Ein Vertreter deckte eine Berufsunfähigkeits-Versicherung auf Umwegen zu einem anderen Versicherer um. Das ging daneben.
In dem vom Landgericht Aachen entschiedenen Fall (Urteil vom 27.4.2023, Az. 9 O 412/21, r+s 24/2023, 1087-1088, Openjur-Volltext) war ein Versicherungsvertreter im Jahr 2014 zu einer anderen Versicherungsgesellschaft gewechselt. Anschließend beriet er eine Kundin zur Umdeckung einer erst seit 1. Dezember 2013 bestehenden Rentenversicherung mit Zusatzdeckungen für Berufsunfähigkeit, Todesfall und Unfall. In dem früheren Vertrag war aufgrund von Vorerkrankungen ein Leistungsausschluss in Zusammenhang mit einer Schilddrüsenerkrankung vereinbart. Die Umdeckung wurde 2015 vollzogen.
Keine Vorerkrankungen angegeben
Neu abgeschlossen wurde eine Dienstunfähigkeitsversicherung. Im Antrag wurde das Bestehen von Vorerkrankungen verneint. Der Antrag wurde aber offenbar gar nicht bei der neuen Versicherungsgesellschaft, sondern über einen Makler sowie über einen Maklerpool bei einer anderen Gesellschaft eingereicht. Das sei so der Kundin erst im späteren Verlauf bekannt geworden.
Ende 2018 wurde die Kundin, eine Studienrätin, wegen Dienstunfähigkeit aus dem Dienst entlassen. Der Versuch, Leistungen aus der Dienstunfähigkeitsversicherung zu beanspruchen, endete mit einer Anfechtung des Vertrags durch den Versicherer, weil ihm 65 orthopädische und psychotherapeutische Behandlungen innerhalb des im Antrag erfragten Zeitraums verschwiegen worden waren.
Makler und Vertreter gemeinsam verklagt
Anschließend verklagte die Kundin den Makler und den konkret tätig gewordenen Vertreter gesamtschuldnerisch auf Schadenersatz. In der vom Vertreter initiierten Beratung zur Umdeckung sei ihr nicht verdeutlicht worden, dass gesundheitliche Verschlechterungen seit Abschluss des vorherigen Vertrags für die Umdeckung eine Rolle spielen.
Eine Aufklärung über die Folgen von Falschangaben zur Gesundheit sei auch nicht erfolgt. Im Gegenteil habe der Vertreter sogar zur Falschbeantwortung der Antragsfragen geraten und „stets abgewiegelt und erklärt, dass die genannten Dinge nicht relevant seien.“ Ihr Gesundheitszustand hätte zudem dem Vertreter bekannt gewesen sein müssen. Der Antrag sei vom Vertreter nach ihrer Blanko-Unterschrift ausgefüllt worden.
Die Klage lautete auf Ersatz der 1.000 Euro Monatsrente der alten Berufsunfähigkeitsversicherung sowie der sonstigen Leistungen.
Keiner will für die Beratung zuständig gewesen sein
Der verklagte Makler gab an, er habe mit der ganzen Sache nichts zu tun. Er habe zu der Kundin selbst keinen Kontakt gehabt. Auch der Vertreter sei nicht von ihm beauftragt worden. Er räumte aber ein, dass er ab und zu als „sogenannte `Ventillösung´“ Geschäft entgegengenommen und weitergeleitet habe, weil der Vertreter als „gebundener Vertreter“ keinen eigenen Zugang zu anderen Versicherern hatte. Die Provision sei geteilt worden.
Der Vertreter wiederum verteidigte sich mit der Behauptung, die Kundin sei initiativ auf ihn zugegangen und habe eine Umdeckung zur Dienstunfähigkeitsversicherung verlangt. Die habe er selbst gar nicht anbieten können und deshalb auch nicht dazu beraten. Er habe nur vorbereitende Handlungen zur Vermittlung vorgenommen. Das Beratungsprotokoll sei von dem Makler erstellt worden. Auch habe die Kundin ihm auf ausdrückliche Befragung zu Vorerkrankungen hin die Unwahrheit gesagt.
Kein Schadenersatz zugesprochen
Im Ergebnis wurde der Schadenersatzanspruch abgelehnt. Dabei hätten beide Beklagten, der Makler und der Vertreter, eine Beratungspflicht gehabt, der sie nach Feststellung des Gerichts nicht nachgekommen sind. Dass der Vertreter nur als eine Art Postbote fungiert habe, sei unglaubwürdig. Durch eine Zeugenaussage konnte eine Beratungstätigkeit des Vertreters bestätigt werden. Auch habe er immerhin 70 Prozent der Maklerprovision erhalten, ein weiterer Beleg dafür, dass er wohl mehr als nur eine „Gefälligkeit“ erbracht habe.
Der Punkt war in diesem Fall aber, dass die festgestellte Verletzung der Beratungspflicht nicht kausal für den entstandenen Schaden war. Stattdessen war die arglistige Täuschung der Kundin bei der Beantwortung der Gesundheitsfragen ausschlaggebend dafür, dass sie auch bei korrekter Beratung keinen Versicherungsschutz gehabt hätte. Offenbar hatte sie in der Befragung des Gerichts nicht überzeugen können damit, dass ihr Verhalten anders als arglistig zu bezeichnen sei. Im Gegenteil, ihre Erläuterungen, sie habe immerhin verharmlosend einige Angaben zu minderschweren Vorerkrankungen gemacht, zeige, dass sie sich der Tatsache bewusst war, dass die vom Vertreter erfragten Gesundheitsumstände gefahrerheblich waren und nicht hätten verschwiegen werden dürfen.
Konsequenzen für die Vertriebspraxis
Der Fall wirft mehrere Schlaglichter auf konkrete Probleme, die in der Praxis entstehen können. Erstens bestätigt das Urteil einmal mehr, dass Umdeckungen besonders sensibel sind und einer umfassenden Beratung bedürfen. Dass die beiden verklagten Vermittler mit einem blauen Auge davongekommen sind, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie ihren beruflichen Anforderungen nicht gerecht geworden sind.
Zweitens ist die Beratungsdokumentation einmal mehr keine Hilfe zur Entlastung derjenigen gewesen, die sie erstellt haben. Was nicht dokumentiert worden ist, gilt auch nicht als erbrachte Beratungsleistung.
Drittens ist die fragwürdige Praxis des hier wohl sehr wahrscheinlich vertragswidrigen „Fremdgehens“ eines Ausschließlichkeitsvertreters zu beleuchten. Es ist offensichtlich gefährlich zu glauben, man könne sich hinterher als „Postbote“ oder als „Tippgeber“ herausreden, wenn man bewusst und gewollt einen Kunden an einen Makler weiterempfiehlt, um das unzulängliche Angebot des eigenen Vertragspartners zu umgehen, und sich dabei in den Beratungs- und Vermittlungsprozess einbinden und dafür bezahlen lässt.
Am Ende nur zwei saubere Lösungen möglich
Hier gibt es nur zwei „saubere“ Wege: Entweder eine tatsächliche, vom Vertragspartner zur Verfügung gestellte „Ventillösung“ über eine dafür qualifizierte Stelle zu nutzen. Oder, wenn eine solche offizielle Ventillösung fehlen sollte, dem Kunden zu empfehlen, sich an einen Makler zu wenden, aber selbst keinerlei Leistungen für diesen Makler wie eine Antragsaufnahme und Beratung zu erbringen oder eine Anteilsprovision zu verlangen.
Autor(en): Matthias Beenken