Die Bundesregierung hat zwar noch keine endgültige Meinung zu dem Vorstoß der EU-Kommission für ein Provisionsverbot. Aber nach Meinung des BVK lassen die Antworten auf eine Kleine Anfrage der Unions-Parteien Argumente gegen ein solches Verbot erkennen.
Seit mehreren Monaten diskutiert die Branche über die Äußerungen der EU-Finanzkommissarin Mairead McGuinness, im Rahmen der sogenannten Kleinanlagerstrategie über ein Provisionsverbot für den Vertrieb von Anlagen und Versicherungsanlagen nachzudenken.
Bundesfinanzminister hat eine klare Position
Neu wäre der Gedanke im Bereich Lebensversicherung jedenfalls nicht, denn die EU-Kommission hatte bereits 2012 einen Vorschlag für eine revidierte EU-Vermittlerrichtlinie vorgelegt, die ein solches Provisionsverbot enthielt. In der am Ende als EU-Vertriebsrichtlinie (IDD) verabschiedeten Version blieb es aber bei der nach Vorbild der Finanzmarktrichtlinie MiFID gestalteten Aussage, dass Provisionen nicht die Qualität der Dienstleistung bei Versicherungsanlageprodukten beeinträchtigen dürfen. Außerdem gibt es die generelle Regel, dass Verkaufsziele, Vergütungen und andere Anreize nicht im Widerspruch zum bestmöglichen Kundeninteresse stehen sollen.
Bundesfinanzminister Christian Lindner von der FDP setzte sich denn auch für die Aufrechterhaltung der in Deutschland vorwiegenden Praxis der Provisionszahlung ein. Nun hat sein Parlamentarischer Staatssekretär Florian Toncar eine Kleine Anfrage der CDU-/CSU-Fraktion zu diesem Thema beantwortet.
Argumente gegen ein Provisionsverbot
„Auch wenn die Positionierung der Bundesregierung gegenüber einem EU-Provisionsverbots noch nicht abgeschlossen ist, enthalten die Antworten wichtige Argumente, die gegen ein Provisionsverbot sprechen“, so der Präsident des Bundesverbands Deutscher Versicherungskaufleute (BVK), Michael H. Heinz. „In den Antworten der Bundesregierung finden sich zentrale kritische Positionen des BVK am EU-Vorhaben wieder. Zudem sehen wir auch unsere klare Haltung: Kein Vertrieb ohne Beratung bestätigt.“
In der Kleinen Anfrage nimmt die Union zunächst Bezug auf die Konsultation der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) vom 31. Oktober 2022 für ein Merkblatt zu wohlverhaltensaufsichtlichen Aspekten beim Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten. Denn dieser Entwurf lässt ausdrücklich weiterhin Provisionszahlungen zu, sofern dabei insgesamt nicht übertrieben wird. Die Union wollte daher wissen, ob man daraus schließen könne, dass die Bundesregierung ein Provisionsverbot für unverhältnismäßig hält.
Die Antwort fällt vorsichtig aus, weil die Konsultation noch nicht abgeschlossen sei. Die BaFin könne ohnehin keine Provisionen verbieten, das sei Aufgabe des Gesetzgebers.
Keine Missstände bei Restschuld festgestellt
Weiter interessierte sich die Union für die ersten Erfahrungen der Bundesregierung mit dem am 1. Juli 2022 in Kraft getretenen Provisionsdeckel für Restschuldversicherungen (§ 50a VAG). Dazu gibt das Bundesfinanzministerium an, dass die BaFin im vergangenen Jahr ausgewählte Versicherer zu den Auswirkungen befragt und keine aufsichtlichen Missstände dabei festgestellt habe.
Dann erst kommt die Union zum Kern ihrer Anfrage, wie die Bundesregierung zu den Ideen der erwähnten EU-Kommissarin steht. Toncar dazu: „Die Meinungsbildung der Bundesregierung ist zu dieser Frage noch nicht abgeschlossen.“ Man werde die Vorschläge der Europäischen Kommission abwarten und dann über eine eigene Position entscheiden. Auf diese Antwort wird auch bei zahlreichen weiteren Detailfragen der Opposition verwiesen.
Der Bundesregierung fehlen noch Daten
Interessant ist, dass die Bundesregierung mehrfach einräumen muss, dass ihr Daten zur Situation der Anlageberatung und des Finanzvertriebs fehlen. So sieht sie sich beispielsweise nicht in der Lage, eine Auswirkung auf Kunden im Niedriglohnsektor zu bewerten, obwohl ihr bekannt ist, dass in den von der EU-Kommissarin genannten Referenzländern Großbritannien und Niederlande die dortigen Provisionsverbote zu einer Reduzierung des Beratungsangebots auf vermögende Kunden geführt hat.
Auch kann die Bundesregierung keine Antworten geben, wie sich der Markt der Honorarberatung in Deutschland derzeit darstellt. Man kennt zwar die Anzahl registrierter Berater, aber das war es dann auch schon. Welche Geschäftsmodelle diese betreiben, welche Vergütungsarten sie einsetzen und wie hoch die Honorare ausfallen, dazu gibt es keine gesicherten Daten. Das gehöre „nicht zu den mitzuteilenden Daten im Rahmen der aufsichtlichen Berichtspflichten“, heißt es. Folgerichtig sieht sich das Bundesfinanzministerium auch nicht in der Lage, die wirtschaftlichen Folgen eines Provisionsverbots zu bewerten.
Sehr vermögende Privatkunden zahlen Honorar
Nur für die gerade einmal 18 im BaFin-Register als Honorarberater eingetragenen Kredit- und Wertpapierinstitute kann sie angeben, dass diese Kunden mit einem durchschnittlichen Vermögen von 552.000 Euro betreuen. „Diese Kredit- und Wertpapierinstitute betreuen folglich insbesondere sehr vermögende Privatkunden“, schlussfolgert der Staatssekretär.
Dagegen gibt es keinerlei Daten zu den rund 300 Honorar-Finanzanlagenberatern. Die Versicherungsberater werden gar nicht erwähnt. Gutachten seien auch keine geplant, heißt es.
Das Problem ist, dass die Bundesregierung mit der Umsetzung der Richtlinie IDD die Chance verpasst hat, die Erhebung statistischer Daten über die zu registrierenden Finanzanlagen- und Versicherungsvermittler und -berater vorzuschreiben. Für den Berufsstand ist das von Nachteil, denn dadurch kann eine Argumentation gegen ein Provisionsverbot kaum empirisch-evidenzbasiert aufgebaut werden.
Zumindest lassen die Antworten der Bundesregierung erkennen, dass sie derzeit jedenfalls keine systematische Überlegenheit der Vergütungsform Honorar gegenüber der Provision sieht. Kunden müssten im Einzelfall entscheiden, was für sie am besten geeignet sei. Fehlanreize zulasten der Kunden seien auch beim Honorar denkbar, etwa beim Stundensatz durch eine übertrieben hohe Zeitabrechnung.
Der Vergleich mit europäischen Nachbarländern ist auch nicht immer hilfreich. „Die Beobachtungen für den niederländischen Markt nach Einführung eines Zuwendungsverbots können nicht unmittelbar auf den deutschen Markt übertragen werden. Dies folgt nicht zuletzt aus strukturellen Unterschieden im System der Altersvorsorge“, schreibt Toncar.
In den Niederlanden hat beratungsfreies Geschäft im Anlageverkauf zugenommen
Im Gegenteil bewerte man Informationen der BaFin als kritisch, dass in den Niederlanden das beratungsfreie Geschäft im Anlageverkauf („Execution only“) zugenommen habe. Das regulatorische Schutzniveau sei in diesem Fall niedrig und es müsse „ein besonderes Maß an Finanzkompetenz“ vorausgesetzt werden.
Hierzu könnte man den Hinweis ergänzen, dass speziell Versicherungsanlageprodukte gar nicht per „Execution only“ vertrieben werden dürfen – aus Verbraucherschutzgründen.
In seiner Antwort auf die Kleine Anfrage nennt Toncar zudem besondere Risiken, die mit sogenanntem Robo-Advice einhergehen, ein in Großbritannien favorisiertes Mittel zur Schließung der Anlageberatungslücke bei Kunden mit kleinen Vermögen. Hier laufen nach seiner Ansicht Kunden mit geringer Finanzkompetenz Gefahr, Fehlentscheidungen zu treffen. Das umso mehr, als sie selbst die Daten eingeben und die angezeigten Ergebnisse anschließend interpretieren müssen – das seien gleich zwei Fehlerquellen.
Das Bundesfinanzministerium kommt damit zu einem wichtigen Fazit: „Grundsätzlich sollte aus Sicht der Bundesregierung jeder Kleinanleger Zugang zu einer persönlichen Beratung haben können.“
Autor(en): Matthias Beenken