Zweitbeste Pflege-Lösungen taugen nichts

Im Streit der Parteien um die künftige Finanzierung der gesetzlichen Pflegeversicherung gibt es einen neuen Kompromissvorschlag. Laut Koalitionsvertrag sollte die Pflegeversicherung eigentlich mit einer "Demografierücklage" versehen und so auf höhere Leistungen und Beitragssätze vorbereitet werden. Stattdessen sollen die Bürger nun ihre eigene Altersvorsorge ausbauen und dafür das zu erweiternde staatliche Förderinstrumentarium der Riester-Rente nutzen. Das wäre mit Vor- und Nachteilen verbunden. Größter Nachteil: Die Pflegeversicherung wird nicht demografiefest. Daher setzt die Kritik auch am größten Geburtsfehler an, der nun nicht beseitigt würde: "Man hätte die soziale Pflegeversicherung 1995 nicht als Umlagesystem einführen sollen", sagt Professor Bert Rürup. "Nur theoretisch gibt es noch die Chance, in ein Kapital gedecktes System umzusteigen", ergänzt der Regierungsberater und Chef des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Dies wäre die ökonomisch beste Lösung. "Aber ich habe Zweifel, dass ein solcher Systemwechsel politisch durchsetzbar ist. Deswegen wird man leider nach zweitbesten Lösungen suchen müssen", erklärte Rürup in einem Interview mit der F.A.Z.

Eine zweitbeste Lösung sei auch die Demografierücklage innerhalb des Systems. Bei einer solch kollektiven Kapitalansammlung in einem quasi staatlichen System kann niemand garantieren, dass der Kapitalstock nicht zweckentfremdet wird. Zudem erfordere der Aufbau eines solchen Kapitalstocks für viele Jahre höhere Beitragssätze. Zu einer Entlastung zukünftiger Beitragszahler kommt es erst dann, wenn diese Reserve abgeschmolzen wird.

Eine andere zweitbeste Lösung sieht Rürup im Ausbau der Kapitaldeckung im privaten oder betrieblichen Vorsorgesparen (Riester-Rente). Dies führe mittel- und längerfristig zu einem höheren Alterseinkommen. Dann wäre es für die Rentner leichter, den bei einer Leistungsdynamisierung notwendigen spürbaren Anstieg des Pflegebeitrags zu verkraften. Innerhalb einer umlagefinanzierten Pflegeversicherung sei dies die einzige Möglichkeit, die Umverteilung zu Lasten der Jüngeren zu reduzieren. Auch hätten die zukünftigen Rentner bessere Chancen, auf ein höheres Alterseinkommen anzusparen. Und zwar mit staatlicher Hilfe, indem die heutigen Fördergrenzen für die Betriebs- und Riester-Rente angehoben werden. "Eine Anhebung der Förderung bei der Riester-Rente und der betrieblichen Altersvorsorge um 0,5 Prozentpunkte sollte ausreichen, die aus der Pflegeversicherung erwachsenden Belastungen der Rentner mehr als zu kompensieren", sagte Rürup der F.A.Z.

Der Professor rechnet vor: Wenn heute ein 50 Jahre alter Durchschnittsverdiener mit 30.000 Euro Jahresverdienst einen Betrag von 1.200 Euro im Jahr spart, einschließlich staatlicher Zulagen, dann kann er nach 15 Jahren mit einer lebenslangen Riester-Rente von etwa 110 Euro pro Monat rechnen. Würde er 4,5 Prozent seines Einkommens oder 1.350 Euro sparen, würde er eine Riester-Rente von etwa 125 Euro bekommen. Wer 30 Jahre spart, kommt etwa auf den dreifachen Wert. Diese Differenz sollte bequem für den erhöhten Pflegeversicherungsbeitrag ausreichen.

Zugleich wird über eine Ausweitung der Leistungen der Pflegeversicherung diskutiert. "Falls weiterhin an der statischen Höhe der derzeitigen Leistungen festgehalten wird, führt das zu steigenden Zuzahlungen der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen bzw. zunehmender Abhängigkeit von der Sozialhilfe", fürchtet Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen. Das könnte bis zu 0,5 Prozentpunkte kosten. Rürup schätzt, dass dies bei nur leichten Leistungsverbesserungen für maximal zehn Jahre reichen könnte. Derweil kommen täglich neue Vorschläge zur Pflegereform aus der Politik. "Ich habe große Sorge, dass der Murks der Gesundheitsreform bei der Pflegeversicherung fortgesetzt wird", sagte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt dem "Handelsblatt".

Dabei hatte der PKV-Verband schon vor zwei Jahren sinnvolle Vorschläge unterbreitet. Kernpunkt: Wenn die gesetzliche Pflegeversicherung um eine Kapital gedeckte Komponente erweitert wird, ist sie finanziell zu retten. Im Mittelpunkt stehe dabei die Dynamisierung der Pflegeleistungen, die ausschließlich durch Kapitaldeckung finanziert werden soll - mit einem sozialverträglichen Einstieg.

Zur Erinnerung die Ideen:

- Die Leistungen der Pflegeversicherung werden jährlich um zwei Prozent dynamisiert.

Diese dynamisierten Leistungen werden von der privaten Pflegeversicherung erbracht.

- Der Beitrag für die private Pflegeversicherung beträgt in der Startphase 8,50 Euro im Monat und erhöht sich jährlich um ein Euro. Kinder werden beitragsfrei mitversichert (bis 18).

- Die undynamisierten Leistungen übernimmt, wie bisher, die soziale Pflegeversicherung. Der gesetzliche Beitragssatz kann dauerhaft stabilisiert - und ab 2030 - sogar gesenkt werden.

Autor(en): Detlef Pohl

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