Beim Payment-Dienstleister Wirecard wird es nun ganz eng: "Der Vorstand der Wirecard AG hat heute entschieden, für die Wirecard AG beim zuständigen Amtsgericht München einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wegen drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung zu stellen", teilte das Unternehmen am Donnerstag mit. Es werde zudem geprüft, ob auch Insolvenzanträge für Tochtergesellschaften der Wirecard-Gruppe gestellt werden müssen, hieß es weiter. Zuvor war der Aktienkurs nach Berichten über eine fehlerhafte Bilanz und Aktienverkäufe des Wirecard-Gründers Markus Braun regelrecht abgestürzt.
Am Donnerstagmorgen hatten Medien berichtet, dass der frühere Wirecard-Chef während der Wirren um die Bilanz des Unternehmens in der vergangenen Woche seine Beteiligung an dem Zahlungsdienstleister deutlich zurückgefahren hat. Laut einer veröffentlichten Stimmrechtsmitteilung habe er zum vergangenen Freitag seinen Anteil von 8,04 auf 2,62 Prozent reduziert, berichtet unter anderem die "Frankfurter Allgemeine Zeitung".
Aktienverkauf aufgrund von Margin Calls
Firmengründer Braun hat mit diesem Schritt mitten im Bilanzchaos Papiere im Wert von rund 155 Millionen Euro abgestoßen. Bis dato sei er laut dem Nachrichtensender "n.tv" größter Einzelaktionär des Zahlungsdienstleisters gewesen. Wie es weiter heißt, erfolgten die Transaktionen laut Wirecard "aufgrund von Margin Calls". Hierbei werden in der Regel Kapitalmarktgeschäfte mit Bankkrediten finanziert, für die der Investor eine Sicherheit in Form einer Eigenleistung hinterlegt, die im Verlustfall das Risiko für die Bank minimiert. Üblicherweise werden in den Kreditbedingungen Nachschusspflichten vereinbart, wenn der Aktienkurs deutlich nachgibt. Die Fristen, in denen der Anleger dann leisten muss, sind meist sehr kurz.
"Im Fall von Braun könnte es sein, dass der Gegenwert von Sicherheiten für einen persönlichen Kredit durch den Kursabsturz der Wirecard-Aktie so stark gefallen ist, dass er oder die Bank offenbar verkaufen musste", sagte NordLB-Analyst Wolfgang Donie gegenüber dem Sender. Ob diese Transaktionen gesetzeskonform seien, müsse geprüft werden. Die Aktienverkäufe stehen laut einer Behördensprecherin daher bereits im Fokus der Finanzaufsicht BaFin.
Treuhandkonten gibt es wohl nicht
Ausgangspunkt des Aktiensturzes waren Ungereimtheiten im Jahresbericht für das Geschäftsjahr 2019, die vergangene Woche bekannt geworden waren. Laut den Wirtschaftsprüfern von Ernst & Young fehlten ausreichende Prüfungsnachweise für rund ein Viertel der Konzernbilanzsumme, die sich auf knapp zwei Milliarden Euro belaufen. Im Raum steht nun der Vorwurf der Bilanzfälschung.
Laut einer Mitteilung des Bezahldienstleisters hatte der Vorstand von Wirecard eingestanden, dass die Bankguthaben auf Treuhandkonten bei zwei Banken auf den Philippinen in Höhe von insgesamt mehr als 1,9 Milliarden Euro mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gar nicht bestünden. Diese hatte Wirecard im Jahresbericht jedoch als Aktivposten ausgewiesen. Mögliche Auswirkungen dieser Ungereimtheiten auf die Jahresabschlüsse früherer Jahre seien nicht ausgeschlossen, lautet es aus dem Vorstand. Als Folge der neuesten Entwicklung stürzte die Aktie ab.
Vertrauen ist angeschlagen
Damit gerieten auch die Kreditlinien sowie die Geschäftsbeziehungen von Wirecard gehörig unter Druck. Zusammen mit der Investmentbank Houlihan Lokey wollte Wirecard nach eigenem Bekunden Möglichkeiten einer nachhaltig aufgestellten Finanzierungsstrategie ausloten und Maßnahmen prüfen, um den Geschäftsbetrieb fortzuführen. Von nicht näher definierten Kosteneinsparungen, Umstrukturierungen und Stilllegung einzelner Geschäftsbereiche war die Rede.
Mit der Insolvenz dürfte das Vertrauen der Nutzer, Geschäftspartner und Anleger aber nun nachhaltig angeschlagen sein und sich der Fall zu einem der größten Wirtschaftsskandale in Deutschland entwickeln. Beim Anlegerschutzverband DSW wird derzeit offenbar sogar die Einreichung einer Musterklage wegen Betrugs geprüft.
Hoffnung keimt auf
Die Turbulenzen um das ehemalige Vorzeige-Start-up Wirecard nährt bei den Branchenverbänden der freien Finanzanlagenvermittler unterdessen die Hoffnung, dass die geplante Übertragung der Aufsicht über rund 38.000 Vermittler nach § 34 f GewO auf die BaFin noch gestoppt werden kann. "Gesetzgebungsverfahren zum Finanzanlagenvermittler-Aufsichtsübertragungsgesetz unverzüglich einstellen", fordert etwa der Verband Unabhängiger Finanzdienstleistungs-Unternehmen in Europa e. V. Votum.
Auch der Bundesverband Finanzdienstleistung AfW stößt in das gleiche Horn. Norman Wirth, Geschäftsführender Vorstand des AfW mahnt: "In Anbetracht des Wirecard-Skandals und der damit mehr und mehr öffentlich werdenden Versäumnisse auch der BaFin, ein Supergau, erscheint es unmöglich, der BaFin zusätzliche Aufgaben zu übertragen."
Gesetz ist wertlos!
Die Bundesregierung hatte am 11. März 2020 den Gesetzentwurf zur Übertragung der Aufsicht über Finanzanlagenvermittler auf die Bundesanstalt beschlossen. Mit diesem Gesetz will das Bundesfinanzministerium die den Gewerbeämtern und IHKn obliegende Aufsicht entziehen und bei der Bundesbehörde ansiedeln. Das Gesetz liegt derzeit im Bundestag. Die zweite und dritte Lesung sollte kürzlich stattfinden, wurde aber verschoben, da sich die Koalitionspartner nicht über wesentliche Punkte einigen konnten.
Mittlerweile wollte die CDU/CSU-Fraktion dem Gesetz in der vorliegenden Form nicht zustimmen, da keine qualitative Verbesserung der Aufsicht zu erwarten sei, es eine Verschlechterung des Verbraucherschutzes gebe, keine nachvollziehbare Kostenplanung vorliege und es zu einer nicht gewollten Marktbereinigung käme.
SPD-Finanzminister Olaf Scholz, das Finanzministerium sowie die BaFin sollten bereits bestehende Strukturen und Arbeitsweisen der BaFin hinterfragen und aufarbeiten, anstatt für viele Millionen Euro und mit viel Personal, völlig unnötige Strukturen für die 34f-Vermittler zu schaffen. "Das geplante Gesetz ist so wertlos wie aktuell die Wirecard-Aktie!", so Wirths Fazit.
Autor(en): Swantje Francke, Angelika Breinich-Schilly, Alexa Michopoulos