Die Wirtschaft lahmt, und die Situation wird auch für die Versicherer schwieriger. Der Gesetzgeber könnte mit mutigen Schritten helfen, die zudem nicht einmal dem Verbraucherschutz im Weg stehen – im Gegenteil.
Auch in diesem Jahr wird die Konjunktur nicht mehr anspringen und die Wirtschaft eine Seitwärtsbewegung machen. Die andauernden Streitigkeiten der Bundesregierung helfen dabei nicht. Problem erkannt und erfolgreich verdrängt, scheint bisher die Devise zu sein. Dabei liegen seit langem Vorschläge auf dem Tisch, wie unter anderem durch Bürokratieabbau auch bei Versicherungen die Wirtschaft wieder belebt werden könnte (Versicherungsmagazin vom 18.4.2023 und 15.5.2023).
Marktpotenziale schrumpfen
Auch für die Versicherungswirtschaft und die Versicherungsvermittler wird die Luft dünner werden. Nach der Sonderkonjunktur durch die Schadeninflation , durch die die Prämien beispielsweise in der Gebäude- und der Kfz-Versicherung kräftig steigen, werden bald negative Effekte durchschlagen. Der bundesweite Abbau von Industriearbeitsplätzen reduziert das Potenzial bei industriellen und gewerblichen Schadenversicherungen und betrieblicher Altersvorsorge und Krankenversicherung. Das betrifft nicht nur die Großen der Branche wie die Autohersteller, sondern auch zahllose Mittelständler im Zuliefererbereich.
Die Messe DKM oder auch verschiedenen Vermittlerveranstaltungen der letzten Monate zeigen eine große Bürokratiemüdigkeit auch in der Versicherungsbranche. Versicherer wie Vermittler klagen über immer neue Belastungen, zuletzt durch die Nachhaltigkeits- und Lieferketten-Regulierung. Geradezu widersinnig erscheint es, wenn einerseits politische und Aufsichts-Initiativen zur Reduzierung von Abschluss- und Vertriebskosten unter Stichworten wie „Value for Money“ gestartet, an anderer Stelle aber immer neue teure Berichtspflichten aufgesattelt werden.
Rasche Erfolge wären möglich
Dabei gäbe es einiges Bürokratie-Entlastungspotenzial, das nicht einmal dem Verbraucher schaden, sondern sogar nutzen würde. Eine mutige Bundesregierung könnte hier „Quick Wins“ erzielen, rasche Erfolge im politischen Wettstreit um bessere Rahmenbedingungen für die Wirtschaft.
Ein Ansatzpunkt könnte die „Digital first“-Regel sein. Derzeit gilt für Versicherungsinformationen verschiedenster Art, dass sie grundsätzlich in Papier und nur in Ausnahmefällen digital an den Kunden zu übermitteln sind. Das führt bis heute dazu, dass die Versicherungswirtschaft einer der letzten verbliebenen Großkunden der Briefpost ist. Da werden Verbraucherinformationen, Standmitteilungen, Abbuchungsmitteilungen, Stichtagsfragebögen und viele andere Papiere durch die Lande geschickt. Das nervt die angeschriebenen Kunden und belastet die Umwelt.
EU will weg vom Papier
Das wäre aber leicht zu ändern, indem die Formvorschriften zu Kundeninformationen im VVG umgekehrt werden und digitale Informationen zur Regel und Papier zur Ausnahme erklärt werden. Das verstößt zwar momentan noch gegen die Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD. Die soll aber geändert werden, und zwar genau in diesem Punkt. Der Vorschlag der EU-Kommission dazu liegt seit Mai 2023 auf dem Tisch, und alle Welt wartet gerade auf die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit Europas nach der Parlamentswahl, um im sogenannten Trilog diesen Vorschlag zu verabschieden. Ein Vorpreschen Deutschlands wäre damit wenig risikoreich, weil diese Regeln ohnehin bald kommen und umzusetzen sind.
Außerdem könnte die Kundeninformation wieder auf das Wesentliche begrenzt werden, anstatt den Kunden zusätzlich zum Kundeninformations- und bei bestimmten Produkten dem Basisinformationsblatt auch noch sämtliche Verbraucherinformationen vorab zuzustellen, selbst wenn der Kunde erst einmal nur ein Angebot haben wollte und sich nicht für eine bestimmte Versicherung entschieden hat.
Früher hieß das einmal Policenmodell, das wollten aber Verbraucherschützer nicht mehr. Es gibt aber keinen sinnvollen Beleg dafür, dass die mit dem neuen VVG 2008 eingeführte Regel, jeden Versicherungsinteressenten noch vor seiner Kaufentscheidung mit teilweise hunderten Seiten ungelesener Informationstexte zu überschütten, irgendeinen Qualitätsvorteil bei den abgeschlossenen Verträgen gebracht haben könnte. Also: weg damit.
Überzogene Nachhaltigkeits-Fragepflichten
An einer anderen Stelle müsste Europa Hand anlegen, die deutsche Bundesregierung könnte sich aber mindestens über den Rat dafür einsetzen. Es geht um die völlig übertriebene, geradezu abschreckende Frage- und Beratungspflicht zu Nachhaltigkeitspräferenzen von Lebensversicherungs-Kunden. Selbst die Fachleute können kaum unfallfrei erklären, was der Unterschied zwischen einer „Taxonomie-konformen“ und einer „Offenlegungsverordnungs-konformen“ ökologischen Anlage sein soll.
Werden wie nach den europäischen Delegierten Verordnungen gefordert auch noch Mindestanteile gewünschter Anlagen erfragt, ist die Enttäuschung vorprogrammiert: Der Nachhaltigkeits-interessierte Kunde wird Anteile nennen, die gar nicht umsetzbar sind. Was lernt die Branche daraus? Besser nicht fragen, sondern dem Kunden suggerieren, er habe keine Nachhaltigkeitspräferenzen, und das auch noch dokumentieren.
Die Lösung wäre einfach: Die EUI-Kommission müsste lediglich von Parlament und/oder Rat aufgefordert werden, die beiden fraglichen Delegierten Verordnungen (2021/1253 für reine Anlagen und 2021/1257 für Versicherungsanlagen) auf den Kern dessen zu reduzieren, was eigentlich gewollt ist. Nämlich mit den Kunden darüber zu sprechen, ob Nachhaltigkeit bei ihren Anlagen berücksichtigt werden soll. Und wenn die Kunden das bejahen, wäre es wie bei allen anderen Versicherungen auch ausreichend, wenn die Verantwortung anschließend beim Versicherer oder Vermittler liegt, ein passendes Angebot zu identifizieren und zu erläutern.
Autor(en): Matthias Beenken