Über innovative Versicherungen gibt Stephen Voss, Gründer und CEO Insurtech Neodigital Versicherung AG, Auskunft. Versicherungsmagazin online veröffentlicht das Interview von springerprofessional.de (Fachgebiet Versicherung + Risiko) in Auszügen.
Was sind die Vorteile von adaptiven gegenüber situativen Versicherungsprodukten?
Das ist sehr einfach erklärt. Situative Produkte werden in dem Moment kurz vor dem tatsächlichen eintretenden oder erhöhten Risiko des Kunden von ihm in diesem Moment komplett neu abgeschlossen. Er trifft also kurzfristig eine Entscheidung – in einer Situation in der sie oder er vielleicht gar nicht gerne an das damit verbundene Risiko denken möchte. Bei dem adaptiven Produkt legt der Kunde eine mögliche Risikoabdeckung schon weit vorher, in der Regel zu Vertragsbeginn, fest und zwar nur für den Umstand, dass diese Risiko-Situation auch eintritt. Das Beispiel Skifahren macht das deutlich: Der Kunde entscheidet beim Vertragsabschluss, dass er eine erhöhte Leistung bei einem Skiunfall möchte. Diese Leistung gilt nur dann und wird auch nur dann berechnet, wenn der Kunde tatsächlich am Skifahren ist. Dabei geschieht die Ermittlung, ob er gerade auch wirklich Ski fährt, am besten automatisch, etwa über das Smartphone oder über eine Smartwatch. Die Rückfrage in der Gondel, ob er eine Extra-Versicherung wünscht, entfällt, wie beim situativen Modell.
Welche Daten werden für die jeweiligen Produkte benötigt?
Im Grunde nicht viel mehr als in einem klassischen Vertrag auch, nur müssen die über ein smartes Device oder durch den Kunden selbst eingegeben Information zur Risikosituation übertragen werden. Dies kann anhand der GPS-Daten eines Smartphones oder einer Smartwatch vollkommen automatisch erfolgen. Stellt das Device fest, dass der Kunde sich im Winter in einem Skigebiet befindet, wird der Schutz automatisch aktiviert, wobei natürlich immer noch eine Opt-Out-Option für den Kunden möglich ist, denn vielleicht fährt er nur auf die Alm mit der Gondel zum Mittagessen, auch dafür muss Raum in der Police gelassen werden.
Wie lässt sich umschiffen, dass Smartphone-Besitzer den Ortungsdienst deaktivieren, um der temporären Umstellung auf Tarife mit größerer Risiko-Einstufung zu entgehen?
Nun ja, das ist ein Thema, das nicht nur adaptive Modelle betrifft. In diesem Fall entgeht dem Kunden im Wesentlichen ja eine verbesserte Leistung. Der Beinbruch ist ja auch in der normalen Unfallversicherung abgesichert und bedarf keiner adaptiven Erfassung. Er erhält also im Falle des Skiunfalls erhöhte Leistungen, beispielsweise für eine bessere Versorgung im Urlaubsort oder im Ausland. Schaltet er die Datenübertragung beim adaptiven Modell aus, entzieht er sich also selbst einer besseren Leistung und der Versicherer reguliert nur den klassischen Beinbruch. Wir verstehen adaptiv als Erweiterung der Risikoabsicherung an, also Zusatznutzen für den Kunden, das bedeutet, dass meine Unfallversicherung nicht gänzlich auf adaptiver Erfassung besteht, sondern ich in erster Linie Zusatzleistungen durch adaptive Modelle versichere. Nehmen Sie das Beispiel Auto. Ich habe eine reguläre KFZ-Versicherung. Durch ein adaptives Add-on könnte ich aber zusätzlich versichern lassen, dass ich ab und zu auch einmal über die Rennstrecke fahre. Beim adaptiven Modell muss ich für diese zusätzliche Leistung keinen pauschalen Preis zahlen, sondern nur dann, wenn ich auch wirklich über die Rennstrecke fahre und auch nur für den genauen Zeitraum, bis ich wieder auf Straßen mit Straßenverkehrsordnung unterwegs bin.
Was erwarten Kunden heute von einer innovativen Versicherung?
Klare Transparenz, Einsicht in die notwendigen Vertragsunterlagen, Policen und Nachträge von überall und jederzeit. Moderne Kunden sind ganz klar konditioniert von Amazon und Co. Auch in Versicherungsangelegenheiten erwartet diese Kunden eine Übersicht ihrer Verträge, analog zu der Übersicht meiner Bestellungen bei einem Online-Händler. Gleiches gilt für den Service. Hier verlangt der Kunde jederzeit Einsicht und optimalerweise sofortige Information, sollte sich der Status der Serviceanfrage ändern. Ein moderner Versicherer mit einer stringenten digitalen Ausrichtung kann genau diese Informationen in Echtzeit vorhalten und zur Verfügung stellen. Und auch der Faktor Geschwindigkeit wird immer wichtiger: Der Kunde, der die Versicherung abschließt, möchte nicht sieben Tage auf die Police warten, er erwartet sofort eine Bestätigung, dass er versichert ist. Ein gutes Beispiel dafür ist die Tierhalterversicherung: Der Hundehalter hat an alles gedacht, Tierfutter, Leine, Hundeschule, nur an die Tierhalterhaftpflicht nicht. Nun steht er am Zaun der Hundeschule, denn ohne THV kommt er nicht rein, er braucht also eine schnelle Deckungszusage. Er muss also mobil eine THV abschließen, die Police digital bestätigt bekommen, sodass er diese schnell beim Hundetrainer vorzeigen und auf den Hundeübungsplatz kann. Das geht nur im digitalen Modell.
Wie lassen sich solche Produkte fair berechnen?
So wie sich andere Risikoparameter auch berechnen lassen, nur muss der Versicherer diese begrenzten Zeiträume in seinem Produktmodell darstellen und auch abrechnen können. In der normalen Versicherung wird das Schadenereignis in seiner Eintrittswahrscheinlichkeit über den Zeitraum, beispielsweise ein Jahr als Durchschnitt ermittelt. In der adaptiven Form ist der Zeitraum der Schadeneintrittswahrscheinlichkeit viel kürzer, oder tritt gegebenenfalls gar nicht ein, weil der Kunde im entsprechenden Abrechnungszeitraum überhaupt nicht Skifahren geht. Da der Durchschnitt für einen kürzeren Zeitraum mit erhöhtem Risiko ermittelt wird, ist der Durchschnitt absolut (also der Schadenbedarfswert) höher, wird aber nur auf wenige Tage angerechnet. Gut zu vergleichen mit einer Dauerkarte für das Schwimmbad. Diese ist über das Jahr gerechnet im Schnitt auch günstiger als die Einzelkarte, aber die wenigsten gehen so oft ins Schwimmbad. Da macht es mehr Sinn, öfter eine Einzelkarte zu kaufen.
Autor(en): Versicherungsmagazin.de