Eine historisch geringe Abbruchquote von Lebensversicherungen wird von der Versicherungsbranche als Vertrauensbeweis bewertet. Demgegenüber hat der Bund der Versicherten (BdV) nun eine Rechnung vorgelegt, nach der bis zu 70 Prozent aller Lebensversicherungspolicen bei Rentenbeginn schon gekündigt sind.
"Die BdV-Behauptung, bei lang laufenden Lebensversicherungsverträgen sei die Kündigung der Normalfall, ist falsch", kommentierte ein Sprecher des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Grund: Der BdV unterstelle bei seiner Berechnung, dass die Stornoquote für jedes Jahr, unabhängig von der Laufzeit, identisch sei. "Die GDV-Statistiken zeigen aber, dass es mehr frühes als spätes Storno gibt." Somit nähmen die jährlichen Stornoquoten mit zunehmender Vertragsdauer ab.
Verband bleibt eigene Berechnung schuldig
Eigene Berechnungen, die auf diesen Daten beruhen veröffentlicht der GDV aber nicht. Auch in der Veröffentlichung "Die deutsche Lebensversicherung in Zahlen 2018" finden sich keine Zahlen zum Frühstorno. Für 2018 rechnet der GDV-Präsident Wolfgang Weiler in der Lebensversicherung mit einer Stornoquote "auf Vorjahresniveau" von rund 2,6 Prozent. Seit 2008 ist die Quote regelmäßig gesunken. Damals betrug sie noch vier Prozent. Diese "Erfolge" werden vom BdV kritisch kommentiert. So sei die "Kündigung bei der Lebensversicherung weiterhin der Normalfall". Begründet wird dies mit einer Berechnung auf Basis der aktuellen Stornoquote unter Berücksichtigung der Sterbefälle.
"Wenn heute 100 Männer im Alter von 20 Jahren einen Vertrag bei einem Lebensversicherer zur Altersvorsorge abschließen, dann werden durchschnittlich nur 27 diesen Vertrag noch bei Rentenbeginn haben. Drei werden verstorben sein und 70 werden den Vertrag zwischenzeitlich gekündigt haben", erläutert der BdV seine Berechnung.
Abschlussprovision kritisiert
Versicherungsprodukte erwiesen sich daher als ungeeignet für die Altersvorsorge, meint der BdV. Schon seit Jahrzehnten gelinge es der Lebensversicherungsbranche nicht, dieses Problem in den Griff zu bekommen. Die Zahlen zeigten, dass es der Versicherungsbranche zwar gelinge, Verträge zu verkaufen, jedoch nicht, die Kunden langfristig zu überzeugen und zu halten. Daher wäre es notwendig, die Verkaufsanreize in Form hoher einmaliger Abschlussprovisionen zu mindern und stattdessen auf nachhaltigere Vergütungen zu setzen.
"Die hohen Stornoquoten sind ein Beleg für ungesunde Verzerrungen. Wegen überhöhter einmaliger Abschlussprovisionen wird ein überhitzter Abverkauf von nicht bedarfsgerechten Lebensversicherungen massiv befeuert", behauptet der BdV-Chef Axel Kleinlein. Dies müsse mitbedacht werden, wenn die Politik demnächst über Kostendeckel oder Provisionsverbote diskutiere. Der BdV sieht sich als "wichtigstes" politisches Gegengewicht zur Versicherungslobby und bekämpft seit Jahren den Verkauf auf Provisionsbasis. Der GDV verweist in seiner Stellungnahme darauf, dass Storno von Verträgen ein "verbrieftes Verbraucherrecht" sei.
Gründe für Kündigungen
Die Hauptgründe für Storno in der Lebensversicherung wären Scheidung, Überschuldung und Arbeitslosigkeit. "Darauf hat der Versicherer keinen Einfluss", so der GDV. Konkrete Zahlen zum Anteil der jeweiligen Kündigungsursache nennt der Versicherungsverband nicht.
Auch Deutschlands größte Lebensversicherung die Allianz veröffentlicht in ihrem Geschäftsbericht keine Frühstornozahlen und möchte zu den BdV-Vorwürfen keine Stellung nehmen. Die Stornoquote des Marktführers liegt aber weit unter dem Branchenschnitt. Sie sank 2017 auf 1,4 Prozent. 2016 lag sie nach Stückzahlen bei 1,5 Prozent. Höher ist hingegen die Stornoquote nach Beiträgen. Sie lag bei der Allianz 2017 bei 3,7 (Vorjahr 3,6) Prozent. Neben Rückkäufen sind in dieser Quote auch Beitragsfreistellungen enthalten. Die Regelungen zum Rückkauf sichern laut GDV einen fairen Ausgleich zwischen Versicherer, verbleibenden Kunden und ausscheidenden Kunden.
Autor(en): Uwe Schmidt-Kasparek