Wenn ein Kunde in jungen Jahren eine Berufsunfähigkeits-Versicherung (BU) abschließt, ist es nicht ungewöhnlich, dass sich Beruf und Einkommen erst noch entwickeln. Wie es dann aber mit der Anpassung des Vertrags aussieht, war Gegenstand eines Gerichtsstreits.
In dem vom Oberlandesgericht Brandenburg (Urteil vom 11. Januar 2023, Az. 11 U 34/22, r+s 11/2023, 526-528) in zweiter Instanz entschiedenen Fall hatte ein Ausschließlichkeitsvertreter der Klägerin, mit deren Familie er "eng bekannt war", eine Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (BUZ) vermittelt. Diese begann am 1.November 2007 und sollte 40 Jahre Laufzeit haben. Verklagt wurden der Versicherer und der Vertreter. Das Ziel war, einen Schadenersatz wegen Falschberatung zu erhalten.
Anlässe für neue und veränderte Versicherungen
Anscheinend wurde die BUZ schon während der Ausbildungszeit als Gesundheits- und Krankenpflegerin der Klägerin vermittelt und sah eine niedrige Rente vor. Zwischenzeitlich erwarb sie Grundbesitz und heiratete. Aus diesen Anlässen heraus hatte der Vertreter eine Wohngebäudeversicherung neu abgeschlossen und bestehende Haftpflicht- und Rechtsschutzversicherungen zusammengelegt.
Auch war klar, dass der Vertreter wusste, dass die Dame inzwischen eine berufliche Entwicklung gemacht hatte und ein höheres Gehalt verdiente als bei Vertragsabschluss. Sie war wohl mittlerweile als Außendienstmitarbeiterin für Medizintechnik tätig. Deshalb war die Klägerin der Meinung, hätte der Vertreter sie auf eine bedarfsgerechte Anpassung der BUZ ansprechen müssen.
Neuordnung nach befristeter Berufsunfähigkeit
Das Problem wurde offensichtlich, als die Frau zwischen Mai 2015 und August 2016 für 16 Monate berufsunfähig wurde. Die Leistungspflicht für diese Zeit anerkannte der Versicherer mit einem Schreiben vom 28. April 2017.
Etwas später, mit Schreiben vom 8. September 2017, bat die Klägerin um eine Beitragsfreistellung der Hauptversicherung und eine Umwandlung der BUZ in eine selbstständige BU. Leistungshöhe und Laufzeit sollten gleich bleiben. Mit Wirkung zum 1. Oktober 2017 wurde dies mit einer Laufzeit dann bis 2052 vollzogen, und zwar mit einer speziellen Deckung für bestimmte Berufsgruppen. Offenbar ging es dabei um eine Dienstunfähigkeitsversicherung.
1.400 Euro mehr Rente gefordert
Die Klägerin vertrat in ihrer Klage die Vorstellung, sie hätte bei korrekter Beratung des Vertreters Anspruch auf 2.000 Euro Monatsrente gehabt. Tatsächlich es gab wohl nur 599 Euro. Die Differenz, als Quasideckung bezeichnet, wurde für die Zeit der Berufsunfähigkeit als Schadenersatzforderung erhoben.
Das Gericht wies diese Klage jedoch ab. Dem Versicherer und dessen Vertreter sei keine Pflichtverletzung nachzuweisen. Außerdem hätte eine Kausalität zwischen der behaupteten Pflichtverletzung und dem eingetretenen Schaden bestehen müssen. Den Nachweis dafür hätte die Kundin erbringen müssen.
Dabei geht es um die Frage, ob der geforderte, höhere Versicherungsschutz wirklich erlangt worden wäre, wenn die vermisste Beratung durchgeführt worden wäre. Anders als bei der Annahme eines beratungsgerechten, „vernünftigen“ Verhaltens reicht es also nicht aus die Vermutung aufzustellen, der Versicherer hätte diese Erhöhung vorgenommen. Und selbst wenn, dann hätte die Kundin die eingesparte Prämie als Vorteilsausgleich gegen sich gelten lassen müssen.
Anforderungen überspannt
Das Gericht dazu: "Die Berufung überspannt die Anforderungen, die sich aus den gesetzlichen Regelungen betreffend die Beratung des Versicherungsnehmers ergeben."
Die Verpflichtung zur Befragung und Beratung bestehe zunächst einmal nur einmalig vor Vertragsabschluss. Auch ergebe sich aus der Begründung zum Gesetz zur Umsetzung der EU-Vermittlerrichtlinie, dass gerade keine anlasslose, umfassende Pflicht besteht, beispielsweise aufgrund eines Kontakts wegen einer Hausratversicherung auch nach einer Berufsunfähigkeits-Versicherung zu fragen. „Es könnte vom durchschnittlichen Versicherungsnehmer sogar als lästig empfunden werden, wenn ihm aus Anlass der Eindeckung eines bestimmten Risikos gleich eine Vielzahl anderer Versicherungen angeboten wird, die für ihn zwar nützlich sein mögen, die er sich aber vielleicht gar nicht leisten kann oder möchte.“
Kein Anlass für Beratung während der Vertragslaufzeit
Auch die Beratungspflicht des Versicherers während der Vertragslaufzeit nach § 6 Absatz 4 VVG kann nach Meinung des Gerichts nicht herangezogen werden. Der Gesetzgeber habe den Versicherer oder dessen Vertreter nicht etwa einem Versicherungsmakler gleichstellen und zum treuhänderischen Sachwalter des Versicherungsnehmers machen wollen. Der Versicherer hätte diese Kundin wohl nur dann ansprechen müssen, wenn ihm Hinweise vorgelegen hätten, dass sich die Kundin über wesentliche Vertragspunkte im Irrtum befindet, beispielsweise ihr die Höhe der vereinbarten Leistung unklar ist.
Der Vertreter hatte wohl vor Gericht auch behauptet, die Kundin mehrfach auf den Anpassungsbedarf ihrer BUZ hingewiesen zu haben. Das erfolgte aber nicht substantiiert und wurde von der Klägerin zudem bestritten. Hier hätte wahrscheinlich eine aussagekräftige Beratungsdokumentation geholfen. Aber das war auch im Ergebnis kein Nachteil für den Vertreter und seinen Versicherer, eben weil das Gericht schon gar nicht erst die Pflicht zur eigeninitiativen Ansprache der Kundin auf eine Vertragsanpassung annahm.
Das Gericht geht in der Urteilsbegründung auch kurz auf den § 1a VVG mit seiner allgemeinen Wohlverhaltensregel ein. Der aber war zum Zeitpunkt des behaupteten Verstoßes gegen Beratungspflichten noch nicht in Kraft, sodass eine weitere Prüfung hier unterbleiben musste, ob sich aus der Regel des Handelns im bestmöglichen Interesse des Kunden etwas anderes ergeben hätte.
Möglicherweise wäre der Fall anders ausgegangen, wenn es sich bei dem Vermittler um einen Versicherungsmakler gehandelt hätte. Der hätte wohl durchaus eine Beratungsdokumentation vorweisen können müssen, dass er in angemessenen Zeitabständen die Bedarfsgerechtigkeit der bestehenden BUZ überprüft oder den Bedarf zu einer Überprüfung angesprochen hat.
Autor(en): Matthias Beenken