Die Betriebsschließungsversicherung beschäftigt landauf, landab die Gerichte. Die Zeitschrift "Recht und Schaden" hat versucht, einen Überblick zu verschaffen.
Sucht man im Internet nach den Stichworten Betriebsschließungsversicherung und Urteil, dann entsteht in den Trefferlisten leicht der Eindruck, dass Gastronomen und Hoteliers ganz überwiegend erfolgreich ihre Versicherer verklagen und Leistungen aus den abgeschlossenen Versicherungen zugesprochen bekommen. Tatsächlich sieht es durchaus anders aus, wenn man der Zeitschrift "Recht und Schaden" folgt. In ihrer aktuellen Ausgabe gibt sie einen Überblick über bisher ergangene und veröffentlichte Urteile.
Über 60 Verfahren entschieden - wahrscheinlich sogar etliche mehr
Diese Liste enthält abzüglich einer Doppelzählung 62 Urteile und Beschlüsse ganz überwiegend von Landgerichten in der ganzen Republik. Die tatsächliche Anzahl dürfte deutlich höher sein. Einzelne Recherchen zeigen, dass es wohl noch eine Reihe weiterer Urteile oder Beschlüsse gibt.
Den spektakulären Auftakt hatte bereits wenige Wochen nach Beginn des ersten Lockdowns das Landgericht Mannheim gemacht. Das wies zwar einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Leistung durch die verklagte Versicherung zurück, führte aber in der Begründung aus, dass nach Meinung des Gerichts dem Grunde nach ein Anspruch auf Leistung gegeben ist.
52-mal Klage abgewiesen
Die Urteile werden von der Autorin Coco Mercedes Tremurici, Doktorandin an der Freien Universität Berlin, dahingehend eingeordnet, ob ein Versicherungsfall durch das Gericht bestätigt wurde oder nicht. Sie umfasst Urteile und Beschlüsse, die bis zum 20. Januar 2021 ergangen und veröffentlicht worden sind. Danach wurde in zehn Verfahren ein Anspruch auf die Versicherungsleistung ganz oder überwiegend bestätigt. In 52 Fällen hingegen lehnten die Gerichte den Anspruch ab. Das Verhältnis ist also in etwa 1 zu 5 gegen die Kunden.
Fälle sind sehr unterschiedlich
Dafür gibt es verschiedene Gründe. Am Markt ist eine Vielzahl an verschiedenen Bedingungswerken verbreitet. Auch wenn sich diese auf wenige Grundtypen reduzieren lassen, muss doch jeder Einzelfall beurteilt und bewertet werden.
Die Situation der betroffenen Kunden ist nicht immer vergleichbar, wie einzelne Fälle zeigen. Beispielsweise ist umstritten, ob ein Betrieb überhaupt als geschlossen im Sinne der Versicherungsbedingungen gilt, wenn er wie viele Hotels oder Sozialeinrichtungen grundsätzlich weiter geöffnet ist - wenn auch für nur noch wenige Kunden beziehungsweise zu betreuende Personen.
Die betroffenen Kunden haben die Wahl des Gerichtsstands. Dadurch kommt es nicht zu einer Bündelung der Verfahren an den Standorten der jeweiligen Versicherungsgesellschaften.
Geht es darum, sich etwas "leisten" zu können?
Die Gemengelage ist unübersichtlich. Wenig hilfreich sind in diesem Zusammenhang undifferenzierte Aussagen wie beispielsweise aus der Wirtschaftsredaktion der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung!. Vor kurzem kommentierte deren Autor Henning Peitsmeier das Jahresergebnis der Allianz von knapp elf Milliarden Euro Gewinn dahingehend, die Allianz könne sich mehr Großzügigkeit gegenüber den Gastwirten leisten. Das Unternehmen zeige dagegen "Sturheit" und habe sich so mehr als 150 Klagen eingehandelt und das eigene Image beschädigt.
Die ersten Schätzungen beispielsweise des Vorstands der Signal Iduna Versicherung belaufen sich auf einen Faktor 100, um den die Prämie in der Betriebsschließungssparte durch Schäden überstiegen wird. Grund ist, dass die Betriebsschließungsversicherung offensichtlich nicht dafür kalkuliert war, auch Ausfälle durch Pandemien und Epidemien zu bezahlen, bei denen die versicherten Betriebe flächendeckend durch Allgemeinverfügungen rein prophylaktisch und ohne konkretes Infektionsgeschehen im Betrieb selbst geschlossen werden.
Für 90 Euro Schutz in allen Lebenslagen?
Das Oberlandesgericht Oldenburg schreibt in der Begründung eines Mitte Februar ergangenen Beschlusses: "Angesichts einer Versicherungsprämie von jeweils 90,00 Euro netto pro Jahr und einer vereinbarten Tagesentschädigung zur Höhe von 1.000,00 Euro (...) ist auch für einen verständigen, durchschnittlichen Versicherungsnehmer, der nicht über versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse verfügt, ohne weiteres erkennbar, dass bei Vertragsschluss noch unbekannte Krankheiten und Krankheitserreger, von denen man nicht wusste, welche Auswirkungen sie haben würden, in die Prämienkalkulation nicht mit eingestellt worden sind."
Es erstaunt, dass Wirtschaftsredaktionen nicht auf die Idee kommen die naheliegende Frage zu stellen, wer diese 100-fache Entschädigungsleistung letztlich bezahlen soll. Die Antwort wäre, dass dies die übrigen Kunden tun müssen. Was wohl die übrigen Kunden dazu sagen würden, die sich das "leisten" sollen?
Eine weitere, naheliegende Frage ist, warum nicht der Staat die Verantwortung für die von ihm verursachten Betriebsschließungsschäden übernehmen soll. Immerhin wäre den Betroffenen dann einheitlich und gerecht geholfen, anstatt sie der Zufälligkeit einzelner Gerichtsentscheidungen zu überlassen.
Eigenverantwortung wird nicht belohnt
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn meinte im Frühjahr 2020: "Wir werden in ein paar Monaten einander wahrscheinlich viel verzeihen müssen." Offenbar wird die Bundesregierung auch viel erklären müssen, insbesondere wenn die befürchtete Insolvenzwelle anrollt.
Aber auch die Verbände - sowohl der betroffenen Branchen als auch der Versicherer - werden sich fragen lassen müssen, warum sie nicht frühzeitig einen Rettungsschirm mit den scheinbar so spendablen Ministern der Finanzen und der Wirtschaft vereinbaren konnten. Es wäre eine schöne Anerkennung des Prinzips Subsidiarität gewesen, vor allem denjenigen Betrieben zu helfen, die - vermeintlich - rechtzeitig privatwirtschaftliche Vorsorge getroffen und entsprechende Versicherungen abgeschlossen hatten.
Autor(en): Matthias Beenken