Zuverlässigkeit und geordnete Vermögensverhältnisse sind bekanntlich zwingende Voraussetzungen für eine Tätigkeit als Versicherungsvermittler. Diese liegen in der Regel bei einschlägigen Verurteilungen und Eintragungen ins Schuldnerverzeichnis nicht vor. Das berechtigt einen Versicherer allerdings nicht immer, den Ausgleichsanspruch vorzuenthalten.
Die mit Hinweisbeschluss vom 1. März 2021 vom Oberlandesgericht Köln (Az. 19 U 148/20, r+s 9/2021, 548, Volltext bei Openjur) zurückgewiesene Revision des Urteils des Landgerichts Köln vom 20. November 2020 (Az. 89 O 21/20, Volltext bei Openjur) führt dazu, dass ein Versicherungsunternehmen seinem Versicherungsvertreter einen Ausgleichsanspruch nach § 89b Handelsgesetzbuch (HGB) zahlen muss, wenn auch um ein Viertel gekürzt.
Nach knapp 14 Jahren fristlos gekündigt
Geklagt auf den Ausgleich hatte der Insolvenzverwalter des Vertreters, der vom 1. August 2003 bis zu seiner fristlosen Kündigung am 27. März 2017 knapp 14 Jahre für einen Versicherer tätig war. Auch wenn es nicht im Urteilstext ausgeführt wird, so ist doch aus der Fallschilderung zu schließen, dass es sich um einen erlaubnisfreien, vom Versicherer ins Vermittlerregister eingetragenen Ausschließlichkeitsvertreters gehandelt haben dürfte, denn von der Erlaubnisbehörde Industrie- und Handelskammer ist keine Rede.
Das ist insofern wichtig, als dass der Versicherer gegenüber einem erlaubnisfreien Vertreter die Aufgaben einer Erlaubnisbehörde wahrnehmen und sich dafür gegenüber der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) rechtfertigen muss. In dem Verfahren wurde diese Seite des Vertragsverhältnisses ausgeblendet.
Steuerhinterziehung sowie Pfändung durch das Finanzamt
Denn in diesem Fall war der Vertreter 2016 durch das Amtsgericht Bonn in neun Fällen wegen Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe von 160 Tagessätzen von jeweils 30 Euro oder gesamt 4.800 Euro verurteilt worden. Der Versicherer wurde darauf aufmerksam, als das zuständige Finanzamt am 23. September 2016 eine allerdings zunächst formell unwirksame Pfändungs- und Einziehungsverfügung vorlegte, eine wirksame Verfügung folgte mit Datum vom 24. Oktober 2016. Der Versicherer reagierte darauf zunächst wohl so, dass er eine Schufa-Auskunft verlangte, die aber keinen Hinweis auf ungeordnete Vermögensverhältnisse lieferte.
Am 1. Februar 2017 forderte der Versicherer seinen Vertreter auf, ein aktuelles Führungszeugnis vorzulegen. Am 7. März 2017 wurde er schriftlich daran erinnert. Diesmal kam der Vertreter der Aufforderung nach und legte am 27. März 2017 ein Führungszeugnis vor, aus dem die Verurteilung durch das Amtsgericht erkennbar wurde. Noch am selben Tag kündigte der Versicherer das Vertretervertragsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist.
Fristlose Kündigung zwar rechtens...
Der Insolvenzverwalter des Vertreters machte zwar seinerseits eine Unwirksamkeit dieser fristlosen Kündigung geltend und begegnete ihr mit einer eigenen fristlosen Kündigung und der Forderung nach Auszahlung des Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB in Höhe von insgesamt rund 156.673 Euro. Nach Meinung des Insolvenzverwalters war die fristlose Kündigung durch den Versicherer wegen der Verurteilung des Vertreters nichts rechtens.
Das Gericht unterstützte diese Sichtweise nicht vollständig und hielt die fristlose Kündigung des Vertreters zumindest im Ergebnis für angemessen. Das allerdings nicht wegen der Verurteilung wegen Steuerhinterziehung, sondern aus einer „gebotenen Zusammenschau mit den weiteren Umständen“. Der Insolvenzverwalter hatte nämlich selbst angegeben, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse dieses Vertreters schon lange ungeordnet waren und er jeden Überblick über seine finanzielle Situation verloren hatte.
So wird der Insolvenzverwalter wie folgt zur Situation des Vertreters zitiert: „Abgesehen davon, dass er seinen steuerlichen Erklärungspflichten bereits seit Jahren nicht mehr nachkam (...) ergab sich, dass der Schuldner bereits seit Jahren mit Gerichts-, Mahn-, Bußgeld- und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren überzogen wird und durchgängig Vollstreckungsmaßnahmen ausgesetzt ist, die jedoch regelmäßig fruchtlos verlaufen.“
...allerdings nicht die Verweigerung des Ausgleichs
Allerdings gab das Gericht dem Insolvenzverwalter überwiegend Recht, was den Ausgleichsanspruch angeht. Dazu wird ausgeführt, dass der Versicherer zum Zeitpunkt der fristlosen Kündigung lediglich die im Führungszeugnis eingetragene Verurteilung kannte und nicht die sonstigen Umstände der ungeordneten Vermögensverhältnisse, die aber nicht als Argument für eine fristlose Kündigung unter Verlust des Ausgleichsanspruchs nachgeschoben werden durften. Die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung allein sei nicht ausreichend, zumal der Versicherer selbst dabei nicht geschädigt worden sei.
Auch sei die Steuerhinterziehung nicht „in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Ausübung der Versicherungsvertretertätigkeit“ entstanden. Diese Ansicht erstaunt, denn Ausschließlichkeitsvertreter sind meist als Einzelkaufleute tätig, bei denen die private und die berufliche Sphäre bei der Besteuerung kaum voneinander zu trennen sind. So wird der Gewinn aus Gewerbebetrieb der „privaten“ Einkommensteuer unterworfen und die Gewerbesteuer hierauf in Teilen angerechnet. Zusätzlich wird ausgeführt, die Steuerstraftaten seien zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens schon etwas länger her gewesen, nämlich vom 31. Oktober 2014.
Billigkeitsabzug, dafür aber hohe Verzinsung
Das Landgericht hat im Ergebnis dem Insolvenzverwalter den Ausgleichsanspruch zugesprochen, allerdings um einen „Billigkeitsabzug“ von einem Viertel gekürzt. Damit soll berücksichtigt werden, dass zwar einerseits die fristlose Kündigung im Nachhinein gesehen gerechtfertigt erschien, wenn auch nicht die vollständige Verweigerung des Ausgleichsanspruchs. Der Insolvenzverwalter darf außerdem eine üppige Verzinsung von neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 3. November 2017 verlangen, was die Kürzung des Ausgleichs mildern dürfte.
Das OLG Köln teilt in seinem Hinweisbeschluss mit, dass es beabsichtigt, die Berufung zurückzuweisen. In der Begründung wird ausführlich dargestellt, dass das Landgericht den Fall richtig behandelt und eine gut begründete Entscheidung herbeigeführt habe.
Spannungsverhältnis zum Verbraucherschutz
Im Ergebnis wird ein Versicherer noch eingehender prüfen müssen, wann ausreichende Belege für Unzuverlässigkeit und ungeordnete Vermögensverhältnisse vorliegen oder sogar, ob es auch zu beweisbaren Schäden gegenüber dem Versicherer selbst gekommen ist, bevor er zur fristlosen Kündigung greift. Ein zügiges Handeln im Interesse des Schutzes von Kunden vor einem ungeeigneten Vermittler wird das nicht eben fördern. Dies, zumal ein derart seit Jahren überschuldeter Vertreter sich schwertun dürfte, ausschließlich im bestmöglichen Kundeninteresse zu handeln.
Ob die so zustande gekommenen Bestände, für die hier ein Ausgleich gezahlt werden musste, nachhaltig und zum Vorteil aller Beteiligten waren, dürfte sich erst später gezeigt haben. Beispielsweise wird im Urteil angegeben, dass der Vertreter Anspruch allein auf 11.500 Euro Ausgleich für dynamische Lebensversicherungen hatte. Bei üblichen Provisionssätzen und unter Anwendung der „Grundsätze“ für die Ausgleichsberechnung deutet das auf einen beachtlichen Bestand von zwischen vier und fünf Millionen Euro Versicherungssumme an dynamisierten Einzelversicherungen hin, Gruppenverträge werden von den „Grundsätzen“ nicht erfasst.
Es zeigt sich einmal mehr, dass der von der Richtlinie IDD gewollte Verbraucherschutz ins Leere laufen kann. Das betrifft auch Vermittler mit Gewerbeerlaubnis, die von der Erlaubnisbehörde IHK selbst nach einer Insolvenzanmeldung nicht zurückgezogen werden darf, um eine Rettung des Vermittlerunternehmens zu ermöglichen – siehe § 12 Gewerbeordnung (GewO). Kein Insolvenzverwalter dürfte sich aber die Mühe machen, die Kundengespräche des insolventen Vermittlers zu überwachen, ob sie in jeder Hinsicht im bestmöglichen Kunden- statt im Interesse nach Steigerung der Insolvenzmasse erfolgen.
Autor(en): Matthias Beenken