Verbraucherschützer rütteln an Vermittlung

Vor einem gravierenden Ausmaß an Fehlversicherung hat der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) gewarnt. "Die meisten sind falsch versichert", bilanzierte vzbv-Vorstand Prof. Dr. Edda Müller auf einer Tagung zur Reform des Versicherungsrechts in Berlin.

Als Ursache nannte sie falsche Anreize für Vermittler sowie eine Benachteiligung der Kunden im geltenden Versicherungsrecht. Die Folge seien Schäden in Milliardenhöhe, da es allein deutsche Versicherer im Jahr 2003 auf Beitragseinnahmen in Höhe von mehr als 150 Milliarden Euro brachten.

"Der volkswirtschaftliche Sinn von Versicherungen wird in sein Gegenteil verkehrt, wenn die Versicherung im Ernstfall nicht die elementaren Risiken abdeckt, für die sie gebraucht wird", so Müller. So würden bis zu 80 Prozent aller Kapital-Lebensversicherungen vor Ablauf meist unter erheblichem Verlust gekündigt oder beitragsfrei gestellt. Damit würden sie für die meisten Kunden zum Verlustgeschäft.

Versicherungsexperte Wolfgang Scholl vom vzbv begründete die These, die sich aus den reinen Rückkaufswerten ergäbe. Nähme man die beim Ausstieg erreichte Überschussbeteiligung hinzu, seien 40 bis 50 Prozent der Policen mit Verlust verbunden. Versicherer mit überdurchschnittlich hohem Storno kämen jedoch wieder an die 80-Prozent-Marke des Verlustes für Kunden heran.

Auf der anderen Seite gebe es zunehmend unzureichenden Versicherungsschutz. So seien rund drei Viertel der Haushalte nicht gegen die Folgen einer Berufsunfähigkeit abgesichert. Die Gründe liegen nach Ansicht des vzbv in einer ungleichen Verteilung der Rechte und Pflichten zwischen Versicherern und Versicherten, in fehlender Transparenz und falschen Anreizen bei der Vermittlung.

Fast alle Vermittler (rund 500.000) lebten von Provisionen und nicht von bedarfsorientierter Beratung. So gebe es nur etwa 130 gerichtlich zugelassene Versicherungsberater, die ausschließlich von Beratungsgebühren leben. Auch die Bemessungsgrundlage der Provisionszahlung kritisiert der vzbv: "Die Höhe richtet sich nach den Beiträgen – und nicht nach Risiko und Bedarf der Kunden", sagt Müller. Die geringsten Provisionen gebe es dagegen ausgerechnet bei der privaten Haftpflichtversicherung, die zu den wichtigsten Policen für jeden Verbraucher gehört.

Der vzbv machte jetzt einen eigenen Reform-Vorstoß. "Wir wollen, dass es sich für die Unternehmen ökonomisch lohnt, ihren Kunden den Schutz zu geben, den die wirklich brauchen", sagte vzbv-Chefin Edda Müller. Kernelemente der Reform seien:
  • Notwendigkeit einer Risiko- und Bedarfsanalyse vor Vertragsabschluss,
  • Neuregelung des Vertragsabschluss-Verfahrens,
  • Informationspflichten über Lücken des Versicherungsschutzes sowie die Pflicht des Versicherers zur Deckung dieser Lücken bei Verletzung seiner Informationspflichten,
  • neue Regeln bei der Verteilung der Abschlusskosten (Mindest-Rückkaufswerte),
  • Verpflichtung der Versicherer, auch so genannte Netto-Tarife (ohne Einrechung von Abschlussprovision) anzubieten,
  • einheitliche Besteuerung aller Altersvorsorge-Produkte sowie
  • Förderung einer von Provisions-Interessen freien Versicherungsberatung.


Durch die bisherige Entlohnung fehle für Vermittler der Anreiz, dass die Kunden ihre Policen bis zum Ende einhalten. Alternative: Die Abschlusskosten sollten zunächst auf fünf Jahre und später auf die gesamte Laufzeit des Vertrags verteilt werden.

"Eine Pflicht der Versicherer zum Ausweis der Abschlussprovision im Vertrag würde den Verbrauchern deutlich machen, dass die bisher kostenlos scheinende Beratung durch Vermittler alles andere als kostenlos ist", schlug Wolfgang Scholl, vzbv-Versicherungsexperte, vor.

Wenn transparent würde, was die Kunden wirklich für den Vermittler bezahlen müssen, würden sie stärker als bisher die Dienste wirklich unabhängiger Versicherungsberater in Anspruch nehmen. Eine zusätzliche Pflicht der Versicherer, auch so genannte "Nettotarife" anzubieten, würde es zudem Honorarvermittlern und –beratern leichter machen, ein breites Spektrum an Versicherern empfehlen zu können, begründet Scholl den Vorschlag. Auch die Abschaffung des Provisionsabgabe-Verbots würde die hohen Provisions-Unterschiede zwischen der Lebensversicherung und den anderen Sparten verringern. Damit sei ein bedarfsgerechterer Schutz der Haushalte möglich.

Autor(en): Detlef Pohl

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