Hat ein Kunde ein gefährliches Hobby, sollte ein Versicherungsvertreter genauer hinhören. Und unterhält man einen Strukturvertrieb, gibt es Grund genauer hinzusehen.
In einem vom Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt/Main entschiedenen Fall (Urteil vom 13. Mai 2022, Az. 7 U 168/16, noch nicht rechtskräftig, VersR 17/2022, 1091-1094) warf ein Kunde seinem Versicherungsvertreter eine Falschberatung vor.
Aktiv im Motorsport
Seit 1992 wurde der Kunde von dem Vertreter in Versicherungsfragen betreut. Der Kunde betrieb mindestens seit 1993 Rennsport als Grasbahnwagenrennen-Beifahrer. In einem Formular war vermerkt worden, er habe das Hobby "Motorsport Speed-way". Für den Sport war eine Motorradsportlizenz notwendig, die vom Deutschen Motorsportverbund verliehen wird. Im Antrag auf diese Lizenz konnte man ankreuzen, ob eine Sportunfallzusatzversicherung gewünscht wird, das tat der Kunde jedoch nicht.
Im Jahr 2001 schloss der Kunde bei dem Versicherungsvertreter eine Unfallversicherung ab, die Bestandteil einer gebündelten Versicherung war, die unter anderem eine Haftpflicht- und eine Hausratversicherung enthielt.
Kurz nach Abschluss schwerer Unfall
Im Jahr 2010 wurde im Haus des Kunden im Beisein der Ehefrau ein weiteres Gespräch geführt, worin der Vertreter auf dieses spezielle Hobby angesprochen wurde. Zu dem Gespräch gibt es auch ein Beratungsprotokoll, denn es wurde ein neuer Unfallversicherungsvertrag angeraten und abgeschlossen.
Im selben Jahr 2010 erlitt der Kunde einen schweren Unfall, der unter anderem mit einem Schädelhirntrauma einherging. Die Versicherungsgesellschaft lehnte jedoch die Leistung ab. Grund: Die dem Vertrag zugrundeliegenden Unfallversicherungsbedingungen schließen Unfälle bei Teilnahme an Rennveranstaltungen aus. Der Kläger versuchte zunächst in erster Instanz beim Landgericht 165.000 Euro Leistung aus der Unfallversicherung wegen 80 Prozent Invaliditätsgrad und einer entsprechenden Progressionsvereinbarung auf die Grundinvaliditätssumme von 75.000 Euro einzuklagen, scheiterte damit aber. Die Berufung dagegen war weit überwiegend erfolgreich.
Pflichtverletzung des Vertreters
Das OLG führt in der Begründung aus, dass hier eine Pflichtverletzung des Versicherungsvertreters nach § 63 VVG vorliegt. Auch war schon das neue, seit Mai 2007 gültige Versicherungsvermittlerrecht anwendbar, weil die Unfallversicherung 2010 neu abgeschlossen worden war. Der vorherige Vertrag sei als erloschen bezeichnet worden. Auch gab es die Beratungsdokumentation, nach der über eine Unfallversicherung beraten und der Abschluss eines neuen Vertrags empfohlen wurde.
Der Vertreter hätte sein Wissen über das gefährliche Hobby einsetzen und den Kunden auf die lückenhafte Deckung hinweisen müssen. Laut Gericht hätte er erkennen müssen, dass der Kunde "irrige Vorstellungen" über den Versicherungsumfang hat. Es ließ sich auch nicht nachweisen, dass der Vertreter entweder bereits 1992 oder dann 2010 danach gefragt hatte, ob der Kunde einen anderweitigen Versicherungsschutz besitzt. Diese Pflichtverletzung oder mindestens fehlende Dokumentation gehe nun zu Lasten des beklagten Vertreters, der beweispflichtig sei, dass er den Kunden auf eine solche Deckung angesprochen hätte.
Die richtige Versicherung hätte es gegeben
Durch einen Zeugenbeweis konnte festgestellt werden, dass der Versicherer eine passende Unfallversicherung vorgehalten hätte, in der Unfälle bei Motorsportveranstaltungen eingeschlossen sind. Die Jahresprämie wäre mit 247,08 Euro gar nicht mal sehr teuer gewesen. Den behaupteten Invaliditätsgrad und damit die Berechnung der Invaliditätsleistung hielt das Gericht für nachvollziehbar.
Ins Leere liefen zudem die Versuche, dem klagenden Kunden eine Mitschuld zu geben, dafür erkannte das Gericht ebenso wenig einen sachlichen Grund wie für eine Kürzung des Schadenersatzes als Vorteilsausgleich für eine günstigere Prämie. Denn der Vertrag war gerade erst kurz vor dem Unfall neu abgeschlossen worden, es wäre also nur ein geringfügiger Betrag zu berücksichtigen. Da der Kläger zudem eine Übergangsleistung gar nicht erst zum Gegenstand der Klage gemacht hatte, wurde die ersparte Mehrprämie als verrechnet angesehen.
Obervertreter muss gesamtschuldnerisch haften
Eine Besonderheit des Falls ist, dass der Versicherungsvertreter selbst nur Untervertreter eines anderen Vertreters war. Beide waren als gebundene, erlaubnisfreie Versicherungsvertreter eines Versicherers nach § 34d Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 GewO tätig. An diesen Obervertreter, einem Strukturvertrieb, sei der Vertrieb durch den Versicherer vollständig ausgelagert worden.
Der Obervertreter muss jedoch für das Verhalten seines Untervertreters gemäß § 278 BGB einstehen. Allein die Tatsache, dass der Untervertreter eine so genannte Repräsentanz des Obervertreters besitzt, reiche hierfür aus. Es spielt nach Meinung des OLG nicht einmal eine Rolle, ob ein echtes oder ein unechtes Untervertreterverhältnis vorliegt. Letzteres wäre eine rein organisatorische Unterstellung des Untervertreters, der einen Vertretervertrag direkt mit dem Versicherer unterhält. In dem hier entschiedenen Fall war der Sachverhalt allerdings klar, dass der Vertretervertrag tatsächlich zwischen Ober- und Untervertreter besteht. Die Konsequenz ist eine gemeinsame, gesamtschuldnerische Haftung von Ober- und Untervertreter gegenüber dem geschädigten Kunden.
Fachliche Defizite ausgleichen
Der Fall zeigt zweierlei. Zum einen muss jeder Versicherungsvermittler genau hinhören, wenn ein Kunde über seine Hobbies und Risiken spricht und daraus Konsequenzen ziehen. Er kann nicht die Verantwortung später dem Kunden zuweisen, dieser könne doch auch die Versicherungsbedingungen lesen und selbst herausfinden, ob darin ein für seinen Fall essentieller Ausschluss enthalten sein könnte. Das würde den Versicherungs-Fachmann oder die Versicherungs-Fachfrau überflüssig machen, denn ohne Beratung kann man auch einfach im Internet kaufen.
Zum anderen sollten Vertriebe genauer hinsehen und ihre Untervertreter qualifizieren. Dass ein Vertreter nach mindestens 18 Jahren Tätigkeit nicht weiß, dass gefährliche Hobbies aus Standardpolicen ausgeschlossen sind, bei diesem einzigen vertretenen Versicherer aber passende Policen verfügbar wären, ist erstaunlich. Und selbst wenn es ein denkbarer Fall von individuellem Versagen war, ist die Frage, ob der Weg durch zwei Instanzen-Gerichte nötig war. Zumal die Haftung intern vermutlich an den vertretenen Versicherer weitergegeben werden dürfte.
Autor(en): Matthias Beenken