Der Klimawandel bedroht immer häufiger Wohngebäude. Ein Leitfaden des GDV will einen klimaresilienten Wiederaufbau fördern, der Bund der Versicherten gibt Tipps zur Vermeidung solcher Schäden.
Mit über neun Milliarden Euro war die Sturzflut „Bernd“ im Juli 2021 das bislang teuerste Schadenereignis in der Sachversicherung. Das entsprach immerhin rund zwölf Prozent der gesamten Prämieneinnahmen der Schaden-/Unfallversicherer dieses Jahres. Neben solchen herausragenden Einzelereignissen nehmen aber auch die Frequenz der Naturkatastrophen und die durchschnittlichen Schadenhöhen immer weiter zu.
Prävention stärken
„Für ein wirksames Management von Klimawandelrisiken ist Prävention ein wichtiger Schlüssel“, so der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) in seinem neuen Leitfaden „Build Back Better“. Der richtet sich in erster Linie an die Versicherungsunternehmen.
Seine Botschaft lautet: Es bedürfe „präventiver Handlungen, die über das Neuwertversprechen hinausgehen“. Die Versicherungsbedingungen sollten freiwillig um „nachhaltige“ Leistungen ergänzt werden, die dem Gebäudebesitzer wie dem Versicherer künftig nutzen werden.
Nicht für alle Naturgefahren
Dabei fokussiert sich der Leitfaden auf die Reparatur bzw. den Wiederaufbau von Wohngebäuden nach einem Extremwetterereignis oder einer sonstigen Naturkatastrophe. Für die Gefahren Hagel, Überschwemmung, Sturm, Blitz, Überspannung und Schneedruck werden jeweils eine Gefährdungsbeschreibung, die Schutzziele, geeignete Schutzmaßnahmen und eine Kosten-Nutzen-Analyse dargestellt. Nicht enthalten sind klimawandelbedingt ebenfalls zunehmende Risiken wie beispielsweise Sturmflut, die immerhin ein norddeutscher Versicherer im Rahmen der Elementarschadenversicherung eingeschlossen hat, ebenso wenig Erdrutsche und Erdsenkungen.
In einer Mitgliederveranstaltung machte der Bund der Versicherten e.V. vor kurzem zusätzlich auf das wachsende Risiko des Trockenfallens von Böden aufmerksam, was ebenfalls die Standfestigkeit von Bauwerken gefährdet. Solche Risiken schließen die marktüblichen Bedingungen für die Elementarschadenversicherung bislang aus.
Strukturiertes Vorgehen ohne ausreichende Datenbasis
Der GDV schlägt in seinem Leitfaden ein Vorgehen in vier Schritten vor. Zunächst sollten die objektbezogene Exponierung und die Bausubstanz des Gebäudes erfasst werden. Im zweiten Schritt wären Schutzziele abzuleiten, im dritten Schritt zusätzliche Schutzmaßnahmen zu prüfen und diese im vierten Schritt einer Wirtschaftlichkeitsanalyse zu unterwerfen.
So einfach umsetzbar ist das noch gar nicht immer. Denn ungeachtet einer engagierten Klimapolitik der Europäischen Union und auch Deutschlands fehlt es an fast allen Ecken und Enden an Standards und an Daten.
Beispiel Hagelrisiko: Hier stützt sich der GDV „mangels hinreichender Datengrundlage (…) für die Bestimmung eines Schutzziels“ auf Vorarbeiten aus Österreich und der Schweiz. So habe die Schweiz fünf Hagelwiderstandsklassen definiert, von HW 1 bis HW 5. Die Zahl steht dabei für den Durchschnitt des Hagelkorns in Zentimetern, denen das Gebäude oder seine Bestandteile und Anbauten standhalten müssen. Empfohlen wird mindestens die mittlere Hagelwiderstandsklasse einzuhalten, sodass Hagelkörner von drei Zentimetern Durchmesser keinen Schaden anrichten können.
Dazu gibt es ein Hagelregister. Die österreichische Version beispielsweise enthält Bezugsnachweise unter anderem für Dachziegel, Dichtungsbahnen, Bleche, Paneele oder Schindeln mit entsprechender Klassifizierung nach der Hagelwiderstandsklasse. Das für Deutschland, Österreich und die Schweiz geplante Hagelregister sei aber noch im Aufbau.
„Derzeit gibt es keine definierten Schutzziele“, heißt es auch bei den Themen Blitzschlag oder Sturmrisiken. Naheliegende Maßnahmen gegen Sturmschäden können die Verklammerung von Dachziegeln und die regelmäßige Kontrolle der Dächer und Beseitigung selbst kleiner Beschädigungen sein, die dem Wind Angriffsfläche bieten. Durch technische Normen besser erschlossen sind die Gefahren Überspannung sowie Schneedruck.
Überschwemmungsschäden vermeiden
Um das Überschwemmungsrisiko zu beherrschen, werden drei Strategien vorgestellt. „Ausweichen“ wäre beispielsweise der Wiederaufbau an einem anderen oder an einem angeschütteten Standort. „Widerstehen“ bedeutet, das Eindringen von Wasser in das Gebäude oder den Rückstau durch bauliche Ertüchtigung des Mauerwerks und aller Öffnungen und Leitungen zu verhindern. „Anpassen/Nachgeben“ können die Verwendung wasserunempfindlicher Baumaterialien, die Verlagerung von Wohnräumen und technischen Geräten in Obergeschosse oder das Verhindern des Aufschwimmens beispielsweise einer Tiefgarage durch Befüllung mit Leitungswasser sein.
Wer wissen will, wie gefährdet das eigenen Grundstück ist, findet Hinweise beim „Hochwasser-Check“ des GDV. Der Bund der Versicherten nennt weitere Informationsportale wie GIS Immorisk Naturgefahren, Hochwasser Kompetenz Centrum e.V., das Deutsche Klimavorsorge-Portal der Bundesregierung oder die „Hochwasserschutzfibel“ des Bundesbauministeriums.
Früher beginnen und weiter denken
Beim GDV-Leitfaden stellt sich lediglich die Frage, warum erst dann klimaresilient gebaut werden soll, nachdem der Elementarschaden bereits eingetreten ist. Noch besser wäre, die Prävention unabhängig vom Schadenereignis zu fördern. Schon beim Neubau oder Erwerb einer Immobilie könnten sich die Versicherungsbranche und vor allem die Vermittler als Risikomanager profilieren und die Bauherren und Erwerber in Sachen Klimaresilienz beraten.
Zudem ist der Leitfaden aus der Perspektive des Schadenregulierers erstellt, der auf Basis der Wohngebäudeversicherungsbedingungen den Wiederaufbau begleiten muss. Klimaresilienz bedeutet längst mehr.
Bewohner sind zunehmenden Hitzerisiken ausgesetzt
Nach Daten des Umweltbundesamtes steigt die Zahl besonders heißer Tage über 30 Grad Celsius stetig an. 2018 zum Beispiel war das bisherige Hoch mit bundesdurchschnittlich mehr als 20 heißen Tagen erreicht. Im Mittel der letzten zehn Jahre waren es 12,2 heiße Tage. Zum Vergleich: Bis in die 1990er Jahre gab es im Zehnjahres-Durchschnitt nur rund vier heiße Tage jährlich. Die bis heute verbreitete Bauweise nimmt darauf keine Rücksicht. So entstehen immer noch neue Wohngebäude, deren Bewohner zunehmenden Hitzerisiken ausgesetzt werden. Das wird sogar verschärft durch die Bemühungen um Energieeffizienz und entsprechende Gebäudedämmungen.
Was sich im Winter angenehm auf die Heizkostenabrechnung auswirkt, kehrt sich mit dem Thermoskanneneffekt in heißen Sommern um. Die Branche könnte und sollte sich deshalb auch um solche Themen bemühen, denn solche unangepassten Bauweisen führen zum nächsten „Build Back Better“-Bedarf. Denn unbewohnbare sind irgendwann auch unversicherbare Wohngebäude.
Autor(en): Matthias Beenken