Mehr Netto statt Brutto

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Nettopolicen zum Vertrieb per Honorar-, Kostenausgleichs- oder Vermittlungsgebühren-Vereinbarung bieten verschiedene Vorteile. Die rechtliche Seite muss aber derzeit noch über viele hundert Seiten beleuchtet werden, wie eine aktuelle Dissertation zeigt. In ihrer an der Humboldt-Universität Berlin unter Betreuung von Professor Schwintowski entstandene Dissertationsschrift widmet Aline Icha der Nettopolice, also einem frei von Vermittlungskosten kalkulierten Versicherungstarif. Anlass ist die vielfältige Kritik am Vertrieb, vor allem an Interessenkonflikten zwischen Vermittler und Kunde durch die traditionell vom Versicherer geleistete und intransparent einkalkulierte Provision beziehungsweise Courtage.

Nettopolicen verbessern die Transparenz der Vergütung und damit auch der Dienstleistung des Vermittlers gegenüber dem Kunden. Diese Transparenz wird bisher nicht ausreichend durch die Kostenoffenlegung in der Lebens- und Krankenversicherung erreicht. Zudem unterliegt der Vermittler bei der Provision einem steuernden Einfluss durch den Versicherer. Zudem verhindert das sehr pauschale, auf dem Handelsrecht basierende Provisionssystem oftmals eine aufwandsgerechte Vergütung.

Unklare Begriffe definiert
Eingangs wird der Begriff Nettopolice untersucht, für den es keine gesetzliche Definition gibt. Dies ist nach Ichas Ansicht ein Manko, dass der Gesetzgeber beheben sollte. Alte Rundschreiben der Versicherungsaufsicht bezeichnen Tarife als Nettotarif, in die keine Provision eingerechnet ist. Weitergehende Meinungen beziehen zusätzliche, provisionsbezogene Kosten ein, die aus dem Nettotarif herauszurechnen sind.

Breiten Raum nimmt die Frage ein, ob die Vermittlung von Nettopolicen gegen gesonderte Vergütung für Versicherungsmakler und für Versicherungsvertreter zulässig ist. Dieses bejaht Icha auch für den Vertreter, bei dem allerdings der Versicherer sich nicht generell seiner Pflicht zur Provisionszahlung entledigen, sondern dies nur individualvertraglich vereinbaren kann. Eine wichtige Rolle spielt dabei unter anderem der Schicksalsteilungsgrundsatz, der bei einer Vergütungsseparierung aufgehoben werden soll. Das heißt, dass bei vorzeitiger Kündigung des Versicherungsvertrags die Vergütung trotzdem als verdient gilt, anders als bei Bruttopolicen.

Kein Verstoß gegen Gleichbehandlungsgebot
Es wird deutlich, dass heute schon sehr viele Möglichkeiten bestehen, um zumindest erfolgsabhängige separate Vergütungen zu vereinbaren. Schwieriger, aber nicht unmöglich sind Vergütungen, die nicht in einem direkten Zusammenhang mit dem erfolgreichen Abschluss von Versicherungen stehen, zum Beispiel Aufwandsvergütungen für die reine Risikoberatung oder eine Marktrecherche. Gleichwohl bestehen noch deutliche rechtliche Hindernisse, beispielsweise durch das Zusammenspiel aus einem sehr geringen Marktangebot an Nettotarifen und der Kollision mit dem Provisionsabgabeverbot.

Separierte Vergütungsvereinbarungen verstoßen nach Ichas Ansicht auch nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot. Dieses bezieht sich nur auf die Risikoprämie, nicht auf die durchaus individuell unterschiedliche Leistung der Vermittler.

Die Existenz eines Doppelrechtsverhältnisses zwischen Makler und Kunde auf der einen und dem Versicherer auf der einen Seite bestreitet Icha im Kern, wenn auch der Makler nicht völlig frei von einer Beziehung zum Versicherer sei. Vergütungsrelevant sei aber nur, wenn der Makler zusätzliche Dienstleistungen wie die Policenerstellung für den Versicherer erbringt.

Wettbewerb um die erfolgreichere Vergütungsform

Icha spricht sich für eine gesetzliche Pflicht zum Angebot von Nettopolicen aus. Es solle aber kein Provisionsverbot wie in einigen EU-Ländern, sondern einen freien Wettbewerb zwischen Honorar- und Provisionsvertrieb geben. Mischmodelle lehnt sie jedoch wegen Transparenzproblemen und Anreizvermischungen ab. Makler müssten ihrer Ansicht nach dann zwingend Nettotarife in ihre Beratungsgrundlage aufnehmen. Schließlich sollte eine Provisionsoffenlegung kommen, durch die Kunden lernen, die Versicherung und die Vermittlung als zwei separate Leistungen wahrzunehmen.

Der Arbeit liegt eine außerordentlich umfangreiche Literatur- und Urteilsrecherche zugrunde, wodurch allein die Arbeit zu einem wertvollen Überblick fast bis zur neuesten Rechtsprechung wird. Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom März 2014 zur Kostenausgleichsvereinbarung konnte erst nachträglich in die Dissertation aufgenommen und nicht mehr detailliert gewürdigt werden.

Transparenzgewinn durch Nettopolice?
Die Thesen regen zur Diskussion und teilweise auch zur Kritik an. Insbesondere bleibt es weiteren Arbeiten vorbehalten, die These der größeren Transparenz von Nettopolicen in Verbindung mit einer separaten Vergütung zu überprüfen. Allein die Flut der von Icha zitierten Urteile trotz einer nur geringen Marktbedeutung von Nettopolicen zeigt, dass es mit der Transparenz in der gelebten Praxis nicht weit her sein kann. Vor allem über die finanzmathematische Wirkung der zeitlichen Differenz zwischen der Fälligkeit der Vergütung und der versprochenen höheren Leistung - bei Lebensversicherungen oft erst Jahrzehnte später - wird in den bisher bekannt gewordenen Fällen wie auch in der von Icha entworfenen Mustervereinbarung der Kunde nicht laienverständlich aufgeklärt.

Ganz grundsätzlich bleibt zu hinterfragen, ob die These von der einseitigen Anreizsetzung der Provision und deren negativer Wirkung für den Kunden trägt. Wenn man die Prinzipal-Agent-Theorie wie Icha anführt, sollte man auch deren Wirkung nicht nur auf das Verhältnis zwischen Vermittler und Kunde, sondern auch zwischen Vermittler und Versicherer betrachten. Die Verhandlungsmacht des Versicherers dürfte diejenige der meisten Privatkunden deutlich übersteigen. Das heißt, ein Versicherer kann sich leichter gegen überzogene Vergütungsforderungen wehren als ein Kunde. Zudem begrenzt der Wettbewerb die kalkulierbaren Kosten, denn überhöhte Vergütungen freuen zwar den Vermittler, machen aber die Versicherung unverkäuflich. Diese Aspekte des Verbraucherschutzes werden in der Debatte über die Honorarberatung bisher übersehen.

Lesetipp



Aline Icha: Die Nettopolice, Chancen und Herausforderungen für Versicherungsunternehmen, Versicherungsvermittler und Versicherungsnehmer; 624 Seiten Din A5; 59,99 Euro (E-Book) oder 69,00 Euro (Print, ISBN 978-3-89952-822-0); 2014 Verlag Versicherungswirtschaft Karlsruhe.

Bildquelle: © PinkBadger / iStock / Thinkstock

Autor(en): Matthias Beenken

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