Insurer Financial Strength Rating
1. Begriff und Merkmale: Beurteilung der Finanzkraft eines Versicherungsunternehmens durch eine Ratingagentur (Rating). Ein Insurer Financial Strength Rating komprimiert eine Beurteilung komplexer Zusammenhänge in leicht verständliche Symbole (Ratingskala) und ist öffentlich verfügbar. Insurer Financial Strength Ratings sind prospektiv und beinhalten eine Indikation über die mittelfristige Entwicklung der Finanzstärke des Versicherers. Von ihrer Konzeption her sollen Insurer Financial Strength Ratings die Finanzstärke durch einen Marktzyklus hindurch beurteilen. Treten wesentliche Veränderungen beim Unternehmen oder in dessen Branche auf oder stehen die zur Beurteilung erforderlichen Informationen nicht mehr im notwendigen Umfang zur Verfügung, kann das Rating geändert, ausgesetzt oder zurückgezogen werden.
2. Ratingansätze: Grundsätzlich wird zwischen interaktiven Ratings, die von einem Versicherungsunternehmen beauftragt und bezahlt werden, und Public Information Ratings unterschieden. Public Information Ratings haben in der Praxis allerdings für die Versicherungswirtschaft keine Bedeutung mehr, da die großen, international bedeutsamen Ratingagenturen (Fitch, Standard & Poor’s) diese Aktivitäten für Versicherer eingestellt haben.
3. Funktionen: Ein Insurer Financial Strength Rating kann insbesondere Versicherungsnehmern und Versicherungsvermittlern, namentlich Versicherungsmaklern, eine Hilfestellung bei der Einschätzung der Solidität und Bonität des beurteilten Versicherungsunternehmens hinsichtlich der Erfüllung seiner Leistungsversprechen geben. Ähnliches gilt für die Auswahl von Rückversicherern durch Erstversicherer.
4. Abgrenzungen: a) Insurer Financial Strength Ratings beurteilen die finanzielle Stabilität von Versicherungsunternehmen in Bezug auf die versicherungsvertraglichen Verpflichtungen, und nicht bezüglich anderweitiger Verpflichtungen, wie z.B. solchen aus Fremdkapital Aus diesem Grund wurden Insurer Financial Strength Ratings früher auch Claims Paying Ability Ratings genannt. Beurteilungen über Anleihen, die vom Versicherungsunternehmen an die Öffentlichkeit ausgegeben wurden, erfolgen im Rahmen vonEmissionsratings, die sich sowohl in der Definition als auch in der Vorgehensweise von einem Financial Strength Rating unterscheiden. In Europa werden die Ansprüche von Versicherungsnehmern an einen Erstversicherer gegenüber den Ansprüchen von Kapitalgebern vorrangig behandelt. Dementsprechend kann z.B. das Rating einer erstrangigen Anleihe eines Erstversicherers wegen der Schutzwürdigkeit des Versicherungsnehmers unter dem Financial Strength Rating desselben Erstversicherers liegen. Im Fall einer erstrangigen Anleihe eines Rückversicherers würde dagegen das Emissionsrating dem Financial Strength Rating entsprechen, da die Ansprüche der Rückversicherungskunden und der Investoren, die beide als informierte Kaufleute und insofern als nicht schutzbedürftig gelten, gleichwertig sind.
b) Insurer Financial Strength Ratings beurteilen nicht den Zahlungswillen eines Versicherers im einzelnen Schadenfall, und sie geben auch keine Empfehlungen zu einzelnen Produkten. Ein Insurer Financial Strength Rating darf deshalb nicht mit einem Produktrating bzw. mit einer Produktbewertung verwechselt werden. Ein Unterschied liegt auch darin, dass ein Versicherungsunternehmen naturgemäß von einer Ratingagentur nur ein einziges Insurer Financial Strength Rating erhalten kann; demgegenüber werden Produktbewertungen typischerweise von hierauf spezialisierten Unternehmen differenziert für verschiedene Produktangebote erstellt.
Autor(en): Prof. Dr. Fred Wagner, Wolfgang Rief