EU-Kommissar Oettinger warb bei der BVK-Jahreshauptversammlung in Berlin für ein starkes Europa und gegen kleinliche nationale Politikansätze. Die Versicherungsvermittler interessiert aber vor allem die überbordende Regulierung und Angriffe auf die Vergütung.
Gewohnt kampflustig eröffnete Präsident Michael H. Heinz (Foto: Zweiter von rechts) die Fachtagung anlässlich der Jahreshauptversammlung des Bundesverbands Deutscher Versicherungskaufleute e.V. (BVK). „Wir wissen gar nicht, wer noch auf unserer Seite steht“, kritisierte er vor Journalisten das Verhalten der Politik, aber auch des Versichererverbands GDV. Der habe sich „beim Thema IDD deutlich von uns distanziert“. Damit spielte Heinz insbesondere auf das Thema Beratungspflichten im Onlineverkauf an, bei denen die Versicherer versucht hatten, die vor dem 23. Februar geltende Ausnahmeregelung für Versicherer aufrechtzuerhalten. Aber Heinz vermisste auch eine Unterstützung der Versicherer in Sachen Kosteneinsparung. Die Vermittler hätten ihren Teil getan, die Provisionen seien gesunken. Offen sei, ob auch die Versicherer ihre Kosten ausreichend angepasst hätten.
Gemeinsamkeiten beschworen
GDV-Präsident Wolfgang Weiler hob das Verbindende in seinem Grußwort hervor. „Die Öffentlichkeit unterscheidet nicht zwischen Versicherern und Vermittlern“, warnte er vor einem schlechten Bild, dass durch Fehler nur einer der Parteien beim Kunden entstehen kann. Und dies bezog er ganz offensichtlich durchaus nicht nur auf die individuellen Kundenberatungen, sondern auch auf das Auftreten der Verbände gegenüber der Politik. Gerade in der Altersvorsorge sei es von großem Nachteil wenn die Branche „ein diffuses Bild“ abgibt und den Eindruck erweckt, kein überzeugendes privatwirtschaftliches Angebot machen zu können.
Gemeinsam eint Versicherer und Vermittler die Klage über eine überbordende Regulierung. Am „D-Day“, wie ein Teilnehmer den Tag 1 der Anwendung der EU-Datenschutzgrundverordnung bezeichnete, werde deutlich, dass es den Unternehmen kaum noch gelingt, hinterherzukommen, welche neuen europäischen Richtlinien und Verordnungen sowie nationalen Gesetze wieder neu umzusetzen sind. Der Zweck, den Verbraucher zu schützen, wurde von keiner Seite in Frage gestellt, aber sehr wohl der Weg dorthin.
Mütterrente als Antwort auf globale Herausforderungen
EU-Haushalts- und Personal-Kommissar Günther H. Oettinger (Foto: Dritter von rechts) lenkte allerdings den Blick auf eine deutlich globalere Ebene. „Wir leben in einem permanenten Sommermärchen“, skizzierte er die deutsche Grundhaltung, aber „die ist bedroht“. Dazu zählte er die zahlreichen weltweiten Risiken für die Wirtschaft und die Gesellschaftssysteme auf, die durch autokratische Regierungen, intolerante religiöse Bewegungen und den Europäern fremde Wertvorstellungen entstehen. „Wir stehen unter einem gewaltigen Druck.“
Offenkundig ärgerte sich Oettinger über manche deutsche Kleinstaaterei. Dass die deutsche Politik versprochen habe, sich nennenswert an den Pflichten zur Verteidigung zu beteiligen und dafür zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufzuwenden, tatsächlich aber nur rund 1,2 bis 1,3 Prozent auszugeben bereit sei, rufe verständlicherweise Verärgerung beim Bündnispartner USA hervor. Wenn aber die USA als Partner zunehmend schwerer kalkulierbar wird, sei auch eine Anlehnung an die anderen großen Weltmächte wie Russland oder China kaum eine wünschenswerte Alternative.
Kleinstaatliche Lösungen keine Antwort auf Flüchtlingskrise
Und was mache die deutsche Politik in dieser Situation? „Wir antworten mit der Mütterrente“, als ob es die angesprochenen globalen Herausforderungen nicht gebe. Die gegenwärtige Bundesregierung, und dabei bezog Oettinger ausdrücklich auch seine eigene Partei in die Kritik mit ein, agiere nicht eben strategisch und zukunftsorientiert. Auch kleinstaatliche Lösungen wie eine neue bayerische Grenzpolizei könne keine Antwort auf die Flüchtlingskrise sein. „Wir können nur Stabilität exportieren oder Instabilität importieren, andere Lösungen gibt es nicht“, appellierte er an die Bereitschaft von Deutschland, an einer Bekämpfung von Fluchtursachen in den Heimatländern sowie an einem gesamthaften Schutz der Außengrenzen der Europäischen Union mitzuwirken.
Aufforderung von Oettinger: Chancen der Digitalisierung entdecken und nutzen
Oettinger ging aber auch auf die naheliegenderen Sorgen der Versicherungsvermittler ein. „Sie leben entscheidend von dem Vertrauen der Versicherungsnehmer“, hob er die Rolle der Vermittler hervor. Aber auch, „wer die Daten hat, hat die Macht“. Es kämen neue Konkurrenten um den Kunden ins Spiel, insbesondere die großen Daten-getriebenen, meist amerikanischen Konzerne. Für eine mittelständische Wirtschaft, die Oettinger ausdrücklich seiner Unterstützung versicherte, sei das eine große Herausforderung. Aber er ermunterte die Zuhörer, unter denen sich auch mehrere Berufsschulklassen aus Berlin und Potsdam befanden, die Chancen der Digitalisierung für sich zu entdecken und zu nutzen.
„Brüssel ist wichtiger für Sie als München oder Berlin“, meinte er schließlich an die Adressen der professionellen Lobbyisten gerichtet. Und „wir sind deutschen Argumenten sehr interessiert“, denn Deutschland sei das größte und wirtschaftsstärkste Mitgliedsland. Das sollten auch die Verbände der Versicherungswirtschaft nutzen, um sich so effektiver gegen übergroße Regulierung und stattdessen vitale Märkte einzusetzen.
Autor(en): Matthias Beenken