Der Gesundheitsfonds und die gesetzlichen Krankenkassen haben derzeit ein Luxusproblem: Über 20 Milliarden Euro sollen sie derzeit auf der hohen Kante haben. Im Jahr 2011 nahm die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) laut Bundesgesundheitsministerium 4,16 Milliarden Euro mehr ein, als sie ausgeben musste. Grund dafür ist die bisher gute Konjunktur, die zu einer Zunahme der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung geführt hat.
Zwei Milliarden Euro Einnahmen
Seit längerer Zeit schon streiten sich Politik und GKV darum, ob die Kassen die Überschüsse "behalten" dürfen, das heißt für schlechtere Zeiten ansparen, oder aber ob sie diese den Versicherten zurückzahlen müssen. Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) schlägt dazu vor, die Praxisgebühr von zehn Euro zu streichen, die bei jedem ersten Besuch einer Arztpraxis sowie einer Zahnarztpraxis im Quartal zu zahlen ist.
Dabei geht es um immerhin 1,6 Milliarden Euro Zuzahlungen für ärztliche und 389 Millionen Euro für zahnärztliche Behandlungen, zusammen fast zwei Milliarden Euro (2011).
Arbeitgeber sehen Versicherte getäuscht
Wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" am Wochenende berichtet, hat die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) die Abschaffung der Praxisgebühr als Täuschung der gesetzlich Krankenversicherten bezeichnet.Bahr verschweige, dass die Praxisgebühr ein Teil des Ärztehonorars sei, das eigentlich die Krankenkassen zahlen müssten. Bei einer Streichung der Praxisgebühr seien entsprechend höhere Kosten für Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei den regulären Beiträgen zur GKV zu erwarten.
Regelmäßige Zuzahlung zu jedem Arztbesuch
Der BDA will die Praxisgebühr beibehalten, aber zu einer Zuzahlung umzugestalten, die Steuerungswirkung erzielt. Dabei berufen sich die Arbeitgeber auf Untersuchungen, nach denen die Deutschen im internationalen Vergleich weit überdurchschnittlich oft Arztpraxen aufsuchen. Die Quartalsgebühr hat diese Situation bisher nicht verbessert.Nach den Vorstellungen des Arbeitgeberverbands sollte eine Zuzahlung von fünf Euro für jeden Praxisbesuch eingeführt werden. Das führe zwar zu einer Mehrbelastung der Versicherten um eine Milliarde Euro, könnte aber einen wirksamen Anreiz darstellen, überflüssige Arztbesuche zu unterlassen.
Komplizierte, teure Zuzahlungsregelung
Der Vorschlag der Arbeitgeber greift allerdings zu kurz. Die ohnehin schon sehr lange Liste von Zuzahlungen wird dadurch weiter verlängert. Laut Gesundheitsministerium zahlten Versicherte 2011 zusätzlich über 1,8 Milliarden Euro in Apotheken zu. Weitere knapp 600 Millionen Euro mussten sie bei Heil- und Hilfsmitteln, knapp 700 Millionen Euro im Krankenhaus zuzahlen. Weitere Zuzahlungen betreffen Fahrkosten, Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen, Empfängnisverhütung und häusliche Krankenpflege. Insgesamt summieren sich damit die Eigenanteile der Versicherten auf über 5,2 Milliarden Euro.
Weiter kompliziert wird das System durch die so genannten IGeL-Leistungen, also Zusatzangebote der Ärzte, die die Versicherten aus eigener Tasche zu leisten haben. Deren medizinische Notwendigkeit ist zum Teil umstritten. Zu allem Überfluss werden die ständig ausufernden Ausgaben durch Budgetierungen und Zwangsrabatte intern und für den Patienten intransparent begrenzt - der merkt die Folgen erst, wenn der Kassenarzt im laufenden Quartal keinen Termin für ihn übrig hat. In der Summe sehen sich die Kassenpatienten damit einem völlig unübersichtlichen, aber viele Milliarden Euro teuren System an Selbstbeteiligungen gegenüber. Dass dieses keine Steuerungswirkung erzielt, dürfte eigentlich niemanden wundern.
Wahlkampf und Schwäche der Regierung verhindern Chancen
Ohne den anlaufenden Bundestagswahlkampf und mit einer erfolgreicher und entschlossener handelnden Regierungskoalition könnte gerade die jetzige Überschusssituation der GKV genutzt werden, eine Reform auf den Weg zu bringen, die den Versicherten wirklich nützt. Denn die hohen Überschüsse erleichtern es, eventuelle Härten für einzelne Betroffene abzufedern. In Zeiten knapper Kassen ruft jede Reform massive Widerstände Betroffener hervor.Was die Arbeitgeber in ihrem Vorschlag übersehen ist, dass eine Steuerungswirkung im Finanzierungssystem der GKV zunächst einmal voraussetzt, dass die Versicherten überhaupt wissen, welche Kosten sie verursachen.
Steuern setzt Wissen voraus
Genau das aber wird an den teuersten Stellen des Gesundheitswesens systematisch verschleiert. Während man in der Apotheke oder im Sanitätshaus erfährt, was ein Medikament oder ein Hilfsmittel kosten, hält man die Kosten des Arzt- und des Krankenhausbesuchs vor ihnen geheim. Die Behandlungen in ambulanten Einrichtungen machten 2010 immerhin 35,3 Prozent der Gesamtausgaben der GKV aus, weitere 38,6 Prozent die Behandlungen in stationären und teilstationären Einrichtungen.
Gerade hier zeigt sich eine wesentliche Stärke der privaten Konkurrenz: Privatversicherte erfahren die von ihnen verursachten Kosten und werden überwiegend zur Vorkasse gebeten. Damit ist ein völlig anderes Wissen, aber auch Interesse an den Gesundheitskosten sichergestellt. Kombiniert mit einem einfachen und übersichtlichen Anreizsystem wie beispielsweise einer Selbstbeteiligung entwickelt dies eine steuernde Wirkung. Gute Tarife justieren das feiner aus und nehmen zum Beispiel Vorsorgemaßnahmen aus der Anrechnung auf eine Selbstbeteiligung aus, damit hier dem kurzfristigen Nutzen nicht langfristig die Gesundheit geopfert und größere Kosten verursacht werden.
GKV vereinfachen - und effizienter gestalten
Die GKV könnte ihre Wettbewerbsposition in einem immer stärker konvergierenden Gesundheitssystem nachhaltig stärken, wenn sie ihren Versicherten ebenfalls Transparenz und damit das wichtige Recht der Patientensouveränität einräumen würde. Jeder Kassenversicherte würde in diesem System alle von ihm verursachten Abrechnungen vorgelegt bekommen. Kombiniert mit einer spürbaren, prozentualen Selbstbeteiligung von beispielsweise zehn Prozent würde das eine unmittelbare Steuerungswirkung erreichen. Der Patient hätte das nötige Wissen und das Interesse, um Abrechnungsfehler aufzudecken sowie unnötige Behandlungen zu vermeiden.
Mit einem Schlag wären Budgetierungen und ausufernde Zuzahlungssysteme überflüssig. Überforderungen von Geringverdienern werden schon jetzt erfolgreich durch Härtefallregelungen ausgeschlossen.Es gibt ein einziges Gegenargument: Zu viel Wissen der Patienten stört die mächtigen Lobbys im Gesundheitswesen. Ein starker und prinzipienfester Gesundheitsminister müsste damit allerdings umgehen können.
Zwei Milliarden Euro Einnahmen
Seit längerer Zeit schon streiten sich Politik und GKV darum, ob die Kassen die Überschüsse "behalten" dürfen, das heißt für schlechtere Zeiten ansparen, oder aber ob sie diese den Versicherten zurückzahlen müssen. Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) schlägt dazu vor, die Praxisgebühr von zehn Euro zu streichen, die bei jedem ersten Besuch einer Arztpraxis sowie einer Zahnarztpraxis im Quartal zu zahlen ist.
Dabei geht es um immerhin 1,6 Milliarden Euro Zuzahlungen für ärztliche und 389 Millionen Euro für zahnärztliche Behandlungen, zusammen fast zwei Milliarden Euro (2011).
Arbeitgeber sehen Versicherte getäuscht
Wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" am Wochenende berichtet, hat die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) die Abschaffung der Praxisgebühr als Täuschung der gesetzlich Krankenversicherten bezeichnet.Bahr verschweige, dass die Praxisgebühr ein Teil des Ärztehonorars sei, das eigentlich die Krankenkassen zahlen müssten. Bei einer Streichung der Praxisgebühr seien entsprechend höhere Kosten für Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei den regulären Beiträgen zur GKV zu erwarten.
Regelmäßige Zuzahlung zu jedem Arztbesuch
Der BDA will die Praxisgebühr beibehalten, aber zu einer Zuzahlung umzugestalten, die Steuerungswirkung erzielt. Dabei berufen sich die Arbeitgeber auf Untersuchungen, nach denen die Deutschen im internationalen Vergleich weit überdurchschnittlich oft Arztpraxen aufsuchen. Die Quartalsgebühr hat diese Situation bisher nicht verbessert.Nach den Vorstellungen des Arbeitgeberverbands sollte eine Zuzahlung von fünf Euro für jeden Praxisbesuch eingeführt werden. Das führe zwar zu einer Mehrbelastung der Versicherten um eine Milliarde Euro, könnte aber einen wirksamen Anreiz darstellen, überflüssige Arztbesuche zu unterlassen.
Komplizierte, teure Zuzahlungsregelung
Der Vorschlag der Arbeitgeber greift allerdings zu kurz. Die ohnehin schon sehr lange Liste von Zuzahlungen wird dadurch weiter verlängert. Laut Gesundheitsministerium zahlten Versicherte 2011 zusätzlich über 1,8 Milliarden Euro in Apotheken zu. Weitere knapp 600 Millionen Euro mussten sie bei Heil- und Hilfsmitteln, knapp 700 Millionen Euro im Krankenhaus zuzahlen. Weitere Zuzahlungen betreffen Fahrkosten, Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen, Empfängnisverhütung und häusliche Krankenpflege. Insgesamt summieren sich damit die Eigenanteile der Versicherten auf über 5,2 Milliarden Euro.
Weiter kompliziert wird das System durch die so genannten IGeL-Leistungen, also Zusatzangebote der Ärzte, die die Versicherten aus eigener Tasche zu leisten haben. Deren medizinische Notwendigkeit ist zum Teil umstritten. Zu allem Überfluss werden die ständig ausufernden Ausgaben durch Budgetierungen und Zwangsrabatte intern und für den Patienten intransparent begrenzt - der merkt die Folgen erst, wenn der Kassenarzt im laufenden Quartal keinen Termin für ihn übrig hat. In der Summe sehen sich die Kassenpatienten damit einem völlig unübersichtlichen, aber viele Milliarden Euro teuren System an Selbstbeteiligungen gegenüber. Dass dieses keine Steuerungswirkung erzielt, dürfte eigentlich niemanden wundern.
Wahlkampf und Schwäche der Regierung verhindern Chancen
Ohne den anlaufenden Bundestagswahlkampf und mit einer erfolgreicher und entschlossener handelnden Regierungskoalition könnte gerade die jetzige Überschusssituation der GKV genutzt werden, eine Reform auf den Weg zu bringen, die den Versicherten wirklich nützt. Denn die hohen Überschüsse erleichtern es, eventuelle Härten für einzelne Betroffene abzufedern. In Zeiten knapper Kassen ruft jede Reform massive Widerstände Betroffener hervor.Was die Arbeitgeber in ihrem Vorschlag übersehen ist, dass eine Steuerungswirkung im Finanzierungssystem der GKV zunächst einmal voraussetzt, dass die Versicherten überhaupt wissen, welche Kosten sie verursachen.
Steuern setzt Wissen voraus
Genau das aber wird an den teuersten Stellen des Gesundheitswesens systematisch verschleiert. Während man in der Apotheke oder im Sanitätshaus erfährt, was ein Medikament oder ein Hilfsmittel kosten, hält man die Kosten des Arzt- und des Krankenhausbesuchs vor ihnen geheim. Die Behandlungen in ambulanten Einrichtungen machten 2010 immerhin 35,3 Prozent der Gesamtausgaben der GKV aus, weitere 38,6 Prozent die Behandlungen in stationären und teilstationären Einrichtungen.
Gerade hier zeigt sich eine wesentliche Stärke der privaten Konkurrenz: Privatversicherte erfahren die von ihnen verursachten Kosten und werden überwiegend zur Vorkasse gebeten. Damit ist ein völlig anderes Wissen, aber auch Interesse an den Gesundheitskosten sichergestellt. Kombiniert mit einem einfachen und übersichtlichen Anreizsystem wie beispielsweise einer Selbstbeteiligung entwickelt dies eine steuernde Wirkung. Gute Tarife justieren das feiner aus und nehmen zum Beispiel Vorsorgemaßnahmen aus der Anrechnung auf eine Selbstbeteiligung aus, damit hier dem kurzfristigen Nutzen nicht langfristig die Gesundheit geopfert und größere Kosten verursacht werden.
GKV vereinfachen - und effizienter gestalten
Die GKV könnte ihre Wettbewerbsposition in einem immer stärker konvergierenden Gesundheitssystem nachhaltig stärken, wenn sie ihren Versicherten ebenfalls Transparenz und damit das wichtige Recht der Patientensouveränität einräumen würde. Jeder Kassenversicherte würde in diesem System alle von ihm verursachten Abrechnungen vorgelegt bekommen. Kombiniert mit einer spürbaren, prozentualen Selbstbeteiligung von beispielsweise zehn Prozent würde das eine unmittelbare Steuerungswirkung erreichen. Der Patient hätte das nötige Wissen und das Interesse, um Abrechnungsfehler aufzudecken sowie unnötige Behandlungen zu vermeiden.
Mit einem Schlag wären Budgetierungen und ausufernde Zuzahlungssysteme überflüssig. Überforderungen von Geringverdienern werden schon jetzt erfolgreich durch Härtefallregelungen ausgeschlossen.Es gibt ein einziges Gegenargument: Zu viel Wissen der Patienten stört die mächtigen Lobbys im Gesundheitswesen. Ein starker und prinzipienfester Gesundheitsminister müsste damit allerdings umgehen können.
Autor(en): Matthias Beenken