In der Ausschließlichkeit muss man von seiner Tätigkeit leben können – wie ein Gericht die Ansprüche beziffert.
„Für das Vertragsverhältnis eines Handelsvertreters, der vertraglich nicht für weitere Unternehmer tätig werden darf oder dem dies nach Art und Umfang der von ihm verlangten Tätigkeit nicht möglich ist, kann das Bundesministerium der Justiz im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz nach Anhörung von Verbänden der Handelsvertreter und der Unternehmer durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, die untere Grenze der vertraglichen Leistungen des Unternehmers festsetzen, um die notwendigen sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnisse dieser Handelsvertreter oder einer bestimmten Gruppe von ihnen sicherzustellen. Die festgesetzten Leistungen können vertraglich nicht ausgeschlossen oder beschränkt werden“, so heißt es im § 92a Absatz 1 HGB.
Das gilt auch für sogenannte unechte Mehrfachvertreter, die mehrere Agenturverträge mit Gesellschaften eines Konzerns haben, die aber zusammengefasst auch eine Ausschließlichkeitsbindung darstellen, so der Absatz 2 desselben Paragrafen.
Eine Verordnung fehlt
Wer nun aber wissen will, was „die untere Grenze der vertraglichen Leistungen“ oder mit anderen Worten der „Mindestlohn“ eines hauptberuflichen Ausschließlichkeitsvertreters ist, wird in den Gesetzessammlungen nicht fündig. Denn die im HGB angesprochene Verordnung ist nie erlassen worden.
Aber ein Gericht hat sich damit auseinandergesetzt. In einem erst jetzt veröffentlichten (r+s 08/2023, 384) Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Celle (vom 26.6.2020, Az. 11 W 20/20) ging es um die Frage, ob einem Ausschließlichkeitsvertreter der Rechtsweg zum Arbeitsgericht offensteht. Das wurde in dem entschiedenen Fall bejaht.
Mindestumsatz im Monatsdurchschnitt
Dabei berief sich das OLG Celle auf einen Beschluss des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2014 und stellte fest, dass hauptberufliche Ausschließlichkeitsvertreter nach § 84 Absatz 1 HGB dann als Arbeitnehmer gelten, wenn sie während der letzten sechs Monate ihres Vertragsverhältnisses durchschnittlich nicht mehr als 1.000 Euro an Provisionen und sonstigen Vergütungen einschließlich auch „Ersatz für [die] im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstandenen Aufwendungen“ erhalten haben. Hat der Agenturvertrag noch keine sechs Monate bestanden, gilt der entsprechend kürzere Zeitraum für die Durchschnittsbildung.
Das gilt nach Ansicht des Gerichts auch dann, wenn der Handelsvertreter theoretisch noch Nebentätigkeiten ausüben kann neben der aufgrund Vertrag oder faktischer Weisung entstandenen Verpflichtung, hauptberuflich für einen Versicherer tätig zu sein. Denn die nebenberufliche Tätigkeit kann der Ausschließlichkeitsvertreter naturgemäß nicht in dem Maße für seinen Broterwerb nutzen wie ein Mehrfachvertreter ohne Ausschließlichkeitsbindung.
Betriebswirtschaftlich entsprechen diese 1.000 Euro dem Umsatz vor Betriebskosten. In der bescheidensten, denkbaren Konstellation kann ein hauptberuflicher Ausschließlichkeitsvertreter von zuhause arbeiten und Hilfsmittel des Auftraggebers nutzen, die ihm ganz oder überwiegend kostenfrei zur Verfügung stehen. Üblicherweise notwendig sind zudem ein Fahrzeug und ein Telefonanschluss.
Pfändungsfreigrenze und Mindestlohn
Es gibt zwei weitere, wichtige Hinweise, was ein hauptberuflicher Ausschließlichkeitsvertreter mindestens zum Leben braucht. Das eine sind die Pfändungsfreigrenzen nach Zivilprozessordnung. Diese sind nach einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom 26.Juni 2023 zum 1. Juli angehoben worden. Der pfändungsfreie Grundbetrag beträgt nun 1.409,99 Euro im Monat, zuvor waren es 1.330,16 Euro.
„Die Pfändungsfreigrenzen sollen sicherstellen, dass dem Schuldner Geld für das existenziell Notwendige wie Essen, Kleidung und Wohnen bleibt“, erläutert die FAZ. Hinzu kommen weitere Beträge, wenn ein Schuldner Unterhaltspflichten zu erfüllen hat.
Zum anderen gibt es den Mindestlohn, der nach einem Bericht der Tagesschau vom selben Tag zum 1.1.2024 von aktuell 12 Euro auf 12,41 Euro pro Stunde angehoben werden soll. Wenn man beispielsweise die tarifliche Arbeitszeit von Versicherungsbeschäftigten zugrunde legt, dann entspricht dieser Mindestlohn einem Monatsbruttolohn von knapp über 2.000 Euro.
Nicht jede Agentur wirft genug ab
Beide genannten Monatsbeträge sind erheblich höher als der vom OLG Celle vor drei Jahren festgestellte Mindestumsatz, zumal jeweils die notwendigen Betriebsausgaben hinzugerechnet werden müssen. Und es sollte der Anspruch eines jeden seriösen Versicherungsvertriebs sein, dass seine hauptberuflichen Ausschließlichkeitsvertreter nicht Mindestlöhne unterbieten müssen, sondern umgekehrt deutlich attraktivere Einkommenschancen realisieren können.
Tatsächlich zeigen Erhebungen in der Vermittlerschaft immer wieder, dass es einen kleinen, aber stabilen Anteil an Ausschließlichkeitsvertretern gibt, deren Umsätze unterhalb solcher Mindestgrößen liegen.
Autor(en): Matthias Beenken