Lebensversicherungen, die vor allem Kapitalanlage-Zielen dienen, erfordern eine besondere Aufklärung des Kunden. Was aber ist, wenn der Versicherer diese Pflicht dem Makler überlässt, hatte das Kammergericht Berlin zu entscheiden.
In seinem Urteil vom 30. Januar 2018 (Az. 6 U 57/16, r+s 01/2019, S. 12 ff.) sieht das Kammergericht Berlin einen Lebensversicherer in der Pflicht, Informations- und Aufklärungspflichten nach Kapitalanlagegrundsätzen zu leisten, wenn sich eine Lebensversicherung zum Einmalbeitrag wirtschaftlich gesehen als ein Kapitalanlagegeschäft darstellt. Darauf wiederum deutet unter anderem die Höhe - im konkreten Fall ein sechsstelliger Betrag - und die Tatsache hin, dass der Einmalbeitrag kreditfinanziert war.
Unrealistische Renditeaussagen über den Strukturvertrieb
Eine Verletzung dieser Informations- und Aufklärungspflichten wird darin gesehen, dass der Versicherer in dem konkreten Fall konkrete Aussagen zu einer zu erwartenden Wertentwicklung der Versicherung gemacht hat, obwohl sich schon bei Vertragsschluss abzeichnete, dass diese wohl nicht zu erreichen ist, insbesondere weil bei Vertragsschluss noch nicht einmal feststand, in welche Fonds das Deckungskapital investiert werden sollte.
Eine besondere Brisanz enthält das Urteil für Versicherer, die sich bei der Vermittlung eines Vermittlers bedient. In diesem Fall soll es sich um einen Strukturvertrieb gehandelt haben, der selbst als Versicherungsmakler registriert war. Die konkrete Vermittlung erfolgte durch einen Handelsvertreter, der für diesen Makler tätig war.
Das Kammergericht weist in seinen Leitsätzen darauf hin, dass der Versicherer sich die Pflichtverletzung seines Vermittlers zurechnen lassen muss, wenn er die Informations- und Aufklärungspflichten dem Vermittler überlassen hat. Das gilt selbst für einen Makler, wenn der „einen speziell für diesen Vertriebsweg entwickelten Tarif“ vermittelt.
Dem Fall lag eine Schadenersatzforderung des Kunden zugrunde, weil der Vermittler seine vorvertragliche Aufklärungspflicht verletzt habe. Dabei ging es um die Werbung mit unrealistisch hohen Renditeprognosen. Beworben worden war die Lebensversicherung gegen Einmaleitrag im Rahmen eines Gesamtkonzepts, das auch die Finanzierung des Beitrags umfasste – in der Branche auch als Hebelkonzept bekannt.
Keine konkreten Aussagen zu geplanten Fondsanlagen
Das Landgericht Berlin hatte den beklagten Versicherer weitgehend gemäß dem Antrag verurteilt, das Kammergericht war als Berufungsinstanz mit dem Fall befasst. Der Abschluss muss noch vor der VVG-Reform 2008 erfolgt sein, weil auf den alten § 10a VAG Bezug genommen wird. Danach war ein Versicherer damals schon verpflichtet, dem Kunden einer Lebensversicherung vor Abschluss des Vertrags eine Verbraucherinformation zu übermitteln, in der alle für den Vertrag wichtigen Informationen enthalten sind. Hier handelte es sich um eine fondsgebundene Versicherung, bei der der Kunde Anspruch auf eine Information gehabt hätte, in welche Fonds das Geld investiert wird.
Stattdessen hatte der Kunde nur eine allgemeine Information im Antragsformular erhalten, wonach das Geld "in ein immobilienorientiertes Portefeuille" investiert werde. Näheres gehe aus weiterem Informationsmaterial hervor, das aber dem Kunden nicht zur Verfügung gestellt wurde. Selbst im Verfahren hatte der Versicherer sich wohl nicht festlegen können, in welche Fonds das Geld angelegt werden sollte. Stattdessen gab es wohl ein Prospekt, das vom Versicherer und dem Strukturvertrieb gemeinsam erstellt worden war, das aber dem Kunden nicht vorgelegen hatte.
Im Todesfall kein vollständiger Schutz
Das Gericht stuft diese Lebensversicherung als ein Anlagegeschäft ein. Der Todesfallschutz spielte keine Rolle, sondern es ging lediglich um eine möglichst hohe Rendite auch unter steuerlichen Gesichtspunkten, mit deren Hilfe die Rentenzahlungen der Versicherung die Kreditkosten übersteigen sollten.
Zwar wurde ein Todesfallschutz von 105 Prozent des Einmalbeitrags vereinbart. Aber die Richter waren der Meinung, dass ein Kunde, der seine Hinterbliebenen vor Belastungen im Todesfall schützen wollte, vernünftigerweise überlegt hätte, wie die Hinterbliebenen im schlimmsten Fall eines Todes kurz nach Abschluss dagestanden hätten. Denn dann wären die Schulden aus der Kreditfinanzierung höher gewesen als der mit 105 Prozent des Einmalbeitrags gewährte Todesfallschutz, weil bei der Bemessung des Kredits ein erwartetes Delta aus Zinsen und Steuervorteilen mit berücksichtigt wurde. Die kreditgebende Bank hatte deshalb wohl auch weitere Sicherheiten von dem Kunden verlangt, und zwar durch Abtretung weiterer Risikolebensversicherungen. Das wertete das Gericht als weiteres Indiz für die Tatsache, dass es hier wohl gerade nicht um eine Versicherung im eigentlichen Sinn ging.
Aufklärung ja, Bewertung nein
Der Versicherer schuldete dem Kunden eine Aufklärung über Chancen und Risiken dieses Anlagegeschäfts, nicht allerdings deren Bewertung, denn einen Beratungsvertrag hat das Gericht nicht angenommen. Insbesondere über das Risiko von Verlusten hätte der Kunde aufgeklärt werden müssen.
Diese Aufklärung war jedoch dem Strukturvertrieb überlassen worden. Dieser hatte wohl auch Risikohinweise gegeben, wie der klagende Kunde selbst angegeben hatte. Allerdings wurde kritisiert, dass in diesen Informationen kein realistisches Bild einer möglichen Wertentwicklung gezeichnet wurde. Angegeben worden war offenbar eine Rendite von 6,85 Prozent jährlich, für die es keine Grundlage gab - eben weil keine konkreten Fonds benannt wurden, in die das Geld investiert werden sollte. Das Ganze beruhte auf einer "Renditeempfehlung", die der Versicherer dem Vertrieb gegenüber mit 8,5 Prozent benannt und selbst dann noch aufrecht erhalten hatte, als es 2004 schon Hinweise des Vertriebs über angedrohte Schadenersatzklagen von betroffenen Kunden, Steuerberatern und Vertriebspartnern gab.
Versicherer haftet unter Umständen auch für einen Makler
Der Versicherer konnte sich von seiner Haftung auch nicht mit Verweis darauf befreien, dass der Vertrieb Makler war und damit die Erfüllungsgehilfenhaftung nach § 278 BGB nicht greife. Entscheidend war für das Gericht, dass der Vertrieb "mit Wissen und Wollen Aufgaben wahrnimmt, die typischerweise dem Versicherer obliegen". Das sei hier gegeben, weil der Versicherer dem Makler die Erfüllung seiner eigenen Aufklärungs- und Informationspflichten überantwortet hatte. Erschwerend kam hinzu, dass der Tarif wohl extra für diesen Vertrieb entwickelt worden war.
In diesem Zusammenhang interessant ist eine Aussage des Kammergerichts zum sogenannten Doppelrechtsverhältnis von Maklern. Der Makler sei eine "Mittelsperson" die "trotz der Nähe zum Versicherungsnehmer" eben auch zum Versicherer "in vertraglichen Beziehungen" stehe. Die Auseinandersetzung mit der Rechtsstellung des Maklers könnte künftig noch häufiger Gerichte beschäftigen, insbesondere nachdem nun auch der vermeintlich völlig unabhängige Versicherungsberater ("Honorarberater") ausdrücklich zur Vermittlungstätigkeit berechtigt worden ist. Der aber kann auch nur "mit Wissen und Wollen" des Versicherers vermitteln, weil er dafür die Zusage von Nettotarifen oder einer Provisionsdurchleitung benötigt.
Autor(en): Matthias Beenken