Produktrating
1. Begriff: Historisch eingebürgerter Begriff für die Bewertung von Produkten hinsichtlich ihrer Preis-Leistungs-Relation anhand qualitativer und quantitativer Kriterien (bei Versicherungsprodukten z.B. anhand der Versicherungsbedingungen, der Prämienhöhe und der Servicequalität), die durch eine Gesamtkennzahl dargestellt wird.
2. Funktionen in der Assekuranz: Produktratings dienen der Entscheidungsunterstützung von Vermittlern (insbesondere den Versicherungsmaklern) und potenziellen Kunden sowie der Vertriebsunterstützung auf Seiten der Versicherungsunternehmen und deren Vertretern (Versicherungsvertreter).
3. Hintergründe und Entwicklungen in der Assekuranz: Als Folge der Deregulierung der europäischen Versicherungsmärkte in 1994 wurde in Deutschland die materielle Aufsicht durch eine reine Solvenzaufsicht abgelöst. Dies führte über die Zeit zu einer großen und teilweise intransparenten Produktvielfalt, und somit nahezu zwangsläufig dazu, dass die Nachfrage nach professionellen Hilfen für die Beurteilung der Qualität und der Preis-Leistungs-Verhältnisse von Produkten stark anstieg. Deshalb haben lange die sog. Produktratings die Ratingszene dominiert. Aufgrund der Erfahrungen mit den Kapitalmarktkrisen seit 2002 und in den letzten Jahren auch mit dem Niedrigzinsniveau setzte sich aber zunehmend die Erkenntnis durch, dass neben der Beurteilung der Produktqualität auch die finanzielle Stärke von Versicherungsunternehmen in die Auswahlentscheidung mit einbezogen werden sollte. Deshalb stieg auch die Nachfrage nach den Finanzkraftratings (Insurer Financial Strength Rating) v.a. der internationalen Ratingagenturen an. Viele Versicherer benutzen diese Ratings zur Demonstration ihrer finanziellen Stärke und setzen sie im Wettbewerb ein. Seit 2009 sind Ratingagenturen in Europa reguliert (Ratingagenturen: Bedeutung und Beaufsichtigung). Die sog. Produktratings unterliegen aber nicht dieser Aufsicht, da sie keine Bonitätsratings im Sinne der EU-Ratingverordnung sind. Die Ersteller von Produktratings werden deshalb in den Veröffentlichungen der European Securities and Markets Authority (ESMA) auch nicht als autorisierte Ratingagenturen erwähnt. Von daher können auch sog. Unternehmensratings, die von Produktbewertern erstellt werden, nicht als Ratings im Sinne der EU-Ratingverordnung angesehen werden.
4. Kritikpunkte: a) Der Produktnutzen für die Versicherungsnehmer bzw. Versicherungsinteressenten hängt von den individuellen Bedürfnissen bzw. Präferenzen ab (individuelle Nutzenfunktion). Da die Ermittlung einer Gesamtkennzahl zur Beurteilung der Produktqualität und des Produktpreises die Gewichtung und Aggregation einzelner Kriterien erfordert und die Gewichtung allerdings kundenindividuell verschieden ist, ist die Gesamtkennzahl nur für die Kunden uneingeschränkt aussagekräftig, deren Nutzenfunktion dieselbe Gewichtung vorsieht, die auch bei der Bewertung angenommen wurde.
b) Insbesondere bei Lebensversicherungsprodukten mit einer Überschussbeteiligung der Versicherungsnehmer besteht eine hohe Korrelation zwischen der Produktqualität und der Finanzkraft des Unternehmens. Ein Produktrating sollte daher die Finanzkraft signifikant mit einbeziehen.
Autor(en): Prof. Dr. Fred Wagner, Wolfgang Rief