Die Versicherungswirtschaft in Deutschland steht vor der Mammutaufgabe Digitalisierung, um ihr Geschäftsmodell fit für die Zukunft zu machen. Der Druck seitens der Verbraucher steigt, die eine durchgängige Customer Journey aus anderen Branchen kennen. Gleichzeitig drängen Insurtechs auf den Markt, die die Einschränkungen durch Legacy-Systeme nicht kennen und daher freier handeln können. Gerade in der Kundenkommunikation rund um den Zahlungsverkehr schlummern aber große Chancen für Versicherer.
Oliver Bäte, Vorstandsvorsitzender der Allianz hat es in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin"„Focus“"auf den Punkt gebracht: "Es ärgert mich, wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unseren Kunden so helfen wollen, wie diese es zu Recht erwarten, und es aufgrund technischer Einschränkungen nicht können." Thilo Schumacher, Vorstandsvorsitzender der Axa Deutschland, identifiziert auf "Handelsblatt Live" den Grund in einer mangelhaften Digitalisierungsstrategie: "Digitalisierung funktioniert nur, wenn sie richtig gedacht und gemacht wird: und zwar Ende-zu-Ende."
Versicherer haben die Herausforderung angenommen
Wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten, haben doch beide die kommenden Herausforderungen für die deutsche Versicherungswirtschaft richtig erkannt, wie die Bitkom Studie zur digitalen Transformation in der deutschen Finanz- und Versicherungsbranche bestätigt: "Digitale Angebote der Versicherer werden im Durchschnitt nur mit der Note "ausreichend" bewertet. Versicherer müssen ihre digitalen Angebote weiter verbessern, um den Bedürfnissen der Kunden gerecht zu werden."
Großes Potenzial im In- und Exkasso
Keine andere Fachabteilung innerhalb eines Versicherungsunternehmens hat so häufigen und intensiven Kundenkontakt wie der Zahlungsverkehr im In- und Exkasso. Umso verblüffender ist es, dass viele Häuser diese Interaktion unterschätzen und viel zu wenig für die aktive Kundenorientierung und damit für eine verbesserte Kundenzufriedenheit nutzen.
Um das verstehen zu können, müssen wir einen Blick hinter die Kulissen werfen: Viele Versicherer befinden sich mit Blick auf ihre Unternehmensarchitektur in einem Dilemma, insbesondere in Hinsicht auf ihre Legacy-Systeme mit noch weitgehend host-basierter IT. Der gewohnte Lösungsansatz durch die Auswahl und Einführung neuer Softwarelösungen allein stellt sich immer mehr als langwierig und kostenintensiv heraus.
Zunehmende Individualisierung erfordert neue Konzepte
Gleichzeitig wird immer deutlicher, dass technische Innovation, basierend auf Digitalisierung und zunehmende Vernetzung, nicht allein mit punktuellen Verbesserungen der Infrastruktur zu lösen sein werden. Denn Kunden und der Markt insgesamt stellen heute Anforderungen, die so im Versicherungsmarkt in der Vergangenheit noch nicht umgesetzt wurden. Die zunehmende Mobilität und Individualisierung erfordern neue Konzepte. Individuelle Kundenansprache über unterschiedliche, vom Kunden gewählte Kanäle, sind nicht mehr nur ein netter Service, sondern ein Muss.
Der Druck zur Veränderung entsteht insbesondere bei den Geschäftsvorfällen an der direkten Schnittstelle zum Kunden. Zusätzlich sensibel wird die Interaktion dort, wo es ums Geld geht. Ganz konkrete Zahlen und Fakten liefert dazu die aktuelle Studie ‚Zahlungsstörungen/-ausfälle in der Versicherungswirtschaft: Bewusstsein, Prävention und Strategien im Privatkundengeschäft‘ des Instituts Ibi Research an der Universität Regensburg.
Mehr Details zur Ibi-Studie lesen Sie im zweiten Teil des Artikels.
Jürgen Balgheim ist Partner bei Krause & Schopp und berät als Unternehmens- und Facharchitekt hin zu einer zukunftsorientierten Anwendungslandschaft. Als systemischer Coach und Organisationsentwickler ist er ein Katalysator für Veränderungen, der Teams dabei unterstützt, neue digitale Ansätze zu integrieren. Sein ganzheitlicher Ansatz ermöglicht es, nicht einfach nur Technologie zu implementieren, sondern auch die Unternehmenskultur zu transformieren.
Autor(en): Jürgen Balgheim, Krause & Schopp