Schon heute – mitten in der Corona-Krise – denken Versicherungsexperten über einen künftigen Schutz gegen neue Pandemien nach. Er dürfte sehr marginal ausfallen und wohl nicht ohne die Hilfe des Staates ins Leben gerufen werden können.
Die Corona-Krise erschüttert weiterhin die Wirtschaft. Besonders betroffen sind Tourismus, Eventveranstalter, Einzelhandel, Gastronomie und Hotels. Viele dieser Unternehmen hatten sich gegen den Ausfall von Veranstaltungen oder die Schließung von Betrieben versichert. Nun wird kräftig gestritten, ob der Schutz auch für die Covid-19-Pandemie gilt. Während dies bei vielen Veranstaltungsausfallversicherung unstrittig ist, gibt es rund um die Betriebsschließungsversicherung (BSV) heftigen Ärger.
Laut dem Bundesverband Deutscher Versicherungsmakler (BDVM) gibt es viele Bedingungswerke, die eine Leistung durch das Coronavirus nicht klar ausschließen. Einige Versicherer, wie die Signal-Iduna, der HDI oder der Münchener Verein, leisten in vollem Umfang. Viele andere haben sich einer „bayerischen“ Kulanzlösung angeschlossen und zahlen „freiwillig“ 15 Prozent. Grund: Der politische Druck auf die Versicherer ist sehr hoch.
Aktueller Streit um Pandemie-Deckung
Dabei war die BSV ganz bestimmt niemals als Pandemie-Schutz gedacht. Es ging eher darum, dass ein Hotel nach einem Salmonellenbefall für zwei Wochen von der Gesundheitsbehörde geschlossen wird. Auch sonstige Betriebsunterbrechungspolicen (BU) folgen immer dem Sachschaden. Sie leisten also, wenn Feuer, Explosion, Blitzschlag, Flugzeugaufprall sowie nach Naturgefahren wie Sturm, Flut, Hagel oder Starkregen den Betrieb stoppen. Grund: Solche Szenarien versichern die Assekuranzen seit etlichen Jahren. Sie können das Risiko des Schadens kalkulieren und leisten dann über die BU, den Ertragsausfall, bis der Betrieb wieder läuft. Auch die Unterbrechungszeit ist risikotechnisch kein Problem für Erst- und Rückversicherer, die weltweite Erfahrungen haben.
Wann eine Non-Damage-Business-Interruption greift
Das ist ganz anders, wenn es um echten Pandemie-Schutz geht. Hier müssen die Versicherer mit einem so genannten Kumul-Ereignis rechnen – also viele Schäden, die globalen Umfang erreichen. Echten Pandemieschutz gibt es – oder besser gesagt gab es, denn derzeit deckt keine Versicherung eine solche Gefahr – nur für sehr große Industrieunternehmen. Es handelt sich dabei um aufwändige, individuelle Sonderlösungen, die es den Unternehmen ermöglichen, Ertragsausfälle ohne Sachschaden zu versichern. Non-Damage-Business-Interruption (NDBI) zahlen, wenn es zu einer Pandemie kommt, europaweit die Energie ausfällt, der Luftraum gesperrt wird, Waren enteignet werden oder der Export plötzlich verboten wird sowie Infrastrukturbeschränkungen auftreten oder es zu Terrorismus kommt, bei dem gar kein Terroranschlag verübt wird, sondern schon die Androhung zu extremen Maßnahmen führen.
Schutz für alles
„Der NDBI-Ansatz entstand im deutschen Versicherungsmarkt gehäuft infolge des Ausbruchs des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull Ende 2010“, erläutert Alexander Skorna, Risikoexperte des internationalen Makler Funk-Gruppe. Damals erfolgte ein mehrwöchige Unterbrechung europäischer Flugverbindungen mit Lieferengpässen in der Automobilindustrie. „Grundvoraussetzung für eine NDBI-Versicherungslösung war und ist die sehr detaillierte Analyse der Abhängigkeiten im Produktionsnetzwerk eines Unternehmens inklusive Lieferanten- und Kundenbeziehungen“, so Skorna. Die Corona-Krise wird aber wohl erst einmal zu einem ganz neuen Risk-Management führen.
Vor allem produzierende Unternehmen brauchen künftig Ausweichstandorte, die schnell einsatzbreit sind. Manche Unternehmen haben aus dieser Bedrohungslage längst Konsequenzen gezogen. „Wir haben ein umfangreichen Präventivschutz als Schwerpunkt im Risikomanagement eingeführt, um rasant wandelnde Veränderungen in der Welt abzufangen“, erläutert Michael Seidel, der bei DMW Assekuranz & Risikomanagement beschäftigt ist. „Nach unserer Beratung hat ein großer Automobilzulieferer, der mehrere Werke in Mexiko hat, ein unabhängiges und zentrales Ersatzteillager geschaffen, um so die Arbeitsfähigkeit aller Standorte zu erhalten.“ Für das wichtige Lager wurde dann zusätzlich umfangreicher Versicherungsschutz auch gegen Ausfälle geschaffen, die nicht auf einen Sachschaden zurückzuführen sind.
Staatliche Hilfe hat Vorbilder
Neuer NDBI-Schutz wird aber auf sich warten lassen. Der BDVM rechnet damit, dass Ende des Jahres alle BSV-Police gekündigt und mit klaren Regeln - ohne jede Chance auf Pandemie-Deckung - wieder auf den Markt kommen. Ähnliches wird von Spezialmakler für den Veranstaltungsausfallschutz erwartet. Für eine neue Pandemiedeckung muss nun der Staat auf jeden Fall Starthilfe geben. Mit einem umfassenden Deal hat Deutschland aktuell schon die Kreditversicherung stabilisiert. So übernimmt die Bundesregierung rückwirkend zum März 2020 bis zum Jahresende eine Garantie von 30 Milliarden Euro.
Frühere Kooperationen zwischen Staat und Versicherern
Die Kreditversicherer tragen selbst Verluste bis 500 Millionen Euro sowie Ausfälle, die über die Bundesgarantie hinausgehen. Dafür erhält die Bundesregierung 65 Prozent des Prämienaufkommens. So können 400 Milliarden Euro Lieferkredite bestehen bleiben und die deutsche Wirtschaft stabilisiert werden. Eine Kooperation zwischen Staat und Versicherern gab es auch infolge der Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA. Im Nachgang wurde am 3. September 2002 in Deutschland die Extremus Versicherungs-AG gegründet. Sie kombiniert private Deckungskapazität mit einer Staatsgarantie.
Eine solchen speziellen Pandemie-Versicherer fordert nun auch die der Gesamtverband der versicherungsnehmenden Wirtschaft (GVNW). „Der Versicherungsmarkt bietet hiergegen bislang keine geeignete Absicherung und kann dies aufgrund der hierfür notwendigen Finanzkapazitäten auch in Zukunft alleine nicht tun“, sagt der Vorstandsvorsitzende des GVNW, Alexander Mahnke. Deswegen fordert er, dass die private Versicherungswirtschaft zusammen mit staatlicher Unterstützung eine geeignete Struktur für die Absicherung zukünftiger Pandemierisiken aufbaut.
Hohe wirtschaftlichen Risiken durch das Flugverbot
Ob das schon 2012 klappen könnte, wird wohl vom Verlauf der Pandemie abhängen. „Als sich der Rauch des Vulkans Eyjafjallajökull verzogen hatte, haben viele Unternehmen schon wieder vergessen, welche hohen wirtschaftlichen Risiken das Flugverbot mit sich brachte“, so Experte Skorna. Die Nachfrage nach NDBI-Schutz sei sehr verhalten gewesen. Das dürfte angesichts der weltweiten Krise durch Corona wohl anders sein.
Autor(en): Uwe Schmidt-Kasparek