Die Herstellung und die Verwendung von Papier belasten die Umwelt. Diese Binsenweisheit sollte in Zeiten von Nachhaltigkeitsstrategien und Nachhaltigkeitsberatung in Erinnerung gerufen werden. Wann handelt die Versicherungsbranche?
Für die Herstellung eines Blatts Papier DIN A 4 werden laut Utopia (www.utopia.de) zehn Liter Wasser verbraucht. Selbst Recycling-Papier nimmt 100 Milliliter Wasser pro Blatt in Anspruch – und dieser „Wasser-Fußabdruck“ berücksichtigt noch nicht die vorausgegangene Grundproduktion von Papier. Abgesehen davon ist das Ausgangsprodukt Holz. Das wiederum kann nach seiner Gewinnung durch Fällen von Bäumen nicht mehr mithelfen, Treibhausgase aus der Luft zu filtern und zu binden.
Wasser sparen gehört zu den Top-Zielen
Das Thema Wasser hat es immerhin zum Ziel Nummer sechs der Ziele der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung der Welt geschafft. In der Europäischen Taxonomie-Verordnung ist der Schutz von Wasser-Ressourcen das dritte von sechs Umweltzielen.
Auf Basis der Taxonomie-Verordnung sollen unter anderem Versicherer die Nachhaltigkeit von Versicherungsanlageprodukten bewerten und entsprechende Veröffentlichungen nach der Europäischen Transparenz-Verordnung vornehmen. Ab 2. August haben Versicherer und Vermittler Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden beim Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten zu erfragen und in die Produktauswahl einzubeziehen, so will es eine Europäische IDD-Verordnung. Versicherer müssen zudem bei Versicherungen aller Art im Produktgenehmigungsverfahren die Nachhaltigkeitsfaktoren einzubeziehen – wieder spielt unter anderem das Thema Wasser eine Rolle.
Extrem unterschiedliche Verbrauchswerte nach Versicherer
Einer von verschiedenen Punkten in den Nachhaltigkeitsberichten der Versicherer ist der Wasserverbrauch. Franke und Bornberg beispielsweise vergleicht auf Basis einer Umfrage unter 18 Versicherern den Wasserverbrauch, umgerechnet auf die Kopfzahl Mitarbeitende.
Der Verbrauch liegt laut ESG-Report 2022 zwischen 2,3 und 20,3 Kubikmetern je Vollzeit-Mitarbeitende. Dabei wissen auch die Hannoveraner Experten nicht im Einzelnen, was die Ursachen für diese erheblichen Unterschiede sind.
IDD verlangt weiter zwingend Papierverbrauch
Ein wesentlicher Treiber des Papierverbrauchs ist aber die europäische und die nationale Regulatorik. Denn hier wird derzeit jedenfalls der Verbraucherschutz deutlich höher gewichtet als das Erreichen der „ESG-Ziele“.
Schon bei ihrem Inkrafttreten 2016 erschien es unverständlich, dass die Europäische Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD in Zeiten zunehmenden digitalen Vertriebs von den Versicherungsunternehmen verlangt, „Auskünfte“ an Kunden wie Erstinformationen, Versicherungsbedingungen, Produktinformationsblätter und Beratungsdokumentationen „auf Papier“ zu erteilen. So will es bis heute Artikel 23 Absatz 1 IDD. Nur „abweichend“ dürfen diese Auskünfte auch per dauerhaftem Datenträger oder über eine zugriffsgeschützte Webseite erteilt werden.
Sogar dann, wenn der Versicherer die Informationen elektronisch zur Verfügung stellt, „ist dem Kunden auf dessen Verlangen unentgeltlich eine Papierfassung zu überlassen“, heißt es weiter in Artikel 23 Absatz 3 IDD. Das erscheint vor dem Hintergrund der umfangreichen Nachhaltigkeits-regularien endgültig als Anachronismus und sollte aus der IDD gestrichen werden.
Unentschlossene Kunden mit Papier überschütten
Auch der deutsche Gesetzgeber treibt mit seinen Vorgaben an die Branche den Papierverbrauch und damit die Wasserbelastung in die Höhe. So müssen Versicherer beispielsweise „rechtzeitig vor Abgabe“ der Vertragserklärung dem Kunden sämtliche Versicherungsbedingungen und sonstigen Vertragsbestimmungen in Textform mitteilen, so will es § 7 VVG. Die Mitteilungen müssen zwar nicht auf Papier sein. Aber der Kunde hat auch hier ein Wahlrecht, das sich sogar auf die gesamte Laufzeit des Vertrags erstreckt – zumindest eine Zusendung in Papierform kann jederzeit kostenfrei verlangt werden.
Das Problem dabei: „Rechtzeitig“ vor der Vertragserklärung heißt nichts anderes als vor der Antragstellung, und zwar unter Umständen in einem separaten ersten Beratungstermin. Zu diesem Zeitpunkt wird oft noch gar nicht endgültig feststehen, ob der Kunde überhaupt einen Antrag stellt, und wenn, dann welchen. Unter Umständen wird also mehrfach ein Berg Papier übergeben zu einem Vertrag, der gar nicht zustande kommt.
Kritische Überprüfung der Informationsflut ausgeblieben
In Bezug auf diese Vorschriften hatte sogar der frühere Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Gerd Billen, vormals auch Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands, 2017 anlässlich der Jahreshauptversammlung des Bundesverbands Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) über die Informationsflut geklagt. Er kündigte seinerzeit eine kritische Überprüfung der Vorschriften an, davon hat man allerdings nichts mehr gehört.
Eine Entschlackung würde dem Geist dessen näher kommen, was der ehemalige Versicherungsombudsmann Professor Römer in Zusammenhang mit der Reform des Versicherungsvertragsrechts vorgeschlagen hatte: Mit dem Produktinformationsblatt sollte Kunden, die die Versicherungsbedingungen ohnehin meist nicht lesen, die Chance auf eine kurze und informative Zusammenfassung des angebotenen Versicherungsvertrags eröffnet werden. Diese Idee wurde zwar aufgegriffen, aber im Zuge des neuen VVG 2008 einfach zu den oben genannten Informationspflichten addiert – ein Blatt zu vielen Blättern, die jedoch von den Kunden selten beachtet werden.
Mitreden wäre jetzt eine gute Option
Die Versicherungsbranche soll nach dem erklärten Willen der Europäischen Union einen Beitrag leisten, Kapital in nachhaltige Zwecke umzuschichten. Dazu wird von Versicherern bei Kapitalanlagen erwartet, dass sie nicht nur Nachhaltigkeitsrisiken vermeiden. Viel besser ist, wenn sie direkt in nachhaltige Unternehmen und Projekte investieren. Dabei sollen sie sich auch aktiv einbringen, Stimmrechte wahrnehmen und Dialoge mit dem Topmanagement der Unternehmen führen, in die investiert wird. Laut dem ESG-Report von Franke und Bornberg tun das auch bereits eine Reihe Versicherungsunternehmen.
Eine ebenso sinnvolle Maßnahme wäre, öffentlich laut die Stimme zu erheben, dass sinnlose, papierverschwendende Vorschriften aus der IDD und aus dem VVG entfernt werden. Dem Verbraucher entsteht kein Schaden, wenn er Bedingungen und andere Informationen, die er meist gar nicht liest, ausschließlich digital erhält. Aber dem Schutz von Wasser und von Wäldern wäre damit ein großer Dienst erwiesen.
Schließlich erspart es Kosten bei den Versicherern für die parallelen, digitalen und analogen Prozesse. Anders als manche andere Forderung in Zusammenhang mit ESG wäre die Abschaffung des Papierform-Zwangs ein gelungenes Beispiel, Ökologie und Ökonomie in Übereinstimmung zu bringen. Davon haben dann alle etwas.
Autor(en): Matthias Beenken