Die Wirtschaftskonjunktur lahmt und liefert keine frischen Steuereinnahmen zum Ausbau des Sozialstaats. Das Land erstickt seine Unternehmen und seine Bürger in bürokratischen Pflichten. Die Zuversicht ist verloren gegangen.
Doch nach der Bundestagswahl soll jetzt alles besser werden. So jedenfalls liest sich ein Papier, das versehentlich an die Presse durchgestochen wurde. Urheber ist eine in der Öffentlichkeit wenig bekannte Denkfabrik, der aber entscheidende Einflüsse auf die kommende Regierungspolitik zugetraut werden.
Ein zentraler Vorschlag ist, nach US-amerikanischem Vorbild eine neue Behörde DOGE zu schaffen, was mit Deutscher Orden für Gründliche Entrümpelung übersetzt wird. Aus Gleichstellungsgründen soll eine Frau die Leitung übernehmen, und zwar unter dem Titel Dogaressa, offenbar die weibliche Form des altvenezianischen Titels Doge. Ihr wird das Dogat übertragen, also die Würde der Leitung dieser außerhalb der klassischen Ministerialbürokratie angesiedelten Behörde. Es wurde noch nicht bestätigt, ob tatsächlich die Medienunternehmerin Elona Muskovic als Dogaressa vorgesehen ist.
Kettensägen-Agenda
Für die Versicherungswirtschaft besonders interessant ist, dass es bereits eine Vielzahl sehr konkreter Vorschläge für die Entrümpelung bürokratischer Hemmnisse gibt. Ein Branchenvertreter, der nicht namentlich genannt werden wollte, sprach von einer "Kettensägen-Agenda".
Die Vorschläge basieren auf Befragungen, die bei Jahresauftaktveranstaltungen der Branche abends mit angeheiterten Versicherungsangestellten und Versicherungsvermittlern durchgeführt werden konnten. "Vernünftigerweise muss man sagen, dass es bei Tageslicht noch weitaus mehr Ideen für einen Bürokratieabbau gegeben hätte", so ein Verbandsvorsitzender, der seinen Namen ebenfalls lieber nicht im Versicherungsmagazin lesen möchte.
Weg mit den Produktinformationen
Aus Vertriebssicht besonders interessant ist ein Verzicht auf Produktinformationen zu Versicherungsangeboten. "Es macht keinen Unterschied, ob die Produktinformationen vor oder nach dem Abschluss nicht gelesen werden", wird ein langjährig erfahrener Bundesrichter zitiert. Demzufolge sind diese Informationen überflüssig und werden abgeschafft. "Wir wüssten ohnehin keine Frage zu den mehr als 100 Seiten zu beantworten, die man den Kunden zu jeder einzelnen Versicherung an die Hand geben muss", so der Chefjustiziar eines großen Kompositversicherers.
Eng damit zusammen hängt der Vorschlag, auch Beratungsdokumentationen abzuschaffen. "Das spart enorme IT-Investitionen für das Programmieren von Textbausteinen, die sowieso nichts mit der Realität des Beratungsgesprächs zu tun haben", freut sich der Digitalvorstand eines anderen, bedeutenden Versicherers. "Der Kunde soll sich gefälligst selbst merken, was ihm alles nicht erklärt wurde – bei so etwas Wichtigem wie einer Versicherung wäre doch alles andere mehr als verantwortungslos", bestätigt die Vertreterin eines Verbraucherverbands auf Nachfrage,
Zu hohe Kontogebühren
Etwas weniger Begeisterung löst die Idee aus, ab sofort keine Provisionen mehr an den Vertrieb auszuzahlen. Hintergrund ist allerdings, dass die Versicherungsaufsicht durch langjährige Untersuchungen festgestellt hat, dass Provisionen als Kosten den "Value for Money" einer Versicherung negativ beeinflussen.
Dieser Aspekt sollte ebenso wenig vergessen werden wie die Tatsache, dass Provisionsbuchungen zusätzliche Kontoführungsgebühren bei Versicherungsvermittlern verursachen. "Als ich mir meinen letzten Kontoauszug einmal näher angesehen habe, da sind mir die Tränen gekommen", bestätigt ein erfolgreicher Versicherungsvertreter, mit dem das Versicherungsmagazin gesprochen hat. "Da bleibt ja fast nichts mehr übrig von meiner Provision für die Auslandsreisekrankenversicherung!"
Zu viele Schlüsselfunktionen
Doch auch die Versicherungsunternehmen sollen nicht ungeschoren davonkommen. DOGE nimmt dabei vor allem die Hauptverwaltungsbürokratien ins Visier. So wird bemängelt, dass sich jeder Versicherer allein vier Schlüsselfunktionen gönnt, als ob nicht ein Pförtner allein völlig reichen würde. "Die entsprechenden Vorschriften des Versicherungsaufsichtsgesetzes schaffen wir ab!", so die mutmaßliche, künftige Dogaressa. Die entsprechenden Personen sollten eine E-Mail erhalten und aufgefordert werden, diese kurz mit "ich resigniere" zu beantworten. Sodann werden diese Beschäftigten unmittelbar freigestellt und bekommen ohne weiteren Verzug Bürgergeld bewilligt.
Sollten sich die übrigen Beschäftigten nun freuen, verschont zu bleiben: weit gefehlt. Die nächste Versicherer-interne Bürokratie heißt Aktuariat. "Darin steckt schon der Begriff Akte – so etwas Verstaubtes braucht kein Mensch mehr!", so die designierte Dogaressa, die gleichzeitig einen Deal mit einem Verwandten in den USA anbietet. In dessen verzweigtem Firmenimperium findet sich auch ein Anbieter für "DAV", also für Digital Aktenloses Versichern.
Dienstreise-Ordnungen entrümpeln
Noch schlimmer treffen dürfte es die Schaden- und vor allem Leistungsabteilungen. "Ehrlicherweise muss man sagen, dass der Begriff 'Leistung' schon etwas fehl am Platz ist in einer Leistungsabteilung, in der ja gar keine Leistungen erbracht, sondern nur Gelder an Kunden verteilt werden", so der Vorstand eines Krankenversicherers hinter vorgehaltener Hand. "Wir verstehen schon, warum DOGE gerade dort ansetzen will – uns ist das auch schon länger ein Dorn im Auge."
Einen erheblichen Widerstand könnte es allerdings gegen eine Entrümpelung der Dienstreise-Ordnungen in deutschen Versicherungsunternehmen geben. "Dabei haben wir gerade erst letztes Jahr einen Tesla für unseren Azubi bestellt", ereifert sich der Fuhrparkmanager eines mittelgroßen Lebensversicherers. "Und jetzt will uns DOGE allen Ernstes verbieten, umständliche Job-Rad-Angebote zu kreieren oder gar Bahntickets einzukaufen."
Allerdings hat gerade Letzteres einen nachvollziehbaren Grund: Bahntickets sind einer Studie des Arbeitgeberverbands zufolge versteckte Extraurlaube, die an Bahnsteigen und in gestrandeten Zügen verbracht, aber nicht einmal als geldwerter Vorteil abgerechnet werden. Kein Wunder, dass die Entrümpelung auch hiervor keinen Halt macht und Effizienz in deutsche Versicherungsverwaltungen zurückbringt.
Ein Vorschlag ist allerdings weniger gelungen: DOGE will die Axt an die übermäßig bürokratischen Versicherungssteuern auf Lebens- und Krankenversicherungen legen. "So retten wir das Geld der Lebens- und Krankenversicherten und geben es ihnen wieder zurück!", postete die designierte DOGE-Chefin auf einer Plattform, die mit einem weit hinten im Alphabet stehenden Buchstaben bezeichnet wird. Ein Post eines Versicherungsprofessors, der auf die Tatsache aufmerksam machte, dass es in Deutschland gar keine Versicherungssteuern auf Lebens- und Krankenversicherungen gibt, wurde umgehend gelöscht und eine Überprüfung in Auftrag gegeben, welche öffentlichen Mittel dieser Lehrkraft entzogen werden können.
Lesetipp
Das Programm der geplanten neuen Behörde zum Bürokratieabbau in der Versicherungswirtschaft liegt auf einem Server der Bundesregierung, der nur in der fünften Jahreszeit freigeschaltet ist. Leserinnen und Leser, die diese Jahreszeit nicht kennen, sollten beachten, dass der Inhalt dieses Artikels möglicherweise nicht in absolut jeder Hinsicht und zu 100 Prozent die tatsächlichen Entwicklungen vollständig korrekt wiedergeben könnte. Alaaf und Helau!
Autor(en): Matthias Beenken