Versicherer warnen vor einem Anstieg des Betrugs. Kriminelle nutzen dabei verstärkt digitale Kanäle und die Hoffnung vieler Unternehmen, dass sich die Wirtschaft nach Corona rasch erholt.
Die Corona-Krise führt dazu, dass Unternehmer nicht nur Opfer von Betrug werden, sondern ihn sogar zum Täter werden und ihn aktiv ausführen. Opfer werden sie, wenn sie vorschnell große Warenbestellungen akzeptieren und wie allgemein üblich auf Rechnung liefern. Laut dem Kreditversicherer Atradius rechnen viele Unternehmer mit einem wirtschaftlichen Nachholeffekt, wenn Aufträge plötzlich sprunghaft ansteigen. Dabei sei mittlerweile der Betrug wieder auf Vorkrisenniveau. „In Deutschland fällt uns derzeit täglich mindestens ein Abnehmer mit einer potenziell verdächtigen Bestellung auf“, sagt Michael Karrenberg, Regional Director Risk Services bei Atradius.
Typisch ist der Stoßbetrug
Die häufigste Betrugsform sei der so genannte Stoßbetrug. Dabei bestellten Kriminelle Ware auf Rechnung, ohne diese jemals bezahlen zu wollen. Karrenberg: „Fragen die Lieferanten einige Zeit nach Auslieferung nach dem Zahlungseingang, sind die Strippenzieher bereits verschwunden.“ Am häufigsten von diesem Betrugsmuster betroffen ist laut Atradius immer noch der Lebensmittelbereich, insbesondere Händler von hochwertigem Fleisch und Fisch. Zuletzt gab es aber auch vermehrt Betrugsversuche im IT-Bereich, bei Baumaterialien sowie bei Metallen. „Seit Sommer vergangenen Jahres haben sich die verdächtigen Bestellungen bei hochwertigen Metallen wie Kupfer gemehrt“, warnt Experte Karrenberg.
Versicherer erkennen Betrüger frühzeitig
Doch die Indizien, um einen Betrüger von einem Unternehmer zu unterscheiden, bei dem das Geschäft nach der Pandemie wieder brummt, sind schwierig zu erlangen. So wechseln die Täter oft häufig ihre Anschrift, bestellen Ware, die für ihre Branche eigentlich gar nicht geeignet ist oder geben in kürzester Zeit viele Bestellungen bei verschiedenen Lieferanten auf. Allein Kreditversicherer können – weil sie regelmäßig die Aufträge vieler Kunden prüfen – solche Täter frühzeitig erkennen und vor ihnen warnen.
Die Quote der Lieferanten mit einer Warenkreditversicherung ist in Deutschland aber noch sehr gering. Dabei schützt die Police nicht nur gegen die Insolvenz oder Zahlungsschwierigkeiten des Abnehmers, sondern informiert auch frühzeitig über die wirtschaftliche Lage des vermeintlich ehrlichen Kunden. Unternehmer, die keine Warenkreditversicherung abgeschlossen haben, sollten daher aktuell möglichst nur Teilmengen liefern oder auf einer Vorauszahlung bestehen. Damit riskieren sie aber unter Umständen, einen wichtigen Auftrag zu verlieren.
Ungewöhnlicher Anstieg der gewerblichen Leitungswasserschäden
Laut Allianz probieren derzeit aber auch Unternehmen, die Schäden, die ihnen in der Pandemie entstanden sind, durch Versicherungsbetrug auszugleichen. So würde beispielsweise versucht, nicht verkaufte zerstörte Saisonware über einen Leitungswasserschaden der Versicherung in Rechnung zu stellen. Die gewerblichen Leitungswasserschäden haben seit der Pandemie um 25 Prozent zugenommen, wie die Allianz feststellt. In der Allgemeinen Haftpflicht seien die Betrugsversuche um 20 Prozent angestiegen und in der Kfz-Versicherung um zehn Prozent. Dabei handelt es sich aber nur um Versicherungsbetrug, die der Assekuranz aufgefallen ist.
Allianz betont Null-Toleranz-Strategie
Doch der Versicherer gibt sich nun besonders wachsam. „In Krisenzeiten nehmen Betrugsversuche deutlich zu“, behauptet Jochen Haug, Schaden-Vorstand der Allianz. Auch Juristen rechnen mit mehr Taten. „Aufgrund finanzieller Notlagen könnte es eine Zunahme von Gelegenheitsbetrügern geben“, schätzt der Kölner Fachanwalt für Straf- und Arbeitsrecht, Abdou Gabbar, der sich mit Betrugsmotiven und Täterprofilen beschäftigt. Schon vor einem Jahr hatte der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) erklärt, dass die Branche auf Pandemiebetrügereien „vorbreitet“ ist.
Immerhin gibt es auch einen positiven Aspekt. Die Meldungen dubioser Raub- oder Einbruchdiebstahlschäden sind laut Allianz rückläufig. Branchenschätzungen zufolge entsteht den Versicherern in der Schaden- und Unfallversicherung durch Versicherungsbetrug ein Schaden von rund fünf Milliarden Euro im Jahr. Die Unternehmen gehen davon aus, dass jede zehnte Schadenmeldung dubios ist.
Mehr virtueller Betrug
Laut einer Infas-Umfrage im Auftrag des GDV glauben 60 Prozent der jüngeren Menschen unter 30 Jahren, dass die Aufdeckung eines Versicherungsbetrugs unwahrscheinlich ist. Ein Grund: Immer mehr Taten finden virtuell statt. So kann beispielsweise durch den Einsatz von Bildbearbeitungsprogrammen oder von digitalem Identitätsmissbrauch ein Schaden konstruiert werden, der in der Realität nie so entstanden ist. „Durch vermehrte Nutzung digitaler Mittel gehen wir davon aus, dass bis 2030 jeder fünfte Versicherungsbetrug virtuell stattfinden wird“, so Allianz-Mann Haug.
Die Assekuranz unterstreicht noch einmal ihre „Null-Toleranz-Strategie“ gegen Betrüger. Wer erwischt wird, muss mit einem Strafverfahren rechnen. Gleichzeitig wehrt sich der Versicherer mit spezieller Software, Data Analytics sowie Künstlicher Intelligenz (KI), um mehr Betrüger zu entlarven.
Autor(en): Uwe Schmidt-Kasaprek