Auch Akademiker können sterben

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Im Jahr 2017 hatte ein Ehepaar mit einem Versicherungsmakler einen schriftlichen Maklervertrag geschlossen. Darin ging es um die Vermittlung und Betreuung verschiedener Versicherungsverträge.

Im Mai 2020 bot der Makler den Eheleuten einen "Jahrescheck 2020" an. In einem Erfassungsbogen sollten sie angeben, ob sie Beratungswünsche haben. Das nutzten sie und gaben verschiedene Beratungsthemen an: "Planung der Altersversorgung", "Steuern sparen", "Ausbildungssparen für Kinder", "Berufsunfähigkeits-Absicherung", "Hinterbliebenen/Familien-Absicherung", "Lebens- und Rentenversicherungen" sowie "Unfallversicherung".

Am 16.7.2020 fand ein persönliches Beratungsgespräch statt. Darin wurde der Maklervertrag konkretisiert und unter anderem auf „Leben/Rente/BU/Pflege“ ausgedehnt. Der Ehemann war zu dieser Zeit der Hauptverdiener der Familie, die Ehefrau kümmerte sich hauptsächlich um die Erziehung der noch sehr kleinen Kinder. Weiter wird in der Begründung des Urteils des Oberlandesgerichts Dresden vom 26.4.2024 (Az. 3 U 79/23, beim BGH anhängig, VersR 18/2024, 1214-1218) geschildert, dass der Ehemann als Facharzt für Anästhesie mit einem Jahresgehalt von 75.000 Euro tätig war und einen Autokredit von rund 20.000 Euro Restschuld hatte.

Keine Dokumentation der Beratungsinhalte

In dem Beratungsgespräch ging es unter anderem um die Notwendigkeit einer Risikolebensversicherung. Was dazu im Einzelnen besprochen wurde, darüber besteht Uneinigkeit zwischen den Streitparteien. Eine Beratungsdokumentation hatte der Makler nicht angefertigt.

Der Ehemann verstarb überraschend und mit nur 39 Jahren am 5.12.2020 durch eine Streptokokken-Infektion. Zu diesem Zeitpunkt bestand eine Unfallversicherung ohne Todesfallabsicherung. Es gab zudem Rentenversicherungen, aber mit geringen Guthaben. Die Witwe konfrontierte den Makler am 10.12.2020 in einem Gespräch mit der Situation und verlangte einen Schadenersatz, weil keine ausreichende Todesfallabsicherung bestehe.

Eine halbe Million Euro gefordert

Über einen Anwalt bezifferte die Witwe ihre Forderung auf 500.000 Euro mit der Begründung, diese Summe hätte sie bei richtiger Beratung abgeschlossen. Eine auf den 10.5.2021 gesetzte Zahlungsfrist ließ der Makler verstreichen.

In der Klageschrift wurde als Begründung angeführt, aus einem Artikel der Zeitschrift Warentest 2019 gehe hervor, eine Absicherung des drei- bis fünffachen Jahresbruttoeinkommens für den Todesfall sei empfehlenswert, das wären hier 375.000 Euro. In dem Jahrescheck hätte der Makler zudem selbst angegeben, dass man pro Kind Ausbildungskosten von rund 50.000 Euro ansetzen müsse, hinzu kamen die 20.000 Euro Restschuld für das Auto.

Unterschiedliche Instanzurteile

In der ersten Instanz beim Landgericht wurde der Versicherungsmakler verurteilt, die 375.000 Euro als Schadenersatz zu leisten. Die restliche Forderung der Witwe wurde abgelehnt.

Das Oberlandesgericht kam in der Revision zu einem anderen Ergebnis. Denn es lehnte den Schadenersatzanspruch vollständig ab.

Keine Pflicht verletzt

Zur Begründung führte das OLG Dresden aus, dass der Makler keine Pflichtverletzung begangen habe außer der nicht angefertigten Beratungsdokumentation. Ein Schaden könne aber nicht aus der fehlenden Dokumentation, sondern nur aus der Beratung selbst entstehen. Die fehlende Dokumentation habe nur eine Relevanz für die Frage der Verteilung der Beweislast. Aber darauf kam es hier nicht an.

Denn nach Meinung des Gerichts stellte es in diesem Fall keine Pflichtverletzung dar, dass keine Empfehlung zum Abschluss einer Risikolebensversicherung abgegeben wurde. Entscheidend dafür war, dass der verstorbene Kunde im Beratungsgespräch sehr klare Vorstellungen geäußert hatte, zu welchen Themen er eine Beratung wünscht, und anderes "abgeblockt" hatte.

Das Gericht stellte weiter fest, dass es auch keine objektive Notwendigkeit gab, aus der heraus der Makler zwingend eine Risikolebensversicherung hätte empfehlen müssen. Die Vorsorge im Todesfall sei eine sehr subjektive Angelegenheit, welche finanziellen Mittel man wünsche.

Das Bestehen einer Risikolebensversicherung sei auch nicht "absolut üblich". Dazu anerkannte das Gericht Aussagen des beklagten Maklers, wonach der nur bei rund 20 Prozent seiner Kunden eine solche Versicherung abgeschlossen habe, und das nicht einmal mehrheitlich bei Haushalten mit Kindern.

Die Akademiker-Mutter soll wieder arbeiten gehen

Auch wollte das Gericht keine "objektive, besondere Gefährdungssituation" erkennen, die sich entweder aus der "besonderen Anfälligkeit für die Stabilität der Lebenssituation" in diesem Fall der Witwe oder aber aus einem erhöhten Todesfallrisiko des Kunden ergeben hätte. Es gab keine nennenswerten Kredite wie beispielsweise für ein Eigenheim, bei dessen Verlust sich die Lebenssituation einer Familie empfindlich verschlechtern kann. "Allein das Leben mit jüngeren Kindern in einem Familienmodell, in welchem ein Ehepartner Alleinverdiener ist, begründet ohne weiter Anhaltspunkte noch keine besondere Gefährdungssituation." Zudem könne die Frau als promovierte Akademikerin "jedenfalls mittelfristig" selbst wieder den Lebensunterhalt verdienen. Auch aus dem Job als Arzt drohten keine besonderen Gefahren, "wie es etwa bei einem Bombenentschärfer oder Soldaten im Fronteinsatz der Fall sein mag".

Schließlich hätte der Kunde schon selbst entsprechende Hinweise abgeben müssen, dass ihm eine Todesfallabsicherung wichtig ist. Dasselbe gelte umgekehrt für die klagende Witwe, die ihrerseits eine Absicherung für den Fall des Todes ihres Mannes hätte verlangen können.

Akademikern habe selbst "ohne finanzielles Grundwissen" klar sein müssen, dass die abgeschlossenen Rentenversicherungen keine Lebensunterhaltssicherung im vorzeitigen Todesfall sein können. Dass eine Todesfallabsicherung ohne Risikolebensversicherung unzureichend sei, wird als "Banalität" statt als „Hinweis von wesentlicher Bedeutung“ eingeordnet. Zudem dürfe man von einem Gespräch "in lockerer Atmosphäre" zwischen Studienfreunden nicht erwarten, dass Bemerkungen wie diejenige, eine Risikolebensversicherung sei erst sinnvoll, wenn man ein Haus kaufe, nicht bereits ein Abraten vom Abschluss einer solchen Versicherung sei.

Ende offen – was man daraus lernen sollte

Es wird spannend sein zu beobachten, ob sich der Bundesgerichtshof diesen Wertungen anschließt. Auffällig ist, dass das Gericht nicht auf die Rolle des Maklers als treuhänderähnlicher Sachwalter des Kunden eingeht. Ebenso ist es verwunderlich, dass aus dem schriftlich geäußerten Kundenwunsch, über "Hinterbliebenen/Familien-Absicherung" beraten werden zu wollen, sowie aus der expliziten Erweiterung des Maklervertrags auf das Thema "Leben/Rente/BU/Pflege" nicht auch eine Pflicht abgeleitet wurde, genau das zu tun.

Die sehr weitgehende Verlagerung der Verantwortung in diesem Einzelfall auf "Akademiker-Kunden", die sich schon selbst hätten konkret zu ihrem Versicherungsbedarf äußern müssen, erscheint ebenso eigenwillig wie die Auffassungen des Gerichts zum Lebensmodell von Kunden oder zur Aussagekraft einer Ausstattung von Risikolebensversicherungen ausgerechnet im Bestand des beschuldigten Maklers. Risikolebensversicherungen sind nicht die einzige Möglichkeit einer Hinterbliebenenabsicherung.

Als Makler den Kunden ein Jahresgespräch anzubieten, ist eine sehr sinnvolle Sache. Wenn der Kunde darauf schriftlich mit konkreten Beratungswünschen – vermutlich durch Ankreuzen entsprechend vorgedruckter Themen – reagiert, dann sollte hierzu allerdings auch eine Beratung angeboten und deren Ergebnis in einer Dokumentation festgehalten werden.

Autor(en): Matthias Beenken

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