Ein Landgerichts-Urteil, das der Verbraucherzentrale Bundesverband gegen das Vergleichsportal Verivox erstritten hat, wirft erhebliche Fragen zu den Pflichten der Versicherungsmakler auf.
"Der Versicherungsmakler ist verpflichtet, seinem Rat eine hinreichende Zahl von auf dem Markt angebotenen Versicherungsverträgen und von Versicherern zu Grunde zu legen, so dass er nach fachlichen Kriterien eine Empfehlung dahin abgeben kann, welcher Versicherungsvertrag geeignet ist, die Bedürfnisse des Versicherungsnehmers zu erfüllen. Dies gilt nicht, soweit er im Einzelfall vor Abgabe der Vertragserklärung des Versicherungsnehmers diesen ausdrücklich auf eine eingeschränkte Versicherer- und Vertragsauswahl hinweist", heißt im ersten Absatz des § 60 VVG. Was aber ist eine "hinreichende Anzahl"?
48 Prozent Marktanteil reichen nicht
Das spielte eine Rolle im Verfahren des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen gegen das als Versicherungsmakler zugelassene Vergleichsportal Verivox, das vorläufig mit einem Urteil des Landgerichts Heidelberg (Urteil vom 6. März 2020, Az. 6 O 7/19, VersR 13/220, 845-851) endete, aber nicht rechtskräftig ist und weitere Instanzen beschäftigen dürfte. Nach Meinung dieses Gerichts hätte das Vergleichsportal seine Kunden darauf hinweisen müssen, dass es nur eine eingeschränkte Anzahl von Versicherern in diesem Fall seinem Vergleich von Privathaftpflicht-Versicherungen zugrunde legt, und zwar nur diejenigen, mit denen eine Courtagevereinbarung besteht. Mit nur 49 von ungefähr 90 relevanten Versicherern und rund 48 Prozent Marktanteil dieser Versicherer habe Verivox eine beschränkte Beratungsgrundlage.
Außerdem müsse das Portal über den § 60 Absatz 2 VVG hinaus, der bei beschränkter Beratungsgrundlage eine Information des Kunden zur Markt- und Informationsgrundlage und den Namen der dem Rat zugrunde gelegten Versicherer verlangt, auch Details zur Gesamtzahl der Anbieter im Markt, deren Marktanteilen, der Anzahl einschlägiger Versicherungsprodukte und deren Merkmalen machen. Das Vergleichsportal hatte dagegen eingewendet, es informiere auf Wunsch mit einem anklickbaren Popup über die Namen der am Vergleich teilnehmenden und der nicht teilnehmenden Versicherer.
Forderung der Verbraucherschützer gehen zu weit
Allerdings befand das Gericht die Forderung der Verbraucherschützer als zu weitgehend, dass alle diese Informationen bereits beim ersten Geschäftskontakt und damit in der Phase des reinen Vergleichens zur Verfügung gestellt werden müssen. Sowohl nach geltendem deutschem Recht als auch nach entsprechender Auslegung der Europäischen Versicherungsvertriebsrichtlinie (IDD) reicht diese Information "rechtzeitig vor Abgabe der Vertragserklärung" und damit nach Ansicht der Richter erst dann, wenn der Kunde aus dem Vergleich heraus zum Online-Antrag wechseln will.
Keine Beschränkung der Beratungsgrundlage erkennbar
Peter Reiff, Professor an der Universität Trier, kritisiert in diesem Zusammenhang, dass die Klärung von Rechtsfragen zum Vermittlerrecht eigentlich nur durch solche wettbewerbsrechtlichen Verfahren erfolgt, die von Vermittler- oder von Verbraucherverbänden betrieben werden. Das Urteil selbst hält er zwar für sorgfältig begründet, im Ergebnis aber falsch. Nach seiner Ansicht liegt hier gar keine Beschränkung der Beratungsgrundlage nach § 60 Abs. 1 S. 2 VVG und damit auch anders als vom Landgericht angenommen keine Pflicht zur Information des Kunden über die Beratungsgrundlage nach § 60 Abs. 2 VVG vor. Und selbst wenn sie vorläge, hätte das Gericht die entsprechenden Informationspflichten zu streng ausgelegt.
Nach Reiffs Ansicht muss ein Versicherungsmakler zwar grundsätzlich alle Versicherungen sämtlicher Anbieter in seiner Beratungsgrundlage berücksichtigen, mit Ausnahme von ausländischen Versicherungen sowie von solchen Versicherungen, die mit einem Makler gar nicht zusammenarbeiten. Das bedeute aber nicht, dass auch alle diese verbleibenden Versicherer in einen Vergleich einzubeziehen sind, worauf schon der Begriff der "hinreichenden" Anzahl hindeutet.
Die Größten haben nicht zwangsläufig die besten Angebote
Jedenfalls bei Standardprodukten wie hier der Privathaftpflichtversicherung reiche eine Beratungsgrundlage aus, bei der aus der Vielzahl denkbarer Versicherer jedenfalls nicht ausgerechnet die bedeutsamen Versicherer ausgeschlossen werden. Die Bedeutung kann sich aus sehr verschiedenen Kriterien ergeben.
Um es mit eigenen Worten zuzuspitzen: Ein Makler könnte theoretisch seinem Vergleich alle großen Versicherer mit zusammengerechnet 90 Prozent Marktanteil zugrunde legen, würde aber trotzdem einen gravierenden Fehler begehen, wenn ausgerechnet unter den kleinen Versicherern mit den restlichen zehn Prozent Marktanteil diejenigen wären, die die leistungs- und beitragsseitig interessanten Makler-Deckungskonzepte anbieten. Der Marktanteil der Versicherer allein kann also überhaupt kein sinnvolles Kriterium für die Frage sein, ob eine hinreichende Zahl von Versicherungsverträgen und Versicherern zugrunde gelegt wurden.
Alle Makler-Geschäftsmodelle in Frage gestellt
Reiff macht weiter darauf aufmerksam, dass das Gericht vom Vergleichsportal und darüber hinaus von jedem Makler etwas Unmögliches verlangt. Denn wenn es zum Schluss kommt, dass schon bei Nichtberücksichtigung von Direktversicherern und anderen, nicht kooperationswilligen Versicherern eine Beschränkung der Beratungsgrundlage anzunehmen ist, würde das bedeuten, dass der betroffene Makler regelmäßig in allen Geschäftsanbahnungen und eben nicht mehr "im Einzelfall" die Beratungsgrundlage beschränkt. Reiff schlussfolgert, das wäre "zu Ende gedacht das Aus für alle Vergleichsportalbetreiber, ja sogar für alle Versicherungsmakler“" Kein heute am Markt umsetzbares Makler-Geschäftsmodell wäre mehr zulässig.
Reiff gesteht allerdings dem Kunden ein berechtigtes Interesse daran zu, zu erfahren, welche Versicherer in einen Marktvergleich einbezogen wurden und welche nicht. Dies könne als eine Nebenpflicht des Maklers aus § 61 Abs. 1 S. 1 VVG interpretiert werden. Diese aber sei seiner Meinung nach im hier entschiedenen Fall auch geleistet worden.
Selbst wenn eine Mitteilungspflicht der Beratungsgrundlage bestanden hätte, würde es ausreichen, die Namen der in den Vergleich einbezogenen Versicherer zu nennen. Das sei auch völlig konform mit der IDD, wenn man richtigerweise in die Mitteilungspflichten nach Art. 19 IDD schaut. Die vom Landgericht angeführten, detaillierten Informationen in der Richtlinie vorgeschalteten Erwägungsgrund Nr. 47 bezögen sich nicht auf eine explizite Pflicht zur detaillierten Aufklärung des Kunden im Einzelfall, sondern auf die Pflichten des Maklers selbst, was er in seiner Beratungsgrundlage zu berücksichtigen hat.
Eigentor der Verbraucherzentralen?
Für Versicherungsmakler wird der weitere Fortgang dieses Verfahrens von großer Bedeutung sein. Denn dies scheint das erste Verfahren zu sein, in dem der Begriff der "hinreichenden Zahl von auf dem Markt angebotenen Versicherungsverträgen und von Versicherern" näher ausgelegt wird. Das kann im Ergebnis für alle Versicherungsmakler am Markt bedeuten, mehr Klarheit, vielleicht aber auch Anpassungsbedarf in ihrem Geschäftsmodell zu erhalten. Sollte sich das Heidelberger Urteil durchsetzen, müssten die Versicherungsmakler ernsthaft prüfen, ihr Geschäftsmodell auf Mehrfachvertreter zu ändern. Selbst der Wechsel zum Honorarberater würde daran nichts Entscheidendes verbessern, das Geschäftsmodell würde sich nur noch weiter verteuern und nur in Nischensparten eine Überlebenschance haben.
Und auch die dem Bundesverband der Verbraucherzentralen angehörenden Verbraucherzentralen müssten wohl ihre Beratungsmodelle überprüfen. Jedenfalls in einer älteren Untersuchung verschiedener Verbraucherberatungen wurde festgestellt, dass die getesteten Verbraucherzentralen vereinzelt ihre Beratungsgrundlage auf diejenige von kooperierenden Versicherungsmaklern oder -beratern begrenzte. Der Rest verwendete eine bei Maklern verbreitete Software zur Auswahl von Versicherungsprodukten, die eine Filterung der Ergebnisse zuließ. Diese Filterung wurde erkennbar genutzt, um dem Kunden vor allem Direktversicherer zu empfehlen. Deren Marktanteile zusammengerechnet sind allerdings noch wesentlich geringer als diejenigen, die Verivox in diesem Verfahren als unzureichend vorgeworfen wurden.
Autor(en): Matthias Beenken