Der Geschädigte eines Honoraranlageberaters forderte von dessen Versicherer Schadenersatz. Strittig war der Ausschluss wissentlicher Pflichtverletzung.
Das Oberlandesgericht Frankfurt/Main musste sich mit einer hohen Schadenersatzforderung gegen einen Berufshaftpflichtversicherer auseinandersetzen (Urteil vom 6.7.2022, Az. 7 U 147/20, r+s 9/2022, 503-505). Der Kunde hatte über seinen Anwalt im Juli 2014 zwei Forderungen von rund 117.777 Euro und 41.082 Euro nebst Zinsen geltend gemacht und darauf hingewiesen, dass die beklagte Partei ohne Erlaubnis nach Kreditwesengesetz (KWG) Anlageberatung betrieben hatte.
Erst keine Versicherung, dann die Insolvenz
Verursacher war eine GmbH, deren Geschäftsführer in dem zugrundliegenden Verfahren als Zeuge benannt worden war. Der hatte eine Vermögensschadenhaftpflichtversicherung als Finanzanlagenvermittler nach § 34f Gewerbeordnung abgeschlossen, deren Beginn wohl der 30. Juni 2013 war. Die Anlageberatung hatte offenbar schon in den Monaten davor stattgefunden. Ob es vorab schon eine andere Versicherung gab, oder ob eine Rückwärtsversicherung bestand, war strittig, letztlich in diesem Fall aber gar nicht entscheidend.
Involviert war außerdem ein Insolvenzverwalter. Der Anlageberater musste 2014 wohl Insolvenz anmelden, und die Schadenersatzforderungen wurden Ende des Jahres 2014 angemeldet. Nachdem der Insolvenzverwalter die Forderungen zunächst bestritten hatte, wurden sie im Februar 2016 doch noch anerkannt und zur Tabelle genommen.
Kein Deckungsschutz wegen Ausschlusstatbestand
Der Versicherer kam erst durch den Insolvenzverwalter ins Spiel. Der informierte im Juli 2015 die Versicherungsgesellschaft über die Anmeldung der Forderungen. § 115 VVG ermöglicht es bei Pflichtversicherungen, Forderungen direkt gegen den Berufshaftpflichtversicherer des Anlageberaters einzureichen.
Der Versicherer allerdings teilte zwar wenige Tage später Schadennummern mit, verwies aber direkt auf den Ausschlusstatbestand der wissentlichen Pflichtverletzung. Falls der Anlageberater keine Erlaubnis nach § 32 Absatz 1 Satz 1 KWG (Gesetz über das Kreditwesen) verfügt habe, gehe der Versicherer in deckungsrechtlicher Sicht davon aus, dass der Anlageberater keinen Versicherungsschutz genieße.
Wissen um Erlaubnispflicht ist eine Kardinalpflicht
Das Gericht bestätigte das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Wiesbaden. Aus seiner Sicht habe es keine Rolle gespielt, dass der Insolvenzverwalter des Anlageberaters die Forderungen des Kunden anerkannt hatte. Das habe mit der Frage der Wissentlichkeit der Pflichtverletzung nichts zu tun.
Weiter wird ausgeführt, dass die wissentliche Pflichtverletzung dann vorliegt, „wenn ein Versicherter eine Pflichtverletzung in dem Bewusstsein der Pflicht und dem Bewusstsein, sich nicht pflichtgemäß zu verhalten, begangen hat“. Ob das der Fall ist, muss der Berufshaftpflichtversicherer beweisen. Der Beweis wird nach Meinung der Richter erleichtert, „wenn es sich um die Verletzung elementarer beruflicher Pflichten handelt, deren Kenntnis nach der Lebenserfahrung bei jedem Berufsangehörigen vorausgesetzt werden kann“. Weiter wird auch von „Kardinalpflichten“ gesprochen.
Dazu zählt, sich über Erlaubnispflichten zu informieren: „Sich darüber zu vergewissern, dass der beabsichtigte Geschäftsbetrieb über die erforderlichen Erlaubnisse und Genehmigungen verfügt, stellt aber eine elementare Berufspflicht dar.“
Sachkundenachweis als Indiz der Pflichtverletzung
Zum einen könne „grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass dem Vermittler die Vorschriften, die speziell seine berufliche Tätigkeit betreffen, geläufig sind.“ Zum anderen sahen die Richter die Tatsache als bedeutsam an, dass der Anlageberater über eine Erlaubnis als Finanzanlagenvermittler nach § 34f GewO verfügt hatte. Denn als „Inhaber einer solchen Erlaubnis“ müsse „er über weitgehende Kenntnisse verfügt und diese gegenüber der Erlaubnisbehörde nachgewiesen haben“. So wird auf die vorgeschriebene Sachkundeprüfung hingewiesen. Denn darin werden unter anderem Kenntnisse der Rechtsstellung eines Vermittlers abgeprüft.
Im Ergebnis ging der Kläger leer aus. Der Versicherer durfte den Ausschluss wissentlicher Pflichtverletzung geltend machen.
Fragwürdiges Ergebnis für Kunden
Unter Verbraucherschutzgesichtspunkten ist die Argumentation dennoch problematisch. Das Ziel der europäischen Vertriebsregulierung im Anlage- wie im Versicherungsbereich ist, den Kunden zu schützen.
Die Richtlinie MiFID II bringt das verschiedentlich in den Erwägungsgründen zum Ausdruck. Anleger sollen „ein hohes Schutzniveau“ genießen, indem „das volle Angebot der anlegerorientierten Tätigkeiten“ vom Rechtsrahmen abgedeckt werden soll. Infolge der Finanzkrise sei es das Ziel, „Anleger besser zu schützen, das Vertrauen wiederherzustellen“, heißt es in den Erwägungsgründen 3 und 4. Wer solche Anlagetätigkeiten ausübt, soll „der Zulassung (…) unterliegen“ (Erwägungsgrund 37). Auch Ausnahmen wie diejenige der deutschen Finanzanlagenvermittler und Honorar-Finanzanlagenberater sollen nur unter der Maßgabe zulässig sein, dass Anforderungen an sie gestellt werden, „die zumindest zu denen dieser Richtlinie analog sind“ (Erwägungsgrund 42).
Das läuft jedoch ins Leere, wenn ein Geschädigter seine Schadenersatzansprüche weder gegen einen Berufshaftpflichtversicherer noch gegen den insolventen Verursacher durchsetzen kann.
Das Urteil ist aber auch für Vermittler wichtig, die sehr genau prüfen sollten, ob sie alle tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten genau so in ihrer Berufshaftpflichtversicherung abgebildet und damit versichert haben. Der Einwand einer wissentlichen Pflichtverletzung kann sonst eine existenzvernichtende Wirkung entfalten.
Autor(en): Matthias Beenken