Für ihre Arbeit benötigen Unternehmen und ihre Mitarbeiter nicht nur Wissen und Know-how, sie sammeln hierbei auch Wissen und Know-how - etwa darüber wie bestimmte Kunden und Märkte ticken, wie man gewisse Aufgaben und Probleme am besten löst oder worauf man beim Managen von Projekten oder Führen von Mitarbeitern achten sollte.
Die Summe dieses Know-hows entscheidet weitgehend darüber, wie leistungsfähig und erfolgreich ein Unternehmen ist. Es entscheidet auch darüber, wie schnell und effektiv es auf neue Herausforderungen reagieren kann, weil es aus den Erfahrungen der Vergangenheit gelernt hat und hieraus die nötigen Schlüsse zog.
Wissen bewahren und weiter entwickeln
Deshalb spielt das Thema Wissensmanagement – also die Frage, wie eine Organisation dafür sorgt, dass
- Wissen nicht verloren geht und
- dieses so gespeichert und dokumentiert wird, dass es allen Mitarbeitern, die es für ihre (künftige) Arbeit brauchen, weitergegeben werden kann
auch schon zu Zeiten eine wichtige Rolle, als der Begriff Wissensmanagement noch nicht existierte.
Diese Weitergabe von Wissen erfolgte zwar auch damals schon in mehr oder minder strukturierter Form, doch die Wissensvermittlung wurde noch nicht als ein Managementprozess verstanden, der systematisch und zielorientiert gestaltet werden sollte. Dieses Bewusstsein entwickelte sich erst im Laufe der Industrialisierung allmählich. In diesem Kontext gewann auch die Frage an Relevanz: Wie sorgen wir dafür, dass die Wissensbasis unserer Organisation nicht nur gewahrt bleibt, sondern sich auch so erneuert, dass das Unternehmen auch mittel- und langfristig erfolgreich ist?
Herausforderung: Vermittlung von Erfahrungswissen
Dabei wurde zunehmend zwischen dem so genannten expliziten und dem impliziten Wissen unterschieden. Unter dem Begriff explizites Wissen wird in der Regel das Wissen subsummiert, das unter anderem mittels Sprache, Schrift, Zeichnungen und Bildern eindeutig kodifiziert und dokumentiert an anderen Personen weitergegeben werden kann. Hierbei handelt es sich weitgehend um das Regel- und Faktenwissen.
Der Begriff implizites Wissen hingegen bezieht sich auf das Wissen, das oft als Erfahrungswissen bezeichnet wird. Dieses Wissen, das sich aus Erfahrungen, Erinnerungen und Überzeugungen speist, bezieht sich auf das Können einer Person oder Organisation. Es kann seinem Träger bewusst sein, muss es aber nicht. Auf alle Fälle lässt es sich aber nicht oder nur schwer kodifizieren und dokumentieren und somit auch an andere Personen und Organisationen weitergeben. Typisches Beispiel für ein implizites Wissen im betrieblichen Kontext ist, wenn ein erfahrener Verkäufer intuitiv spürt, wie er sich bei gewissen Kunden taktisch und strategisch verhalten muss, damit er einen Auftrag erhält.
Implizites Wissen ist mit Einstellungen verknüpft
Beide Formen des Wissens sind für den Erfolg eines Unternehmens wichtig, wobei in der Regel gilt: Das Vermitteln des expliziten Wissens fällt ihnen leichter - nicht nur, weil es sich dokumentieren lässt, sondern auch weil die Unternehmen hiermit in ihren Bereichen Aus- und Weiterbildung bereits viel Erfahrung gesammelt haben.
Anders sieht es beim impliziten Wissen aus. Seine Vermittlung setzt oft voraus, dass es in einem gezielten Prozess der Externalisierung -beispielsweise durch eine systematische Befragung der Wissensträger oder eine systematische Analyse ihres Tuns – zunächst in ein explizites Wissen umgewandelt wird, so dass es dokumentiert werden kann.
Hinzu kommt beim impliziten Wissen: Es ist oft außer mit konkreten Erfahrungen auch mit teils durch sie bewirkten Einstellungen, Überzeugungen und Haltungen verknüpft. Deshalb ist bei den Personen, die sich dieses Wissen aneignen möchten, dass es ein integraler Bestandteil ihres Könnens wird – nicht selten auch eine Einstellungs- und Verhaltensänderung nötig. Sonst entfaltet es keine Wirkung.
Komplexität erfordert anderes Wissensmanagement
Dabei kann als Faustregel gelten: Je komplexer eine Aufgabe ist, umso mehr implizites Wissen, muss zu ihrer Lösung übertragen werden. Die Unternehmen müssen der Vermittlung des impliziten Wissens eine größere Bedeutung und damit auch Zeit und Ressourcen beimessen, wenn sie vermeiden möchten, dass in ihrer Organisation immer mehr Wissensinseln entstehen, die letztlich
- die oft angestrebte hierarchie- und bereichsübergreifende, nicht selten sogar unternehmensübergreifende Team- und Projektarbeit erschweren,
- dem Schaffen der erforderlichen Strukturen, um schnell und flexibel auf neue Herausforderungen zu reagieren, im Wege stehen und
- ein Steigern der Innovationskraft und -geschwindigkeit der Organisation verhindern.
Neben dieser Herausforderung sehen sich die Unternehmen im Bereich Wissensmanagement mit einer weiteren konfrontiert: Auch das explizite Wissen, das in der Vergangenheit oft von Generation zu Generation weitergegeben wurde, veraltet in der von rascher Veränderung und sinkender Planbarkeit geprägten Welt sowie im Zeitalter der digitalen Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft rasch. Entsprechendes gilt für das externalisierte implizite Wissen: Alte Erfolgsrezepte taugen oft nicht mehr. Deshalb gilt die alte Parole heute mehr denn je: Wissensmanagement ist ein fortlaufendes Projekt. Es hat zwar einen Anfang jedoch kein Ende.
Wissensmanagement wird zum fortlaufenden Projekt
Dies haben in den vergangenen Jahren viele Unternehmen erkannt. Deshalb überdenken sie ihr tradiertes Wissensmanagement und versuchen dieses zunehmend den Anforderungen im digitalen Zeitalter anzupassen. Dieser Prozess verläuft in der Regel wie folgt: In einem ersten Schritt wird zunächst die Ausgangssituation analysiert. Fragen werden gestellt wie:
- Wie erfolgt unser Wissensmanagement heute?
- Entspricht dies noch den Erfordernissen im digitalen Zeitalter?
- Lassen sich unsere Unternehmensziele so noch erreichen?
- Wo besteht ein Änderungsbedarf?
Hierauf aufbauend stellen sich dann Fragen, die mit der Auftragsklärung zusammenhängen, wie:
- Welches Wissen brauchen wir künftig aufgrund seiner Erfolgsrelevanz und sollte deshalb kontinuierlich ausgebaut werden?
- Handelt es sich hierbei um explizites und/oder implizites Wissen?
- Wer sind die relevanten Wissensträger?
Sind diese Fragen vorläufig geklärt, stellen sich Fragen wie:
- Welche Ressourcen (unter anderem Zeit, Geld, Technologien, Verfahren) stehen uns zur Wissensidentifikation, Wissensdokumentation und -verteilung sowie Wissensweiterentwicklung zur Verfügung beziehungsweise was brauchen wir? Welche Rahmenbedingungen brauchen wir, damit in unserer Organisation keine bürokratische Wissensverwaltung, sondern ein zielorientierter sowie hierarchie-, bereichsübergreifender und funktionsübergreifender Wissensmarkt entsteht?
Auch beim Wissensmanagement Agilität bewahren
Sind diese Fragen wiederum vorläufig geklärt, können erste Versuchsballons gestartet werden, um das Wissensmanagement allmählich den Erfordernissen im digitalen Zeitalter anzupassen. Wichtig ist, dass dies in einem iterativen Prozess geschieht, in den immer wieder Reflexionsschleifen eingebaut sind "Befinden wir uns noch auf dem richtigen Weg?", da die Unternehmen hierbei Neuland betreten.
Mindestens ebenso relevant ist es im Projektverlauf regelmäßig zu überprüfen:
- Erheben wir bei dem von uns eingeschlagenen Weg überhaupt das erfolgsrelevante Wissen, das unsere Organisation künftig braucht?
- Haben wir die relevanten Wissensträger als Mitstreiter beim Versuch, einen fluiden Wissensmarkt in der Organisation zu schaffen, gewonnen?
- Gelangt das erhobene Wissen auch zu den Mitarbeitern, die es für ihre Arbeit brauchen, und wird es von ihnen effektiv genutzt?
Diese Fragen gilt es sich im Projektverlauf immer wieder zu stellen, damit das übergeordnete Ziel erreicht wird. Dieses lautet: das Unternehmen fit für die Zukunft machen.
Fluider Wissensmarkt braucht starke Promotoren
Erschwert wird dies aktuell oft dadurch, dass ein damit verbundenes Ziel oft lautet: Das Unternehmen soll schneller und agiler auf neue Herausforderungen reagieren können. Deshalb schaffen viele Unternehmen zurzeit gerade Strukturen, die den einzelnen Arbeitsteams ein autonomeres und selbstbestimmteres Arbeiten ermöglichen sollen. Dies birgt jedoch stets die Gefahr, dass in der Organisation erneut Wissensinseln entstehen.
Deshalb stehen die Wissensmanager bei ihrer praktischen Arbeit eigentlich stets vor derer Herausforderung,
- einerseits die Strukturen und Rahmenbedingungen zu schaffen, die für ein modernes, zukunftsorientiertes Wissensmanagement nötig sind, was auch ein gewisses Alignment – also ein Sich-verständigen auf gemeinsame Ziele und ein verbindliches Vorgehen und Verhalten – erfordert, und
- andererseits keinen bürokratischen Moloch zu schaffen, der ein agiles Arbeiten gerade wiederum erschwert.
Hier die erforderliche Balance zu finden, ist nicht nur eine komplexe Management-, sondern auch Leadership-Aufgabe, denn dies setzt voraus, bei allen Beteiligten
- ein Bewusstsein zu schaffen, warum ein modernes, zukunftsorientiertes Wissensmanagement für den Erfolg des Unternehmens nötig ist, sowie
- den Mindset zu fördern, der erforderlich ist, damit ein fluider Wissensmarkt in der Organisation entsteht.
Ohne starke Promotoren auf allen Management- und Führungsebenen gelingt dies nicht.
Klaus Kissel ist einer der beiden Geschäftsführer des Trainings- und Beratungsunternehmens ifsm, Höhr-Grenzhausen bei Koblenz (www.ifsm-online.com). Der Systemische Coach sowie Personal- und Organisationsentwickler ist unter anderem Autor des Buchs "Prinzip der minimalen Führung".
Autor(en): Klaus Kissel