Bewertungsreserven
1. Begriff: Differenzen zwischen Zeitwerten von Vermögens- und Schuldpositionen und ihren Buchwerten mit der Folge eines Eigenkapitalausweises unterhalb des Zeitwerts, d.h. unterhalb des ökonomischen Werts des Eigenkapitals, in der Bilanz.
2. Merkmale: Bewertungsreserven entstehen durch eine vorsichtige Bewertung des Vermögens (Unterbewertung mit der Folge aktivischer Bewertungsreserven: Zeitwerte > Buchwerte) und/oder der Schulden (Überbewertung mit der Folge passivischer Bewertungsreserven: Zeitwerte < Buchwerte). Die Zeitwerte können prinzipiell marktbasiert (mark to market) oder modellbasiert (mark to model) ermittelt werden. Soweit insbesondere Kapitalanlagen an liquiden Märkten gehandelt werden, ergeben sich ihre Zeitwerte und damit deren Bewertungsreserven aus den notierten Handelspreisen (Marktwertreserven).
3. Bedeutung: Die Bewertungsreserven sind ein Indikator für das Potenzial eines Unternehmens, außerordentliche Erträge zum Ausgleich von Verlusten aus verschiedenen möglichen Quellen zu realisieren.
4. Rechtsgrundlagen: a) Bilanzierungsverbote gem. § 248 HGB,
b) Niederstwertprinzip,
c) Realisationsprinzip und Imparitätsprinzip.
5. Ziele: Versicherungsunternehmen bauen Bewertungsreserven als Risikopuffer auf; Bewertungsreserven ermöglichen es, Schwankungen der auszuweisenden Ergebnisse zu mindern. Sie stellen ein Pendant zu den Kapitalanlagerisiken und den versicherungstechnischen Risiken dar.
6. Behandlung in der Rechnungslegung: In der Rechnungslegung nach HGB sind die Zeitwerte der Kapitalanlagen im Anhang anzugeben. In der internationalen Rechnungslegung sollen Bewertungsreserven nach dem Grundsatz der Bewertung zum Fair Value und dahin gehender Neubewertungen vor Bilanzerstellung i.d.R. nicht vorkommen. Allerdings gibt es auch nach den IAS/IFRS fallweise Bewertungen von Vermögenspositionen zu fortgeführten Anschaffungskosten und Schuldpositionen mit vorsichtigen Bewertungsansätzen, so dass auch hier Bewertungsreserven in der Bilanz vorkommen. Umfangreiche Pflichtangaben im Anhang (engl: „notes“) tragen aber in der internationalen Rechnungslegung zusätzlich zur Offenlegung bei.
7. Probleme: Durch die Ermessensspielräume bei der Bewertung im Jahresabschluss kann es zu einer willkürlichen Bildung von Bewertungsreserven kommen. Bei den Kapitalanlagen besteht im Rahmen einer modellbasierten Bewertung zudem die Gefahr, das Illiquiditätsrisiko zu unterschätzen. Aus festverzinslichen Wertpapieren bei fallenden Zinsen resultierende Bewertungsreserven verflüchtigen sich im Zeitablauf mit der Annäherung an den Rückzahlungszeitpunkt und stehen somit für eine Ausschüttung nicht zur Verfügung. Außerdem kann der eingeschränkte Blick auf Bewertungsreserven in den Kapitalanlagen (Aktiva), der vielfach vorherrscht, die Sicht auf die ebenso bedeutsamen Differenzen zwischen Buch- und Zeitwerten bei der Bewertung der Versicherungsverpflichtungen verstellen, die eine meist weitaus größere Zinssensitivität aufweisen und in Hochzinsphasen ebenfalls erhebliche Bewertungsreserven (Buchwerte > Zeitwerte), allerdings (gerade in Niedrigzinsphasen) auch in großem Umfang stille Lasten (Zeitwerte > Buchwerte) bergen können.
8. Abgrenzung von stillen Reserven: In dem Umfang, wie die Bewertungsreserven aus dem Jahresabschluss, namentlich aus dem Anhang, nicht ersichtlich sind, handelt es sich um sog. „stille Reserven“. Im reinen Wortsinn sind „stille Reserven“ also nur jene Teile der Bewertungsreserven, die nicht durch die Angabe von Differenzen zwischen Zeitwerten und Buchwerten im Jahresabschluss aufgedeckt werden. In der Praxis werden die „stillen Reserven“ demgegenüber häufig mit den Bewertungsreserven gleichgestellt. Dies ist irreführend.
Autor(en): Dr. Frank Ellenbürger, Dr. Joachim Kölschbach