94 Prozent aller Wohngebäude in Baden-Württemberg sind gegen Elementarschäden versichert. In Bremen und Niedersachsen dagegen verzichten bisher gut zwei Drittel der Hausbesitzer auf diesen Schutz. Der bundesweite Durchschnitt liegt bei rund 50 Prozent.
Allein diese extrem unterschiedlichen Verteilungen lassen den Schluss zu: Entweder sind Baden-Württemberger klüger als der Rest des Landes. Oder die frühere Versicherungspflicht wirkt erfolgreich nach. Diese zweite Erklärung überzeugt dann doch mehr.
Es gibt keine Starkregen-Käseglocke
Die Argumente gegen eine Elementarschadenversicherung lassen sich immer wieder auf wenige, aber falsche, Grundannahmen zurückführen. Die erste lautet, dass die meisten Wohnlagen in Deutschland nicht durch Elementarschäden bedroht seien. So schreibt Patrick Welter in einem Kommentar der "FAZ": "Fast die Hälfte der deutschen Hauseigentümer haben eine solche Versicherung, freiwillig. Die meisten der Anderen verzichten wohl darauf, weil ihre Häuser von Hochwasser oder Starkregen nicht sehr bedroht sind."
Tatsächlich gibt es keinen einzigen Flecken in Deutschland, an dem es kein meteorologisches Geschehen gibt, der also gewissermaßen unter einer gigantischen Käseglocke vor jeglichem Starkregen geschützt ist. Überschwemmungen entstehen längst nicht mehr nur an Flüssen, sondern in ganz unverdächtigen Wohnlagen vor allem durch eine überforderte Kanalisation.
Wenn es eine ganze Stunde lang am Stück gießt wie früher nur wenige Minuten im Gewitterregen, dann ist der sprichwörtliche Kanal voll, und selbst auf Höhenzügen laufen die Keller voll. Die dafür verantwortlichen Wetterlagen sind zum Beispiel tagelang ortsfeste Tiefdruckgebiete, die zuvor aus dem überwarmen Meer große Mengen Wasser in die Atmosphäre aufgenommen haben und am Festland abregnen. Das kommt wegen des Klimawandels immer häufiger vor.
Risikogerechte Prämien sind marktwirtschaftlich
Der Kommentator im Wirtschaftsteil der FAZ schlussfolgert: "Nur 1,5 Prozent der Grundstücke werden von den Versicherern als Hochrisiko eingestuft. All die anderen in die Versicherung zu zwingen bedeutet, die großen Risiken ganz weniger im Kreis der Hausbesitzer zu sozialisieren."
Aber dann geht keineswegs "ein Stück Marktwirtschaft verloren". Denn die ZÜRS-Zonen, die der Kommentator wohl meint, sind mit ganz unterschiedlichen, risikogerechten Prämien versehen. Kleines Risiko, wenig Prämie, hohes Risiko, hohe Prämie. Nicht marktwirtschaftlich gedacht wäre es nur, wenn eine Pflichtversicherung mit ortsunabhängiger Einheitsprämien gefordert würde.
Samariter statt Subsidiarität
Eine andere falsche Grundannahme ist, dass Elementarschadenversicherungen zu teuer sind, insbesondere in den Risikolagen. Das ist nur richtig, so lange man sich auf eine Sozialisierung des Risikos auf den Steuerzahler verlässt. Und die funktioniert bisher, weil immer irgendwo in Deutschland Wahlkampf ist und sich kein Politiker traut, seine Wahlchancen zu ruinieren und mit dem FAZ-Kommentator gemeinsam das Hohelied der Subsidiarität zu singen: "Es ist das Grundprinzip auch einer sozialen Marktwirtschaft, dass jeder für die Folgen des eigenen Handelns einstehen und haften muss."
Stattdessen herrscht das "Samariter-Dilemma" vor. Sogar der bayerische Ministerpräsident sagte bei den jüngsten Überflutungen den Opfern Staatshilfe zu, obwohl der Freistaat schon vor etlichen Jahren eine solche Hilfe ausgeschlossen hatte, sofern der Abschluss einer Elementarschadenversicherung möglich wäre.
Banken und Wohnungsverwalter in die Pflicht nehmen
Aus diesem Dilemma kann man herauskommen. Und man kann das mit allgemein bezahlbaren Prämien tun, siehe Baden-Württemberg. Dafür braucht es aber mindestens eine "weiche Pflicht". Das wäre ein automatischer Einschluss einer Elementarschadenversicherung in jede neu abzuschließende oder sonst zu verändernde private Wohngebäude- oder gewerbliche Betriebsgebäudeversicherung.
Beschleunigen könnte man das auf zwei Wegen. Erstens sollten Banken und Sparkassen endlich verpflichtet werden, sich bei einer Immobilienkreditvergabe einen Sicherungsschein nicht nur für eine Gebäudefeuer-, sondern auch eine Elementarschadenversicherung vorlegen zu lassen. Das müsste eigentlich mit den Vorschriften zum Risikomanagement der Banken - Stichwort Basel-Kriterien - kompatibel sein. Denn die Kreditsicherheit eines durch Elementarschaden zerstörten Hauses ist kein bisschen größer als diejenige eines abgebrannten Hauses.
Zweitens könnte das Wohnungseigentumsgesetz nachgebessert werden. Zur ordnungsgemäßen Verwaltung einer Wohnungseigentümergemeinschaft gehört „die angemessene Versicherung des gemeinschaftlichen Eigentums zum Neuwert“ (§ 19 Abs. 2 Nr. 3 WEG). Hier könnte der Gesetzgeber klarstellen, dass es "angemessen" ist, ein Gebäude gegen Feuer, Leitungswasser, Sturm/Hagel und eben auch gegen sonstige Elementargefahren zu versichern.
Behindert eine Pflichtversicherung die Prävention?
Ein drittes Argument gegen eine Pflichtversicherung wird vor allem von den Versicherern eingewendet. Danach könnte sie das Interesse der Gemeinden an Prävention erlahmen lassen.
Allerdings wird auch umgekehrt ein Schuh daraus: Derzeit gibt es anerkanntermaßen zu wenig Prävention. Das gilt vor allem dann, wenn sich diverse Gemeinden, Landkreise oder Bundesländer untereinander abstimmen müssten, weil beispielsweise am Oberlauf eines Flusses Überflutungsflächen fehlen und deshalb die Wassermaßen ungehemmt am Unterlauf Schaden anrichten. Ein Bundesgesetz hilft im föderalen Staatswesen nicht weiter.
Preissignale gegen falsche Wohnlagen oder zu wenig Prävention
Aber wenn plötzlich eine Menge Hausbesitzer teure Elementarversicherungen abschließen und bezahlen müssten, weil ihr Haus nicht ausreichend vor Überschwemmungen geschützt ist, könnte der Druck auf die lokale Politik steigen. Zudem würde es für Investoren uninteressanter, neue Appartementhäuser mitten ins Überflutungsgebiet zu setzen. Mieter würden ein Preissignal bekommen, dass es teuer ist, in elementarschadengefährdete Wohnlagen zu ziehen. Und ihre Vermieter würden ein Interesse an Präventionsmaßnahmen entwickeln, um die Versicherungsprämien und damit die Nebenkosten zu drücken.
Alle Appelle und alle Verkaufsaktionen der Versicherer zur nachträglichen Anbündelung von Elementarschadenklauseln haben bisher kaum verfangen. Selbst nach dem verheerenden Überschwemmungen 2021 im Ahrtal und Umgebung ist die Quote enttäuschend wenig angestiegen. Deshalb kann die Lösung nur heißen: Entweder weiter unsolidarisch den Steuerzahler per Samariter-Appell in Anspruch nehmen, nachdem man sich seine Elementarschadenprämie vorher gespart hat – oder eine Anbündelungspflicht einführen.
Autor(en): Matthias Beenken