„Sicher ist nur das Risiko“, kommentierte Yasmin Fahimi, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), nachdem am 5. März 2024 das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und das Bundesministerium der Finanzen den Referentenentwurf zum Generationenkapital vorgestellt hatten.
Nun hagelt es an der Reform noch viel schärfere Kritik. „Das Generationenkapital nutzt die Finanzierungsmethode eines gehebelten Hedgefonds“, so die Feststellung der Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) und des IVS – Instituts der Versicherungsmathematischen Sachverständigen für Altersversorgung. Durch den Gesetzesentwurf wird nach Meinung der Experten die etablierte Finanzierungsform der Kapitaldeckung „diskreditiert“.
Die Regierung hätte die Öffentlichkeit getäuscht, denn das Generationenkapital sei kein Einstieg in die Kapitaldeckung für die gesetzliche Rentenversicherung. Immerhin hat sogar der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) diese Aussage geschluckt, denn Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen betont: „Mehr Kapitaldeckung im System ist grundsätzlich richtig.“
Riskantes investieren notwendig
Nun stellen DAV und IVS fest: Kredit aufnehmen, riskant investieren, die Kreditzinsen mit den Investmenterträgen bezahlen und den Gewinn einstreichen — das habe mit Kapitaldeckung nichts, aber rein gar nichts zu tun. „Kapitaldeckung liegt vor, wenn aus unbelasteten Beiträgen ein Kapitalstock angespart wird, aus dem später die Leistungen gezahlt werden – so funktionieren die betriebliche Altersversorgung und die private Rentenversicherung“, erläutert Maximilian Happacher, Vorstandsvorsitzender der DAV.
Nach Einschätzung der Versicherungsmathematiker geht die Rechnung der Regierung nicht auf. „Wir gehen auf Basis unserer eigenen Einschätzungen davon aus, dass die realistisch erzielbaren Renditen dauerhaft nicht ausreichen, die geplanten Ausschüttungen und die Zinskosten zu finanzieren“, so Happacher. Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass bis 2035 durch schuldenfinanzierte Mittel, die am Kapitalmarkt ertragreich investiert werden sollen, ein Vermögen von 200 Milliarden Euro aufgebaut wird. Daraus sollen ab 2036 nach Abzug der Schuldzinsen jährlich zehn Milliarden Euro an die gesetzliche Rentenversicherung ausgeschüttet werden, um die Beitragssätze zu stabilisieren. Nach Feststellung der Experten gebe es in den Planrechnung zudem Unplausibilitäten. Daher seien sie unseriös.
Staat soll das Anlagerisiko tragen
Laut der Aktuare müssten – falls die Rechnung der Regierung nicht aufgeht - am Ende die Beitragszahler die Zeche zahlen, weil der Beitragssatz nicht wie vorgesehen stabilisiert werden kann. Die Wirkung wird sowieso nur als begrenzt eingeschätzt, denn die „geplanten“ Aktienerträge sollen die Beiträge ab 2035 um höchsten 0,3 Prozent senken. Nach Vorschlag des DAV und IVS sollte aber das Gesetz so geändert werden, dass der Staat das Anlagerisiko trägt.
„Wenn der Gesetzgeber von der Leistungsfähigkeit und Verlässlichkeit des Generationenkapitals überzeugt ist, sollte die Übernahme dieses Risikos durch den Bund unkritisch sein“, sagt Friedemann Lucius, Vorstandsvorsitzender des IVS. Mit der Reform könnten aber die demografischen Probleme der gesetzlichen Rente gar nicht gelöst werden. Die Experten fordern daher, das Renteneintrittsalter an die Entwicklung der Lebenserwartung zu koppeln.
Gleichzeitig sollte der Nachhaltigkeitsfaktor wieder voll gelten. Er beeinflusst die jährliche Rentenanpassung entsprechend der Veränderung des Verhältnisses der Beitragszahler zu den Rentenbeziehern. Gilt er voll, bleiben die sinken die Renten, da es immer weniger Zahler und immer mehr Empfänger gibt.
Öffentliche Diskussion nutzen
Die aktuelle Kritik können Vermittlerinnen und Vermittler nutzen, um ihre Kundinnen und Kunden für die zusätzliche private oder betriebliche Vorsorge zu motivieren. Denn die öffentliche Diskussion um die Altersvorsorge ist wieder voll im Gange. Fakt ist, dass nach einer Umfrage der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) 17 Prozent der Erwerbsfähigen nicht von „ihrer Altersvorsorge überzeugt“ sind oder „gar keine finanziellen Pläne für das Alter“ haben. Ein Drittel der Nicht-Ruheständler will im Rentenalter weiterarbeiten.
Und an einem höheren Rentenalter kommt die Gesellschaft wohl nicht vorbei. Das sagen Ökonomen wie der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest oder die Volkswirtschaftlerin Veronika Grimm von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Ausnahmen solle es für Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen geben. Fazit hier: Wer frühzeitig auskömmlich in Rente gehen will, braucht ganz bestimmt eine zusätzliche private Vorsorge.
Autor(en): Uwe Schmidt-Kasparek