In der Berufsunfähigkeits-Versicherung müssten die Prämien 2022 steigen. Nun senkt ein Anbieter die Prämien. Wie ist das möglich, wenn alle Lebensversicherer doch mit einem niedrigeren Höchstrechnungszins (HRZ) kalkulieren müssen? Das Versicherungsmagazin hat nachgefragt.
Die Zurich Gruppe Deutschland hat zum Jahresbeginn die Prämien in der Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) um bis zu zwölf Prozent gesenkt. Gleichzeitig will die Assekuranz die sogenannten Nettobeiträge bis 2025 nicht erhöhen. Auch den Kundenservice beim Antrag hat die in Köln ansässige Assekuranz verbessert. So wurden die Online-Gesundheitsabfrage über Vermittler beim Abschluss von Neuverträgen von 21 auf 12 Fragen reduziert. Das macht das Aufnahmeverfahren laut Zurich deutlich einfacher. Zudem gebe es im Rahmen des webbasierten automatisierten Underwritings eine unmittelbare Auskunft über die Risikoentscheidung.
Rechnungszins beeinflusst BU-Prämie maßgeblich
„Entgegen dem Inflations- und Markttrend, die Prämien in der Berufsunfähigkeitsversicherung zu erhöhen, haben wir die Tarife noch attraktiver machen können. Die Reduzierung der Beiträge in der Arbeitskraftabsicherung konnten wir aufgrund unserer langjährigen Erfahrungswerte und dem großen Datenpool in unserem BU-Bestand reduzieren und darüber hinaus langfristig stabile Beiträge sichern“, lässt sich Björn Bohnhoff, Vorstand Leben der Zurich Gruppe Deutschland in einer Pressemitteilung zitieren. Tatsächlich beeinflusst die Absenkung des HRZ alle Risikoprodukte in der Lebensversicherung entscheidend. Grund: Mit ihm werden die Rückstellungen verzinst. Bei Arbeitskraftschutzversicherungen oder der Risikolebensversicherung gibt es eine jahrelang stabile Prämie, weil die Kunden anfänglich etwas mehr Beitrag zahlen, als ihrem Risiko entspricht. Damit werden Rückstellungen aufgebaut, um meist in höherem Alter bei Arbeits- und Berufsunfähigkeit oder Tod Leistungen auszahlen zu können. Sinkt der kalkulatorische Zins für die Rückstellungen, muss mehr angespart werden, die Prämien fallen dann höher aus.
Zurich har Rechnungszins schon 2021 berücksichtigt
Davon ist aber die Zurich in 2022 gar nicht betroffen. Wie eine Unternehmenssprecherin bestätigte, hat der Versicherer bereits 2021 mit dem mutmaßlich tieferen Zins kalkuliert. Ob dadurch im vorigen Jahr das Prämienniveau anstieg, teilte die Sprecherin nicht mit. Die Assekuranz betont aber, dass neben dem Rechnungszins weitere Parameter für die Kalkulation wichtig sind. Das wären beispielsweise Kosten, umfang der Invalidisierung und Zahl der Reaktivierungen. Mit anderen Worten: Der Bestand des jeweiligen Versicherers bestimmt ebenfalls deutlich die Prämienhöhe. Trotzdem müssen Vermittler nun akribisch Prämien vergleichen. Denn es kommt nicht auf die Höhe einer Absenkung an, sondern welches Niveau der Tarif bei gleicher Leistung zu den Angeboten der Konkurrenz hat.
Entscheidend ist das absolute Prämienniveau
So hatte die Canada Life schon im vorigen Jahr mitgeteilt, dass sie als irischer Lebensversicherer nicht dem deutschen Höchstrechnungszins unterliegt. „Neue Kunden brauchen daher 2022 keinen Preisanstieg zu befürchten. Die Preisstabilität unserer BU liegt an ihrer ausgewogenen Kalkulation und der modernen und professionellen Kapitalanlage dahinter. Über unsere Mutter in Kanada verfügen wir über jahrzehntelange Erfahrung, die Gruppe ist dort Marktführer bei der Absicherung der Arbeitskraft“, erläutert Igor Radović, Direktor Produkt- und Vertriebsmanagement bei Canada Life Deutschland. Unklar ist zudem, wie sich die Absenkung der BU-Prämien bei der Zurich genau auf riskante und weniger riskante Berufe verteilt. Zwar betonte die Sprecherin nochmals, dass „die Prämienreduzierung für alle Berufe gilt, der Umfang ist aber wohl dennoch unterschiedlich. So sollen vor allem Studierende und die „Kernzielgruppe“ der Zurich, kaufmännische Berufe, profitieren.
Sehr einschränkend formuliert der Versicherer für Risikoberufe: „Je nach Ausprägung der Tätigkeit wird die Absicherung gegen Berufsunfähigkeit auch in handwerklichen Berufen wie dem Berufsbild des Elektronikers um bis zu zwölf Prozent günstiger.“ Auch hier sollten Vermittler nun prüfen, wie die Prämien sich für besonders belastende Berufe, wie Dachdecker oder Fliesenleger darstellen. Gleichzeitig betont die Sprecherin, dass die Nettogarantie bis 2024 nicht bedeuten würde, dass 2025 die Nettobeiträge angehoben werden. Bisher sei dies im Zurich BU-Bestand noch nie notwendig gewesen. Angesichts solcher Aussagen, entpuppt sich die Nettogarantie eher als Werbung.
BU-Prämie wird zudem durch DAV-Empfehlung belastet
Lebensversicherer, die den HRZ erst 2022 in ihrer Kalkulation berücksichtigen, müssten wohl ihre Prämien anheben. Nach einer Schätzung der Stuttgarter Lebensversicherung könnte das für junge Menschen in Risikoberufen eine Steigerung von über zehn Prozent bedeuten. Zudem: Neben der Senkung des HRZ gibt es eine unverbindliche Empfehlung der Deutschen Aktuar Vereinigung, die die BU-Versicherung belastet. In einer aufwendigen Datenanalyse hat die DAV festgestellt, dass sich die Eintrittswahrscheinlichkeiten für Frauen und Männer seit 1997 – der letzten Empfehlung – deutlich verändert haben. So haben Frauen bis zu ihrem 40. Geburtstag im Vergleich zur früheren DAV-Untersuchung ein um über 30 Prozent erhöhtes BU-Risiko. „Denn in dieser Versichertengruppe sind laut Daten der Rentenversicherung erheblich mehr Schadenfälle aufgrund psychischer Erkrankungen festzustellen“, erläutert der DAV-Vorsitzende Herbert Schneidemann, der hauptberuflich Vorstandsvorsitzender der Bayerischen ist.
Bei Männern gibt es hingegen in dieser Altersgruppe keine signifikanten Veränderungen. Frauen und Männer sind sogar ab Alter 40 weniger gefährdet, berufsunfähig zu werden. So kämen Berufsunfähige beispielsweise durch bessere Eingliederungshilfe schneller in den Beruf zurück. Unter dem Strich sei die BU-Eintrittswahrscheinlichkeit für Frauen über 40 Jahren um rund 36 Prozent und die der Männer sogar um 45 Prozent gesunken. Tendenziell werden somit BU-Policen generell für jüngere Menschen teurer und für ältere günstiger. Denn die Lebensversicherung dürfen ihre Prämien schon seit langen nicht mehr nach Geschlechtern differenzieren. Der Markt der Arbeitskraftversicherung wird daher 2022 ein schwieriges Terrain.
Autor(en): Uwe Schmidt-Kasparek