eine Anpassungsmöglichkeit entfällt insoweit, als die Versicherungsleistungen zum Zeitpunkt der Erst- oder einer Neukalkulation unzureichend kalkuliert waren und ein ordentlicher und gewissenhafter Aktuar dies insbesondere anhand der zu diesem Zeitpunkt verfügbaren statistischen Kalkulationsgrundlagen hätte erkennen müssen. Zu den Einzelheiten siehe § 203 II VVG, §§ 155–160 VAG, § 8b der Musterbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (MB/KK), § 8a der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) für den Standardtarif, zuletzt auch noch §§ 11, 14 Kalkulationsverordnung (KalV). Allerdings wurde die KalV zum 1.1.2016 aufgehoben. An deren Stelle tritt künftig die Krankenversicherungsaufsichtsverordnung (KVAV), für die bislang jedoch nur ein Entwurf vorliegt. Den rechtskräftigen Erlass gilt es abzuwarten.
3. Lebensversicherung: In der Lebensversicherung ist der Versicherer zu einer Neufestsetzung der Beiträge nur berechtigt, wenn sich der Leistungsbedarf nicht nur vorübergehend und nicht voraussehbar gegenüber den ursprünglichen Rechnungsgrundlagen bei der Beitragsvereinbarung verändert hat, die neu festgesetzten Beiträge angemessen und erforderlich sind, um die dauernde Erfüllbarkeit der eingegangenen Verpflichtungen zu gewährleisten, und ein unabhängiger Treuhänder die genannten Voraussetzungen überprüft und bestätigt hat. Wie in der privaten Krankenversicherung ist eine Anpassung der Beiträge ausgeschlossen, wenn bei der Erst- oder Neukalkulation erkennbar die Versicherungsleistungen unzureichend kalkuliert wurden. Dementsprechend sind Beitragsanpassungen also umgekehrt nur zulässig, wenn Veränderungen im Leistungsbedarf nicht nur vorübergehend eintreten und zum Zeitpunkt der Prämienkalkulation nicht erkennbar waren. Der Versicherungsnehmer kann zudem verlangen, dass statt der Beitragserhöhung die Versicherungssumme entsprechend herabgesetzt wird. Zu den Einzelheiten siehe §§ 163 VVG, 138 VAG.
4. Berufsunfähigkeitsversicherung: Die Regelung für die Lebensversicherung gilt entsprechend auch für die Berufsunfähigkeitsversicherung (§ 176 i.V.m. § 163 VVG) und für die Unfallversicherung mit garantierter Beitragsrückzahlung (§ 161 I VAG). In der Berufsunfähigkeitsversicherung enthält von allen am Markt angebotenen Tarifen rund ein Viertel einen bedingungsgemäßen Verzicht auf die Anwendung des § 163 VVG. Der Rest teilt sich in Tarife auf, die in den Bedingungen diesbezüglich nichts geregelt haben, und solche, die eine Treuhänderklausel beinhalten. Gemäß der Treuhänderklausel überprüft ein unabhängiger Treuhänder die Rechtmäßigkeit der Anwendung des § 163 VVG im Einzelfall, bedarfsweise, z.B. im Fall einer Pandemie, auch die Rechnungsgrundlagen. Der Verzicht auf die Anwendung des § 163 VVG wird auch als Option angeboten. Mit dem Einschluss der Verzichtsklausel gibt der Versicherer das Recht auf, bei einer Zunahme des Leistungsbedarfs gegenüber den zugrunde gelegten technischen Berechnungsgrundlagen unter bestimmten Voraussetzungen die Beiträge auch für bestehende Versicherungen zu erhöhen.
5. Übrige Versicherungszweige: Für Prämienanpassungen in den übrigen Versicherungszweigen aufgrund einer vertraglichen Anpassungsklausel gelten die allgemeinen Regeln des BGB, insbesondere §§ 305 ff.
6. Weitere Regelungen: Erhöht der Versicherer die Beiträge, ohne dass sich der Leistungsumfang ändert, oder vermindert er statt der Prämienerhöhung seine Leistung, steht dem Versicherungsnehmer ein außerordentliches Kündigungsrecht zu (§ 40 VVG). Nach dem Wortlaut des Gesetzes soll dies nur dann gelten, wenn die einseitige Vertragsänderung auf einer vertraglichen Anpassungsklausel beruht. Diese Bedingung ergibt keinen Sinn, weil die Vertragsänderung, die ohne entsprechende AVB unmittelbar nach den Vorschriften des Gesetzes vorgenommen wird, in gleich schwerer Weise in das Vertragsverhältnis eingreift. Von daher ist von einem Redaktionsversehen auszugehen.
Autor(en): Rüdiger R. Burchardi, Dr. Hans-Jürgen Danzmann, Dr. Helmut Müller, Dr. Frank Schulze Ehring