Pflegeversicherung ist zum Pflegefall geworden

Im Jubiläumsjahr – zehn Jahre nach ihrer Gründung – ist die Pflegepflichtversicherung defizitär und reformbedürftig. Ein Milliarden-Euro-Loch in den Kassen soll nun mit Hilfe kinderloser Rentner, die am 1. Januar 2005 noch keine 65 Jahre alt waren, gestopft werden. Während die gesetzliche Pflegerente selbst zum Pflegefall mutiert, haben die privaten Krankenversicherer erhebliche Rücklagen für ihre Versicherten mit deren privat abgeschlossenen Pflegeversicherungstarifen gebildet.

Fakt ist, dass ab 1. April 2005 den kinderlosen Rentnern unter 65 ein Zuschlag zu ihrem Pflegebeitrag von der Rente abgezogen wird. Der Gesetzgeber hat damit ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts für sich passend interpretiert, wonach die Erziehungsleistungen von Eltern beim Pflegebeitrag zu berücksichtigen seien. Damit sollten ursprünglich Familien entlastet werden. Doch angesichts der großen Finanzlöcher in der Pflegepflichtversicherung hat das Team um Bundessozialministerin Ulla Schmidt aus der Entlastung für die Einen eine Belastung für die Anderen gemacht. Kinderlose müssen jetzt mehr zahlen.

Die Pflegepflichtversicherung soll nun „umgebaut“ werden. SPD-Chef Franz Müntefering dachte bereits laut über eine weitere Bürgerversicherung nach, die neben der von ihm bisher bereits favorisierten künftigen Bürgerversicherung neben der Krankenkasse nun auch den Zusatzzweig Pflege beinhalten sollte.

Das Thema Pflegeversicherung brennt auf den Nägeln. Vor zehn Jahren, als die gesetzlichen Sozialversicherungsträger mit den privaten Krankenversicherern um den Zuschlag rangen, wer federführend Pflegeversicherungen anbieten dürfe, erhielten schließlich 940.000 Pflegebedürftige aus dieser zur Pflicht gewordenen sozialen Absicherung Leistungen. Heute gibt es bereits 1,3 Millionen derartige Pflegefälle, die ambulant betreut werden; außerdem 625.000 ältere Menschen, die in stationären Einrichtungen gepflegt werden. Experten schätzen, dass die Zahl der Pflegebedürftigen bis zum Jahr 2020 auf rund drei Millionen anwachsen werde – Tendenz steigend.

Schon vor sechs Jahren rutschte die gesetzliche Pflegepflichtversicherung in die roten Zahlen. 1999 wurden 30 Millionen Euro mehr ausgegeben als an Einnahmen vorhanden waren. Im letzten Jahr wurde der Einnahmen-/Ausgabe-Kontostand bereits um 823 Millionen Euro überzogen. Das Finanzpolster schmolz inzwischen auf 3,4 Milliarden Euro. Im Jahr 2007 werden die Reserven nach Expertenmeinung nicht nur vollständig aufgebraucht sein, sondern sogar einen Fehlbetrag von 500 Millionen Euro ausweisen. Ob das Loch nun durch die Zuschlagszahlungen der Kinderlosen gestopft werden kann, sei mehr als utopisch, kritisieren Insider.

Während dessen haben die privaten Krankenversicherer mit ihren privaten Pflegeversicherungen ein komfortables Polster an Rücklagen gebildet. Dem Finanzloch der gesetzlichen Pflegekassen standen schon im Jahr 2003 mehr als 12,6 Milliarden Euro an Rücklagen bei den Assekuranz-Unternehmen im Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV-Verband) gegenüber. „Wir nehmen jährlich zwei Milliarden Euro ein und geben nur 500 Millionen Euro aus“, verdeutlicht Ulrich Rumm, der als Vorstandsvorsitzender der Allianz Private Krankenversicherung in seinem Unternehmen selbst eine private Pflegeversicherung anbietet.

In der privaten Pflegeversicherung werde völlig anders kalkuliert, betont Rumm. Die Prämie orientiere sich nicht an dem Einkommen des Beitragszahlers, denn „egal was er verdient, er zahlt immer den gleichen Beitrag für die gleiche Altersgruppe“. Da gehe es zunächst um die Zahlung eines Risikobeitrags, den man altersunabhängig berechne. Hinzu komme ein Beitragsanteil, der für die Rücklagen gebraucht werde.

Derzeitiger Knackpunkt ist, dass in die private Pflegeversicherung nur Gesunde aufgenommen werden, bzw. eine Gesundheitsprüfung bestanden werden muss, wenn man Mitglied einer der 49 privaten Krankenversicherungs-Gesellschaften werden möchte. Das könne man jedoch schnell ändern, erklärte Rumm, und auch die private Pflegeversicherung für alle öffnen.

Vorstellbar sei, dass man die Frage neu aufrolle, was ein Kranken- und Pflegeversicherungssystem zu leisten habe. Ein solches System müsse den Ausgleich zwischen Gesunden und Kranken sowie Alten und Jungen schaffen. Es gehöre nicht zu den Grundsätzen, die heute vom Gesetzgeber verfolgt werden, die Ausgaben zwischen Arm und Reich auszugleichen. Das müsse vielmehr und eindeutig auf das Steuer- und Abgabensystem verlagert werden. Rumm: „Deshalb müssten – wie heute beim Kinder und Wohngeld – die Geringverdiener einen Ausgleich über das Steuersystem erhalten.“

Autor(en): Marianne Storck

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