Die Vertrauensschadenversicherung (VSV) dürfte wichtiger werden, denn in der Krise könnte die Mitarbeiterkriminalität steigen. Gleichzeitig wird 2023 wohl das Hinweisgeberschutzgesetz in Kraft treten. Dann könnten verstärkt nicht entdeckte Betrugsfälle von Mitarbeitern ans Tageslicht kommen.
„Mit mehr Whistleblower-Systemen könnten mehr Betrugsfälle durch Mitarbeiter aufgedeckt werden“, warnte Thomas Langen, Vorsitzender der Kommission Kreditversicherung im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), anlässlich der Vorstellungen der Branchenzahlen für 2022. Das sogenannte Hinweisgeberschutzgesetz könnte nach Einschätzung des GDV 2023 in Kraft treten. Es verpflichtet Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern ein System einzurichten, dass Whistleblower, also Hinweisgeber, gefahrlos Betrügereien, die andere Mitarbeiter oder das Management begehen, melden können. Sind solche Kontrollmöglichkeiten etabliert, könnte aber der Betrug durch Mitarbeiter auch zurückgehen. Denn solche Systeme haben auch abschreckende Wirkung auf potenzielle Täter.
Krise erhöht Wahrscheinlichkeit von Mitarbeiterkriminalität
Das bestätigt auch Professor Hendrik Schneider in einem Interview, dass der GDV auf seiner Homepage veröffentlicht hat. Dort warnt Schneider aber auch davor, dass durch die aktuelle Wirtschaftskrise mehr Mitarbeiter sich finanziell über ihren Arbeitgeber illegal bereichern könnten, um den wirtschaftlichen Druck auszugleichen. „Wenn der finanzielle Druck größer wird, steigt auch die Wahrscheinlichkeit für Kriminalität“, so der Experte. Dabei gelte das alte Motto: Gelegenheit macht Diebe. Je höher der mögliche Gewinn für den Täter und je geringer das Risiko ist, entdeckt zu werden, desto eher werde der Arbeitsplatz zum Tatort. Auch Manager können nach Einschätzung des Kriminologen Täter werden. Sie könnten vielleicht Compliance- und Umweltvorschriften umgehen, damit das Unternehmen auch in der Krise Gewinne einfährt und sie beteiligt werden. Möglich wäre beispielsweise, dass Aufträge durch Korruption gewonnen werden.
VSV-Police gute Ergänzung für Cyber-Schutz
Gegen solche Betrügereien der eigenen Mitarbeiter kann eine VSV-Police schützen. Sie zahlt, wenn Unternehmen Opfer von kriminellen Vertrauenspersonen geworden sind – also, wenn Mitarbeiter eines Unternehmens Geld unterschlagen, das Unternehmen sabotieren, Geschäftsgeheimnisse verraten oder sich der Untreue schuldig machen. Vorsätzlich begangene Taten von fremden Betrügern - etwa bei Fake-President-Fällen - und zielgerichtete Angriffe auf Daten und IT-Systeme des Unternehmens sind üblicherweise ebenfalls im Rahmen einer VSV versichert. Daher ist die Police eine sehr wichtige Ergänzung zum Cyber-Schutz, der lediglich den Schaden durch die Betriebsunterbrechung und die Kosten der Datenwiederherstellung trägt.
Tatsächlich haben die Schäden in der VSV 2022 schon zugenommen. So prognostiziert der GDV für 2022 Mehrleistungen in Höhe von 35 Prozent. Insgesamt werden wohl 217 Millionen gezahlt, weil Mitarbeiter ihren Arbeitgeber betrogen haben. Die VSV ist aber noch eine echte Nischenversicherung. Insgesamt haben nur 55.000 Unternehmen in Deutschland eine solche Versicherung abgeschlossen. Immerhin drei Prozent mehr als im Vorjahr. Grundsätzlich verzeichnen die deutschen Kreditversicherer in allen Bereichen mehr Schäden – also auch in der Warenkredit- und Kautionsversicherung. Und im nächsten Jahr dürfte dieser Trend anhalten. Denn es wird mit deutlich mehr Insolvenzen gerechnet. „Wir halten einen klaren Anstieg für wahrscheinlich“, so Langen. Die Assekuranzen schätzen, dass 2023 die Zahl der Insolvenzen zwischen 15 bis 20 Prozent steigen werden. In absoluten Zahlen wären das 16.100 bis 16.800 Firmenpleiten.
Risiko der Versicherer steigt
Mit dem Trend zu mehr Insolvenzen steigt das Risiko der Kreditversicherer. Sie sorgen dafür, dass versicherte Lieferanten bei Insolvenz oder langem Zahlungsverzug des Kunden für ihre Außenstände entschädigt werden. Üblich ist es in der Regel, den Kunden ein Zahlungsziel von rund 30 Tagen einzuräumen. Laut Langen, der auch Hauptbevollmächtigter der Atradius Kreditversicherung ist, tritt der Versicherungsfall bei der Warenkreditversicherung ein, wenn der Kunde Insolvenz anmeldet oder länger als sechs Monate im Zahlungsverzug ist. Schon jetzt spürt die Branche „die toxischen Effekte gleichzeitiger Krisen“. „Der Ukraine-Krieg, die hohe Inflation und die pandemiebedingt immer noch angespannten globalen Lieferketten führen dazu, dass das Wachstum in Deutschland schwächelt und die Zahlungsmoral sinkt“, so Langen. In Teilen der Wirtschaft bemerken die Kreditversicherer schon einen regelrechten Überlebenskampf. Besonders betroffen sei künftig die Bauwirtschaft. Auch wenn nach Einschätzung des Managers derzeit die Auftragsbücher dieser Branche noch voll sind. Künftig müsste man damit rechnen, dass durch deutlich höhere Baukosten sowie höhere Kreditzinsen die Bautätigkeit stark zurückgeht. Schon heute würde es einen rasanten Abwärtstrend bei Baugenehmigungen geben.
50 Prozent höhere Schäden
Die verschlechterte Lage spüren die Kreditversicherer bereits anhand deutlich gestiegener Schadenfälle. In der Warenkreditversicherung sind nach einer GDV-Prognose die Schäden im Jahre 2022 extrem um 50 Prozent auf 319 Millionen Euro gestiegen. Bei der Kautionsversicherung mussten die Assekuranzen mit 378 Millionen Euro ebenfalls eine Steigerung von 47 Prozent verkraften. Aller Voraussicht dürften sich die Prämien bei den Kreditversicherern angesichts solcher Schadensteigerungen und der höheren Insolvenzgefahr in 2023 deutlich erhöhen. Hierzu wollte der GDV aber keine Stellung nehmen. Im Jahre 2022 sind die Beitragseinnahmen insgesamt über alle Sparten der Kreditversicherung bisher nur um 9,5 Prozent auf rund 2,1 Milliarden Euro gestiegen. Damit ist das Geschäft noch sehr auskömmlich, denn die Assekuranzen streichen für jeden Beitragseuro rund 30 Cent Gewinn ein.
Autor(en): Uwe Schmidt-Kasparek