Der Fall Wirecard hat die deutsche Aufsicht und die Gilde der Wirtschaftsprüfer in ein schlechtes Licht gerückt. Doch wie lassen sich Skandale wie dieser wirkungsvoll verhindern? Verschiedene Strategien versprechen Abhilfe - auch die Zusammenarbeit mit so genannten Whistleblowern.
"Noch nie ging ein Unternehmen bankrott, noch während es dem Dax angehörte. Dementsprechend groß ist das Unverständnis darüber, wie die aufgeblähte Bilanz solange unentdeckt bleiben konnte", schreibt Dorothea Schäfer, Forschungsdirektorin Finanzmärkte am DIW Berlin und außerordentliche Professorin an der Jönköping University. In ihrem Leitartikel der Zeitschrift "Wirtschaftsdienst" (Ausgabe 8 | 2020) führt sie aus: "Das Prüfmandat von Wirecard liegt seit vielen Jahren bei Ernst & Young (EY). Jahr für Jahr hat EY die Wirecard-Bilanz als korrekt testiert. Erst im Juni 2020, nach einem für Wirecard negativ ausgefallenen Sonderprüfbericht des Konkurrenten KPMG, hat EY erstmals das Testat verweigert."
Betroffene Institute prüfen Klagen
Für die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY hat der mit den frisierten Bilanzen des einstigen Dax-Stars losgetretene Finanzskandal schwerwiegende Folgen. Das Unternehmen hatte noch im Frühjahr 2019 Testate für Wirecard erstellt, als aus den Reihen der "Financial Times" bereits schwere Vorwürfe erhoben worden waren. Nun wenden sich immer mehr Banken und Kunden von EY ab.
Nach der Deutsche-Bank-Tochter DWS hat ihr mittlerweile auch die Commerzbank das Vertrauen entzogen. Einen entsprechenden Beschluss des Aufsichtsrats, der Hauptversammlung 2021 einen Wechsel des Abschlussprüfers für das Geschäftsjahr 2022 vorzuschlagen, hat das Geldhaus bestätigt. Damit sollen "mögliche Interessenkonflikte" vermieden werden, so die Frankfurter Bank.
Diese hatte selbst finanzielle Verluste durch den Skandal um Wirecard erlitten. Das Institut musste laut Medienberichten infolge der Wirecard-Pleite 175 Millionen Euro auf einen Kredit an den Zahlungsdienstleister abschreiben. Auch der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) bescherte ein Wirecard-Kredit einen Verlust von rund 160 Millionen Euro. Die niederländische ING schrieb rund 200 Millionen ab.
Testat ist Fundament für eine Vielzahl von Entscheidungen
"Testierte Bilanzen sind ein Gütesiegel. Darauf verlassen sich Banken, Aktionäre und auch die Aufsicht. Dementsprechend fürstlich werden die Prüfmandate vergütet", betont Finanzmarktexpertin Schäfer. Ihr Testat sei Fundament für eine Vielzahl von Entscheidungen im Unternehmens- und Finanzsektor.
Deshalb überdenken die Institute und Fondsgesellschaften, die zu den Gläubigern und Investoren des einstigen Vorzeige-Fintechs gehören, nicht nur die Zusammenarbeit mit EY, sondern auch eine Klage gegen die Wirtschaftsprüfer. Hinzu kommen noch mögliche Sammelklagen von Anlegern, auf die sich verschiedene Kanzleien zurzeit vorbereiten.
Ableger dienten zur Verschleierung der Zahlungsflüsse
"Bilanzfälschung ist in Deutschland sicherlich nicht einfach. Das zeigt allein schon die überwältigend große Zahl der solide geführten und korrekt testierten Unternehmen. Aber die Täuschung gelingt immer wieder, dann nämlich, wenn trickreiche Vorstände mit krimineller Energie auf nachlässige und selbstgewisse Wirtschaftsprüfer treffen", erläutert die Wirtschaftswissenschaftlerin.
Ein ähnliches Beispiel sei der Skandal um das US-Unternehmen Enron Anfang der 2000er Jahre, das über "ein verschachteltes Geflecht aus außerbilanziellen Zweckgesellschaften" verfügte. "Ähnlich wie bei Wirecard dienten die vielen Ableger vor allem dem einen Zweck, die wahren Zahlungsflüsse zu verschleiern", so Schäfer.
Politik will schnelleren Zyklus bei den Prüferwechseln
Doch wie lassen sich solche Konstellationen, bei denen Wirtschaftsprüfer eine so gewichtige Rolle spielen, künftig verhindern? Eine mögliche Konsequenz aus dem Wirecard-Skandal könnte eine häufigere Rotation der Prüfer sein. Bislang schlossen sich an einen Prüferwechsel in der Regel eine bis zu 20 Jahre andauernde Betreuungsphase an. Diese Praxis hat über Jahre dazu geführt, dass sich aktuell nur noch wenige Gesellschaften die lukrativen Großmandate untereinander aufteilten.
Die so genannten Big Four bestehen aus den Unternehmen Deloitte, EY, KPMG und PwC. In einer ersten Reaktion auf den Finanzskandal hatte Olaf Scholz (SPD) deshalb Ende Juli vorgeschlagen, dass der Wechsel der Abschlussprüfer spätestens nach zehn Jahren verpflichtend sein soll. Kritiker fordern sogar noch kürzere Zeiten.
In den USA hat der Fall Enron dazu geführt, dass die Regelungen zur Rechnungslegung und zum Anlegerschutz deutlich verschärft wurden, erläutert Schäfer. "Wirtschaftsprüfungsgesellschaften ist es seitdem beispielsweise verboten, für Unternehmen, die sie prüfen, andere, nicht prüfungsbezogene Dienstleistungen zu erbringen", so die Expertin. Allerdings sei die Rechtslage nicht mit der hiesigen vergleichbar. Zudem habe auch dies die Millionen-Betrügereien durch die Vermögensverwaltung von Berni Madoff nicht verhindern können.
Whistleblowern mehr Aufmerksamkeit schenken
"Es wäre viel gewonnen, wenn Prüfgesellschaften, deren Kontrollorgane, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Deutsche Bundesbank, kreditgebende Banken und Börsen sowie Anleger so genannten Whistleblowern mehr Aufmerksamkeit schenken würden", meint Schäfer. Diese Personen tragen ein hohes Risiko und verdienen schon allein deswegen ernst genommen zu werden."
Alle, auch Medien und Politik, sollten jungen Fintechs mit gesundem Misstrauen begegnen, anstatt "reflexartig, und mit einigem Aufwand, nach entlastenden Erklärungen für die eigenen Irritationen zu suchen", glaubt die Finanzmarktexpertin. "Wachstumsstories, die fast zu schön sind, um wahr zu sein, sind meist auch nicht wahr", lautet ihr Rat.
Schärfere Haftungsbestimmungen nicht immer Mittel der Wahl
Kritisch betrachtet sie eine Haftungsverschärfung für die Prüfer. Dies würde deren Wachsamkeit zwar schärfen, aber auch die ohnehin schon extreme Konzentration weiter erhöhen. Dessen müsse sich der Gesetzgeber bewusst sein. Auch eine "durchgriffsstarke, gemeinsame Börsenaufsicht für den Euroraum" hätte Schäfer zufolge den Wirecard-Betrug wohl nicht verhindern können, da sich die Unregelmäßigkeiten vor allem in den asiatischen Ländern zugetragen hatten. "Dennoch ist eine gemeinsame Börsenaufsicht für den Euroraum ein Schritt in die richtige Richtung", so die Wirtschaftswissenschaftlerin.
Autor(en): Angelika Breinich-Schilly