Versicherer ignorieren Risiko Scheidung

Rund 2,6 Millionen Unterhaltsverpflichtete zahlen durch vermutlich fehlerhafte Unterhaltsurteile viel zu viel Unterhalt, schätzt Manfred Poweleit vom map-report. Damit fallen sie als Nachfrager für private Vorsorge weitgehend aus, weil sie die Kostenbelastung nach einer Scheidung oft nicht verkraften. Die Lage scheint mit der anstehenden Reform des Unterhaltsrechts eher noch schlechter zu werden: Das Bild verhungernder Mütter geistert nicht nur in den Köpfen vieler Familienrichter herum. Dabei deutet die Explosion der Scheidungsraten in den vergangenen 20 Jahren - jede zweite Ehe wird geschieden - darauf hin, dass der finanzielle Anreiz zur Scheidung durch den einkommensschwächeren Teil offenbar zu groß ist.

Volkswirt und map-report-Chefredakteur Poweleit macht die Rechnung auf und zeigt die Konsequenzen: 51,76 Prozent hoch ist inzwischen das Risiko, Opfer eines Scheidungsverfahrens zu werden. Damit sei es deutlich größer als die Gefahr, die Altersrente nicht zu erreichen und vorher zu sterben (18,79 Prozent) oder berufsunfähig zu werden und aus dem Erwerbsleben ausscheiden zu müssen (20,65 Prozent). Alle drei Risiken können in die finanzielle Katastrophe führen, aber im Falle der Scheidung ist den Versicherern bislang nichts eingefallen.

Scheidungsopfer Poweleit demonstriert den Kostenschock anhand einer deutschen Durchschnittsfamilie: Rund 2.500 Euro hat die deutsche Durchschnittsfamilie mit einem Kind monatlich netto zur Verfügung. Gehen davon 600 Euro für Kredittilgung und Vorsorgebeiträge ab, verbleiben gerade einmal 1.900 Euro. Die Warmmiete ist mit 700 Euro sicherlich noch konservativ geschätzt, das Auto schlägt mit 600 Euro zu Buche, so dass häufig gerade einmal 600 Euro zum Leben bleiben. Kommt jetzt die Scheidung, dann soll dieser Etat plötzlich zwei Warmmieten tragen. Geht natürlich nicht. Doch Deutschlands Familienrichter sind einfallsreich, um Absatzrekorde für ihre Produkte zu erreichen.

Sie schaffen Geld aus dem Nichts. Und das geht laut Poweleit so: Mit der Scheidung kommen gewaltige Kostenbelastungen auf den Haupternährer zu. Er muss einen Anwalt für mehrere Verfahren bezahlen, zu Gerichts- und anderen Besprechungsterminen fahren, Unterlagen kopieren und verschicken und viel telefonieren. Im Laufe der ersten beiden Trennungsjahre können so schnell 12.000 Euro zusammenkommen. Nun würde jeder gute Betriebswirt diese Summe bei der Ermittlung des mit Unterhaltsleistungen belastbaren Einkommens abziehen, denn in Höhe dieser 12.000 Euro besteht keine Leistungsfähigkeit. Nicht so die Familienrichter. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht auch dem Unterhaltsbeklagten einen Anspruch auf anwaltliche Vertretung zugebilligt, aus Artikel 3 das Grundrecht auf Behandlung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip abgeleitet und aus Artikel 2 das Grundrecht auf Schutz vor unberechtigten Unterhaltslasten. Trotzdem rechnen Familienrichter anders und addieren Anwaltkosten zur Verfügungsmasse. Folge: Wer 12.000 Euro für Anwalts- und Nebenkosten aufbringen kann, bei dem sind auch 6.000 Euro Unterhalt zu holen. Trifft das Schicksal gar einen Freiberufler oder Kleinunternehmer, der das Geld nicht auf seinem Privatkonto hat und daher aus der Firmenkasse nehmen muss, so wird es noch teurer. 12.000 Euro aus der Firmenkasse nehmen zu müssen hat zur Folge, dass in Höhe von 12.000 Euro Gewinn mindernde Betriebskosten nicht vom Umsatz abgezogen werden können. Folge: Der Gewinn steigt um 12.000 Euro, der Unterhaltsanspruch um weitere 6.000 Euro.

Das gleiche betrifft auch die Kosten des Umgangs mit den Kindern. Als dritte Unterhaltsquelle bieten sich die Ausgaben für Wohnungsauflösung, Doppelmieten, Kautionen und ähnliches an. Alles in allem dürften die Unterhaltsurteile in Deutschland im schnitt pro Fall durch falsche und verfassungswidrige Behandlung von Scheidungssonderlasten um mindestens 17.500 Euro zu hoch ausfallen. Macht bei 3,6 Millionen Scheidungen in den vergangenen 20 Jahren - in 80 Prozent der Fälle soll nach einer Studie des Familienministeriums Unterhalt fließen - 2,88 Millionen Fälle, in denen wohl jeweils besagte 17.500 Euro zu viel gezahlt werden. "So ergäbe das einen Gesamtschaden von über 50 Milliarden Euro, ruinierte Betriebe und Existenzen nicht eingerechnet" sagt Volkswirt Poweleit. Zum Vergleich: Die Schäden des Terroranschlags vom 11. September 2001 in New York taxiert die Schweizer Rückversicherung mit 20,7 Milliarden Dollar.

Autor(en): Detlef Pohl

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