Variable Annuity (VA)
1. Begriff: Bezeichnung für einen speziellen Typus fondsgebundener Rentenversicherungen mit garantierten Mindestleistungen.
2. Merkmale: VA sind fondsgebundene Rentenversicherungen, die dem Kunden – unabhängig von Art und Umfang der vereinbarten Garantieleistungen – eine weitgehend freie Wahl der mit dem Vertrag verbundenen Investmentfonds erlaubt, in die die Sparprämien investiert werden. Für die vereinbarten Garantieleistungen werden dem Fondsguthaben des Kunden explizit vereinbarte Gebühren belastet. VA sind v.a. im nordamerikanischen Markt und in einigen asiatischen Märkten sehr verbreitet und werden dort grundsätzlich nur als Versicherungen gegen Einmalbeitrag angeboten. Lediglich im deutschen Markt sind Vertragsformen des VA-Typus gegen laufende Beitragszahlung anzutreffen, wobei die Produktanbieter selbst meist ausländischem (v.a. luxemburgischem oder irischem) Aufsichtsrecht unterliegen, selbst wenn sie einer in Deutschland beheimateten Versicherungsgruppe zuzurechnen sind.
3. Typen: Die angebotenen Garantietypen sind a) GMDB (Guaranteed Minimum Death Benefit, garantierte Todesfallleistung),
b) GMIB (Guaranteed Minimum Income Benefit, garantierte Leibrente),
c) GMAB (Guaranteed Minimum Accumulation Benefit, garantierte Ablaufleistung),
d) GMWB (Guaranteed Minimum Withdrawal Benefit, garantierte – lebenslange – jährliche Mindestentnahmen aus dem Fonds). Nur der GMWB-Typus geht über die traditionell in Deutschland verbreiteten Garantieformen hinaus. Hinsichtlich des Umfangs der Garantie werden unterschieden: a) roll-up (garantierte jährliche Mindestverzinsung der Bruttobeiträge),
b) ratchet (Höchststandsgarantie). Dabei können bei einigen Formen die ursprünglich vereinbarten Garantieniveaus bei positiver Fondsentwicklung während der Vertragsdauer durch ein „reset“ angepasst werden.
4. Wertbeimessungen: Die dem Kunden zugesagten Garantieleistungen werden in kurzen Zeitabständen (idealerweise täglich) bewertet, d.h. es wird mit aufwendigen Simulationstechniken der Erwartungswert der über die Fondsguthaben hinaus zu erbringenden Leistungen bestimmt. Auch die Sensitivitäten dieses Optionswerts gegenüber Marktpreisänderungen der Fondswerte (Delta), gegenüber Änderungen der Krümmung der Delta-Kurve bei veränderten Marktpreisen der Fonds (Gamma), gegenüber Änderungen der Zinsstruktur (Rho) sowie gegenüber Änderungen der Kapitalmarktvolatilität (Vega) werden wiederkehrend bewertet. Das Unternehmen hält aus eigenen Mitteln außerhalb der Fondsguthaben der Kunden ein Portfolio von derivativen Kapitalmarktinstrumenten, dessen Wertänderungen bei allen denkbaren Kapitalmarktbewegungen möglichst identisch zu den Wertänderungen der gegenüber den Kunden ausgesprochenen Garantien sind, so dass für diese Garantien ein „optimales“ Hedging erreicht wird.
5. Würdigungen: Die Attraktivität von VA für deutsche Kunden beruht im Wesentlichen auf der Möglichkeit, in manchen europäischen Aufsichtssystemen roll up-Zinssätze oberhalb des hierzulande gültigen Höchstrechnungszinses darzustellen, ohne eine sofortige, nicht durch die Beitragsleistung des Kunden gedeckte Reservierung bei Vertragsabschluss auszulösen. VA-Verträge sind i.d.R. nicht überschussberechtigt. Sie wirken daher für den Verbraucher transparenter als Verträge mit Überschussbeteiligung. Das Unternehmen hat bei ausreichend kalkulierten Garantiegebühren eine wesentlich höhere Ertragschance, trägt aber auch das Verlustrisiko voll zulasten des Eigenkapitals ohne Pufferungsmöglichkeit durch eine Rückstellung für Beitragsrückerstattungen (RfB) oder durch Bewertungsreserven. Das Konzeptder VA unterstellt grundsätzlich, dass das Unternehmen alle übernommenen Risiken hedgen kann, sei es durch Rückversicherungskonstruktionen, sei es durch Einsatz von Kapitalmarktinstrumenten, und dies zu einem Preis, der insgesamt die dem Kunden belastete Garantiegebühr nicht übersteigt.
6. Probleme: VA-Produkte stellen erhebliche Anforderungenan die Frequenz und Verzahnung von unterschiedlichen Bewertungs- und Handelsprozessen im Unternehmen und bergen daher ein hohes operatives Risiko durch mangelnde Prozessqualität und Defizite in der Mitarbeiterqualifikation. Davon abgesehen ist der Anbieter von VA-Produkten erheblich exponiert gegenüber a) dem Risiko, dass das Fondsvermögen der Kunden sich im Detail signifikant anders zusammen setzt als das für das eigene Hedging-Portfolio verwendeten Referenzportfolio,
b) dem Risiko einer nicht vorhergesehen Preisentwicklung und einer unzureichenden Verfügbarkeit von Sicherheitsinstrumenten, oft in Verbindung mit einer unzureichenden Absicherung gegen Schwankungen der Volatilität, und dementsprechend unzureichenden Garantiegebühren,
c) dem Risiko eines nicht vorhergesehenen Kundenverhaltens, z.B. dem verstärkten Ausbleiben von Kündigungen in Niedrigzinsphasen, die jedoch bei der Kalkulation der Garantiegebühren unterstellt wurden. Um den genannten Risiken zu begegnen, behalten sich einige Anbieter von VA-Produkten bei adversen Kapitalmarktentwicklungen massive Eingriffe in die Vermögensanlage der zugrunde liegenden Verträge vor, die der ursprünglichen Produktidee zuwiderlaufen und daher mit beträchtlichen Reputationsrisiken verbunden sind.
Autor(en): Norbert Heinen