Viele Menschen arbeiten heute am Computer, was den Rücken stark belasten kann. Im dritten Teil dieser Serie beschreiben Bettina Halbach und Helene Moser, wie ein gezieltes Aktivieren der Muskeln des Beckenbodens nach der Franklin-Methode hilft, rückenschonend zu sitzen.
Beckenboden-Power
Das Workout besteht aus sanftem Berühren, Spüren und Imaginieren des Beckenbodens. Dabei bewegen die vier knöchernen Eckpunkte des Beckenbodens sanft die Muskeln, die an ihnen haften - und umgekehrt. Für das Workout braucht es lediglich ein paar Minuten Zeit pro Tag und den Willen zur Selbstaufmerksamkeit, dann sitzen wir bald mühelos aufrecht. Das Wissen um den Aufbau und um die Funktion des Beckenbodens macht es leichter, sich in dieses Training mit Hilfe der Imagination hineinzudenken.
Eine gefüllte Flasche steht Kopf
Wenn wir eine gefüllte Wasserflasche öffnen und diese mit der Öffnung nach unten halten, fließt der Inhalt heraus. So ginge es auch unseren Organen, wenn es den Beckenboden nicht gäbe: Sie würden zu Boden fallen. Der Beckenboden trägt die inneren Organe, er bildet einen Durchgang für die Harnröhre, für die Sexualorgane und für den Darm. Als Gegenspieler des Zwerchfells wirkt er ferner bei der Atemkoordination mit.
Dabei ist der Beckenboden zwischen seinen knöchernen Eckpunkten, dem Steißbein, den Sitzhöckern und dem Schambein aufgehängt. Er besteht aus drei Schichten. Die Fächermuskeln bilden die innerste Schicht. Sie setzen hinten am Steißbein an und laufen nach vorne. Unter ihnen liegt die mittlere Schicht. Sie setzen vorne am Schambein an. Ihre Endpunkte bilden der rechte und der linke Sitzhöcker. Die äußerste und unterste Muskelschicht sind die Schließmuskeln, sie bilden eine Achter-Schlaufe.
Status Quo
Wir legen eine kleine Computer-Pause ein: Zu Beginn des kurzen Trainings gehen wir einige Schritte durch den Raum: Wie fühlen wir uns auf einer Skala von 1 (steif und unangenehm) bis 10 (sehr angenehm)? Wir merken uns wo wir stehen für den Vergleich nach dem Workout. Nun geht es weiter:
Den Beckenboden berühren, imaginieren und spüren
Schon die Konzentration auf den Beckenbereich führt eine Änderung im Beckenboden- und im Gehgefühl herbei. Der Beckenboden hat eine linke und eine rechte, eine vordere und eine hintere Hälfte, eine vordere und eine hintere rechte Ecke und eine vordere und hintere linke Ecke:
Zunächst berühren wir mit dem Zeigefinger der rechten Hand den rechten Sitzhöcker und legen den Zeigefinger der linken Hand auf den rechten Schambeinast vorne am Becken. Zwischen den Fingern liegt nun der Bereich der vorderen rechten Beckenbodenecke. Nun berührt die linke Hand den linken Sitzbeinhöcker und die rechte Hand das Steißbein. Zwischen den Fingern liegt der Bereich der hinteren linken Beckenbodenecke. Jetzt berührt die linke Hand den linken Sitzhöcker und die rechte Hand das linke Schambein. Damit ist die Aufmerksamkeit bei der linken vorderen Ecke des Beckenbodens. Nun berührt noch die rechte Hand den rechten Sitzbeinhöcker und die linke Hand das Steißbein. Das ist der Bereich der rechten hinteren Beckenbodenhälfte.
Dieses bewusste Wahrnehmen des Beckenbodens lässt sich intensivieren wenn wir den Atem jeweils in das Viertel, das wir gerade berühren schicken. Können wir spüren, wie die Übung auf uns wirkt? Fällt es uns jetzt zum Beispiel leichter die Beine zu beugen und zu strecken als vorher?
Das Steißbein schwingen
Nun aktivieren wir die Muskeln zwischen den einzelnen Eckpunkten des Beckenbodens, also zwischen Steißbein und Schambein und zwischen den Sitzhöckern: Dazu schwingen wir das Steißbein im aufrechten Stand aktiv in Richtung Schambein, beziehungsweise wir stellen uns das bildlich vor. Die Aktion des Steißbeins geschieht durch die Kontraktion der Muskeln, die vom Steißbein zum Schambein ziehen. Wenn wir das Steißbein im Gedanken oder aktiv wieder zurück schwingen geschieht dies durch das Verlängern der Muskeln zwischen Schambein und Steißbein. Es kann sein dass es bei dieser Übung bei einer diffusen Muskelkontraktion bleibt. Doch alleine schon diese Muskelkontraktion kräftigt bereits den Beckenboden.
Mit dem Abstand der Sitzhöcker spielen
Im Weiteren geht es um den Bereich zwischen den Sitzhöckern. Dazu visualisieren wir unseren Beckenboden aus der Vogelperspektive. Wir atmen auf "SSSS" aus und stellen uns dabei vor, wie sich der Abstand zwischen den Sitzhöckern weitet. Danach atmen wir eine Weile ohne das Tönen auf "SSSS" ganz normal und wiederholen anschließend die Imagination mit begleitender "SSS"-Atmung. Wie ist das? Was geschieht, wenn wir umgekehrt den Abstand zwischen den Sitzhöckern verkleinern, während wir auf "SSSS" ausatmen?
Rund herum
Nun sollen noch die Muskeln zwischen dem linken und rechten Sitzhöcker und dem Steißbein (hinteres Knochen-Dreieck) sowie die Muskeln zwischen dem linken und rechten Sitzhöcker und dem Schambein (vorderes Knochen-Dreieck) geweckt werden. Dazu berühren wir zunächst den rechten Sitzhöcker und das Schambein. Dann den rechten Sitzhöcker und das Steißbein, dann das Steißbein und den linken Sitzhöcker. Und zuletzt den linken Sitzhöcker und das Schambein. Wir stellen uns während jeder einzelnen Berührung vor, ein Gummiband zieht die Knochen näher zusammen und längt sich wieder.
Der Vergleich
Zum Abschluss des Trainings gehen wir einige Schritte durch den Raum. Wie fühlt es sich das Gehen nun an? Vielleicht ist die Körpervorderseite aufrechter und der Gang eleganter? Wo stehen wir auf unserer Skala von 1 bis 10, sind wir jetzt der 10 näher? Wir haben die Funktion der Muskeln des Beckenbodens verkörpert: Diese Verkörperung der Funktion hat die Funktion verbessert. Dass wir uns diesen Moment Zeit zum Spüren und zum Vergleichen des Bewegungsgefühls vor und nach einer Übung nehmen ist wichtig für unser Bewegungslernen. So erzielen wir raschere Fortschritte.
Wir können uns ein Bild von dem Beckenboden-Gefühl das wir jetzt haben, im Gedächtnis abspeichern und uns im Alltag gelegentlich so bewegen, als hätten wir soeben unsere Beckenboden-Power geweckt. Wenn wir das Workout einmal oder mehrere Male im Stehen absolviert haben wird es uns leicht fallen, auch im Sitzen und während wir am Computer arbeiten mit den Images zu üben, lediglich die knöchernen Eckpunkte des Beckenbodens können wir dann nicht berühren. Vielleicht macht es uns zusätzlich Spaß, die Sitzhöcker als Füße zu imaginieren und eine Sitzhöckerwanderung auf unserem Stuhl zu unternehmen (siehe Abbildung). Probieren wir es aus!
Über die Franklin-Methode
Die Franklin-Methode fördert kognitive Fähigkeiten zur Harmonisierung von Bewegungsabläufen und Körperfunktionen. Sie entstand in den 1980er Jahren, die Ursprungswissenschaft ist die Ideokinese (Ideo = Idee, Kinesis = Bewegung) aber es fließen auch Elemente der Sportwissenschaft, die Psychomotorik sowie verschiedene Bewegungslehren ein. Die wichtigsten Kennzeichen der Methode sind eine spezielle Lernspirale, Imagination und Verkörperung. Imaginiert wird in Ruhe, im Rahmen von Alltagstätigkeiten oder beim Sport. Einsteiger begleiten zunächst ganz einfache Gymnastik oder Alltagsbewegungen wie Gehen, Stehen, Sitzen und Liegen mit Vorstellungsbildern, um dann später auch während komplexeren Bewegungen ihre Vorstellungskraft gezielt einsetzen zu können. Dabei liegt den Vorstellungsbildern eine bestimmte Systematik zugrunde.
Die Ernährungswissenschaftlerin Bettina Halbach ist lizenzierte Trainerin der Franklin-Methode und arbeitet als freie Journalistin. Helene Moser ist Doktorandin sowie Therapeutin und Lehrerin der Franklin-Methode. Außerdem ist sie als internationale Dozentin in der Beckenbodenrehabilitation tätig und führt eine eigene Physiotherapiepraxis.
Siehe auch:
Wie wir uns bei der Arbeit am Schreibtisch wohler fühlen
Wie wir unseren Bandscheiben Gutes tun können
Autor(en): Bettina Halbach, Helene Moser