Ausschreibungspflicht
1. Begriff: Grundsatz, dass öffentliche Aufträge auszuschreiben sind. Wenn die öffentliche Hand bei privaten Vertragspartnern Waren einkauft oder Werk- und Dienstleistungen in Auftrag gibt, kann sie nicht wie ein Privatunternehmer völlig frei agieren, sondern sie ist an die Vorschriften des Vergaberechts gebunden. Diese sind historisch aus dem Haushaltsrecht entstanden, das vom Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Aufgabenerfüllung beherrscht wird. Nur im Ausnahmefall dürfen Aufträge von der öffentlichen Hand freihändig vergeben werden. Auf dem Einfluss des Europarechts beruhen die Grundsätze des Wettbewerbs, der Transparenz und der Diskriminierungsfreiheit im Vergaberecht. Nicht zuletzt dient das Vergaberecht dem Ziel, durch transparente Verfahren der Korruption in der öffentlichen Verwaltung vorzubeugen. Konkret wird die Auftragsvergabe in den Verdingungsordnungen (VOL/A, VOB/A und VOF) geregelt, die über die Vorschriften der §§ 97 ff. des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und der Vergabeverordnung Anwendung finden.
2. Öffentliche Auftraggeber: Zu den öffentlichen Auftraggebern, die das Vergaberecht anzuwenden haben, gehören zunächst Bund, Länder und Gemeinden sowie sonstige Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts. Im Bereich des Gesundheitswesens gehören die kommunalen und kirchlichen Krankenhäuser sowie die Universitätskliniken dazu, ebenso Sozialversicherungsträger, wie die Krankenkassen und Berufsgenossenschaften.
3. Öffentliche Aufträge: Öffentliche Aufträge, die dem Vergaberecht unterfallen, sind vom Gesetz als entgeltliche Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern und Unternehmen definiert, die Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen zum Gegenstand haben. Lieferaufträge wiederum sind Verträge zur Beschaffung von Waren durch Kauf, Leasing, Miete oder Pacht. Damit sind die Bedarfe des öffentlichen Dienstes etwa an Büromöbeln, Hard- und Software im IT-Bereich, Dienstfahrzeugen sowie externen Dienst- und Beratungsleistungen auszuschreiben. Nicht dem Vergaberecht unterfallen der Abschluss von Mietverträgen über Büroräume und Arbeitsverträge.
4. Schwellenwerte: Die Vorschriften des GWB greifen allerdings erst dann, wenn bestimmte Auftragswerte, die sog. Schwellenwerte, erreicht sind. Diese betragen im Regelfall 209.000 Euro für Liefer- und Dienstleistungsaufträge sowie 5.225.000 Euro für Bauaufträge. Für Auftragsvergaben unterhalb dieser Schwellenwerte, also bei rund 90 % der Beschaffungsmaßnahmen, greifen die Vorschriften des GWB und der Vergabeverordnung mit ihrem effektiven Rechtsschutzsystem nicht ein. Damit wurden Vorgaben aus EU-Richtlinien umgesetzt, wonach Ausschreibungspflichten nur für größere Auftragsvolumina gelten. Wegen des Wirtschaftlichkeitsgebots, das die gesamte öffentliche Verwaltung beherrscht, finden aber die Verdingungsordnung für Leistungen (VOL/A) und die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A) auch unterhalb der Schwellenwerte Anwendung, so dass eine generelle Ausschreibungspflicht besteht. Nur die für die Vergabe von freiberuflichen Leistungen geltende Verdingungsordnung (VOF) greift bei Aufträgen unterhalb von 209.000 Euro nicht ein.
5. Ausschreibung von medizinischen Leistungen:Über die Ausschreibungspflicht von Krankenkassen und kommunalen und kirchlichen Krankenhäusern bei der Deckung ihres eigenen Verwaltungsbedarfs hinaus stellt sich die Frage, ob das Vergaberecht auch dann Anwendung findet, wenn die Krankenkassen für ihre Versicherten medizinische Leistungen „einkaufen“. Das ist z.B. der Fall, wenn sie Verträge zur Integrationsversorgung abschließen, an denen auf Seiten der Leistungserbringer private Krankenhäuser, niedergelassene Ärzte und Rehabilitationseinrichtungen beteiligt sind. Der EuGH hat bereits 2009 festgelegt (Entscheidung vom 11.6.2009, Rs. C-300/07, Oymanns/AOK Rheinland/Hamburg), dass Verträge gem. §§ 140 ff. SGB V als öffentliche Aufträge zu qualifizieren sind. Allgemein anerkannt ist mittlerweile, dass Arzneimittelrabattverträge nach § 130a VIII SGB V ebenfalls öffentlich auszuschreiben sind. Für die Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln folgt eine Ausschreibungspflicht aus § 127 I SGB V. Alternativ ist für Krankenkassen aber auch ein Vorgehen nach § 127 II SGB V möglich. In diesem Fall handeln sie mit einzelnen Lieferanten von Hilfsmitteln Verträge aus, denen andere Leistungserbringer zu gleichen Bedingungen als Vertragspartner beitreten können (sog. Vertragsmodell). Eine ausdrückliche Ausschreibungspflicht ist für den Bereich der hausarztzentrierten Versorgung in § 73b IV SGB V normiert.
6. Aktuelle Entwicklungen: Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts (Vergaberechtsmodernisierungsgesetz, kurz: VerRModG) vom 17.2.2016 wurden drei EU-Richtlinien zur Modernisierung des europäischen Vergaberechts aus dem Jahr 2014 in innerstaatliches Recht umgesetzt werden. Damit soll die Struktur des deutschen Vergaberechts im Bereich oberhalb der EU-Schwellenwerte einfacher und anwenderfreundlicher werden. Die Kommunkation im Vergabeverfahren soll in Zukunft grundsätzlich elektronisch erfolgen.
Autor(en): Dr. Eckhard Bloch