Mit dem neuen Telematik-Tarif „Fahr-und-Spar!“ will das Insurtech Neodigital im November die Marktführer Huk-Coburg und Allianz angreifen.
„Wir könnten zum diesjährigen Wechselgeschäft mit Start 1.1.2022 bis zu 50.000 Verträge abschließen“, sagte Alexander Fechner, Geschäftsführer der We Enable Service GmbH, einer Tochter der Neodigital Versicherung AG. Der neue Telematik-Tarif, der die Prämie nach dem Fahrverhalten des Versicherten bemisst, wird nicht nur über das Insurtech, sondern auch über Vermittler vertrieben. „Wir haben rund 90 Prozent des Marktes, also Vermittler und Pools, angeschlossen“, so Fechner auf der „K-Tagung Spurwechsel 2021“. Auch andere Versicherer können das Produkt unter eigenem Namen anbieten. Von den Kooperationspartner wären schon Signale gekommen, dass sogar die Nachfrage das mögliche Angebot von 50.000 Verträge überschreiten könnte.
Hoher Rabatt möglich
Ein Grund: Fahr-und-Spar! wird rabattmäßig auf dem Niveau der Huk-Coburg und Allianz angesiedelt sein. So sollen die neuen Kunden einen Willkommensrabatt von zehn Prozent im ersten Jahr und bis zu 30 Prozent Nachlass im zweiten Jahr erreichen können. Die Tarifierung wird durch einen Datenpool der Beratungsgesellschaft Meyerthole Siems Kohlruss (MSK) gesichert, in dem 17 Kfz-Versicherer mitarbeiten. Das garantiere eine Kalkulationssicherheit auf dem Niveau der Marktführer in der Kfz-Versicherung.
System erkennt Fahrer vor dem Start
Wie andere Telematik-Angebote auch, muss der Kunde eine App herunterladen, die sowohl für IOS- als auch Android-Smartphones zur Verfügung steht. Gleichzeitig erhält der Kunde ein Beacon, einen kleinen Funksender, der überall im Fahrzeug befestigt werden kann. „Wir haben uns alle am Markt befindlichen Telematik-Tarife angeschaut und so die Schwachstellen ausgemerzt“, erläuterte Fechner. So würde das System schon bei Annährung des Fahrers automatisch „scharfgeschaltet“. Der Kunde könne daher sofort losfahren und sein Fahrstil würde übermittelt und analysiert. Die Batterie des Beacon halte über drei Jahre. Mit der schnellen digitalen Technik sollen Anträge innerhalb von 15 Minuten policiert werden.
Derzeit schätzt MSK, dass es 750.000 Telematik-Verträge im deutschen Markt gibt. 90 Prozent davon würden auf die beiden Versicherer Allianz und Huk-Coburg entfallen. Weitere Anbieter sind beispielsweise Ergo mit „Safe-Drive“, DEVK mit „Fahr clever!“, ADAC mit „Fahr+Spar“, Generali mit „Telematik“, Württembergische mit „Telematik“, VHV mit „Telematik-Garant“, Signal-Iduna mit „Sijox App Drive X“ und Toyota mit „My Insurance“.
Mehrere Fahrer möglich
Wie bei Huk-Coburg und Allianz können auch bei „Fahr-und-Spar!“ mehrere Fahrer den Telematik-Tarif nutzen. So ist es möglich, dass im System bis zu fünf Handy-Nummern hinterlegt werden. „Dann können die Familienmitglieder vergleichen, wer am besten fährt“, so Fechner. Bis Ende 2022 soll in Deutschland die Millionengrenze bei Telematik-Verträgen überschritten werden und schon 2025 wird mit zehn Millionen „Pay-as-you-drive“-Verträgen gerechnet. Fechner: "Wir sind sicher, dass sich Telematik in der Autoversicherung durchsetzen wird. "So ist es ungerecht, dass junge Fahrer in regulären Kfz-Tarifen jahrelang ihre Fahrkompetenz beweisen müssen." Grundsätzlich erhalten junge Fahrer in klassischen Angeboten nur einen marginalen Schadenfreiheitsrabatt, der lediglich jährlich steigt, wenn schadenfrei gefahren wird. „Unsere Kunden müssen aber auch mit einem Malus rechnen, wenn ihr Fahrkönnen nachlässt", erläuterte Fechner.
Künftig Fahrer versichern
Die Autoversicherung könnte durch die Telematik vor einem grundlegenden Wandel stehen. So denkt Neodigital darüber nach, mit dem Beacon auch eine Art Nachbarschafts-Sharing-Modell aufzubauen. Autos können dann getauscht werden und jeder zahle seine dem Fahrstil entsprechende Prämie. In diesem System könnten künftig statt Autos die Fahrer versichert werden. „Das ist ein Zukunftstrend“, bestätigte Ute Apel, Head of Underwriting Motor/Retail bei der Ergo Group AG. Es gäbe in der Branche eine intensive Diskussion darüber, ob künftig jeder Autofahrer nicht einen übertragbaren „Score“, also eine Fahrerbewertung erhält, die seine Versicherungsprämie bestimmt, wenn er eine Kurzzeitpolice bei der Anmietung eines fremden Fahrzeuges erhält.
Der Markt könnte sich dahin bewegen, dass man in Städten nur noch fremde Fahrzeuge nutzt. So gebe es wahrscheinlich gar nicht genügend Ladekapazität, um künftig, wenn sich das E-Auto durchsetzt, die gleiche Zahl der Fahrzeuge wie heute zu betanken. „Warum soll ich mir ein Auto kaufen, wenn ich mir ein volles rufen kann“, sagte Apel. Auch neue Technik könnte bei Telematik für einen weiteren Schub sorgen. So gäbe es mittlerweile mit „Mobileye“ und „Peregrine“ zwei Anbieter, die per Kamera die Fahrsituation mitaufnehmen würden. Apel: „Solche Informationen könnten mit in einen Telematik-Tarif einfließen“ Bisher würde die Technik aber nur im Ausland bei Kfz-Flotten eingesetzt.
Grünes Fahren belohnen
Die Autoversicherer haben nach Meinung von Marcus Reichenberg, Gründer der Greensurance Stiftung, eine Bringschuld für Nachhaltigkeit. Daher sollten sie Autofahrer belohnen, wenn diese Fahrzeuge mit geringem Verbrauch nutzen. „Einen Tarifnachlass sollte es für Autofahrer geben, die Fahrzeuge mit einem Verbrauch unter 95 Gramm CO2 pro Kilometer nutzen“, so Reichenberg. Umgerechnet wäre das ein Verbrauch von 3,6 Liter Diesel und 4,1 Liter Benzin pro Kilometer. Fahrzeuge mit höherem Verbrauch sollten einen Zuschlag erhalten.
Reichenberg: „Nachhaltigkeit hat nach unserer Einschätzung immer einen akturiellen Wert.“ Diese Kunden würden vorausschauender fahren und weniger Unfälle verursachen. Auch wer ein geräuscharmes Fahrzeug nutze oder eine CO2-Kompensation nachweise, sollte künftig belohnt werden. Solche Autobesitzer würden nicht mehr mit Tempo 150 über die Autobahn fahren, weil es dann für sie teuer wird.
Autor(en): Uwe Schmidt-Kasparek