Wie der Brexit am Ende wirklich aussieht, ist heute noch nicht absehbar. Unternehmen und Finanzdienstleister bereiten sich jedoch längst darauf vor - mit unterschiedlichen rechtlichen Strategien. Ein Gastbeitrag von Rechtsanwalt Jochen Kindermann.
Mit der Mitteilung des Vereinigten Königreichs nach Art. 50 des Vertrags über die Europäische Union am 29. März 2017 begann der darin vorgegebene maximal zweijährige Verhandlungszeitraum für ein Austrittsabkommen. Nach aktuellem Verhandlungsstand wird der "worst case", also ein Verlassen der EU durch das Vereinigte Königreich am 29. März 2019, ohne Abschluss einer Vereinbarung, der so genannte Hard Brexit, immer wahrscheinlicher. Schon in den vergangenen Monaten seit Veröffentlichung des Entwurfes einer Übergangsvereinbarung am 19. März 2018, die noch eine nach "strittig", "unstrittig" und "noch zu klären" markierte Fassung enthielt, wurde deutlich, dass bei den entscheidenden Punkten noch keine Einigung bestand.
Im Lichte dieser Ungewissheit haben sich die Marktteilnehmer – die ohnehin schon mit der Planung des Brexit beschäftigt waren – entschieden, ihre Planung unabhängig von einem möglichen Verhandlungsergebnis fortzusetzen. Auch die englische Aufsichtsbehörde verlangte von den Marktteilnehmern immer wieder, unter Risikogesichtspunkten Vorsorge für den Austritt zu treffen.
Unternehmen haben unterschiedliche Brexit-Strategien
Bei der Implementierung der einzelnen Brexit-Strategien zeichnen sich erhebliche Unterschiede ab. Klar ist zumindest, dass nach derzeitigem Stand das Passporting, also der erleichterte Zugang zum Markt eines anderen EU-Landes, nicht mehr für Marktteilnehmer mit Sitz im Vereinigten Königreich zur Verfügung steht. Nachdem diese zum Beispiel über Ausnahmeregelungen (§ 2 Abs. 5 KWG) zum Zug kommen wollten, wurde deutlich, dass politisch ein cherry picking mit dem Ziel, möglichst einfach den Status Quo zu erhalten, nicht gewollt ist. Umgekehrt trifft dies auch kontinentaleuropäische Marktteilnehmer, die dann nicht mehr von dem vereinfachten Marktzugang in Großbritannien profitieren. Aktuell scheint die Diskussion so schwierig zu sein, dass die britische Seite schon mit Einschränkungen des Vertriebs von Investmentfonds im Vereinigten Königreich gedroht hat.
Weiter zeigt sich, dass insbesondere die EU-Aufsichtsbehörden EBA, ESMA, EIOPA eine einheitliche Vorgehensweise bei der Erlaubniserteilung neuer Institute sicherstellen wollen. Erlaubnisanträge werden folglich auf EU-Ebene diskutiert und zwischen den Aufsichtsbehörden abgestimmt. So soll eine Aufsichtsarbitrage zwischen den verbleibenden EU-Ländern verhindert werden.
Finanzplatz London nicht kurzfristig ersetzbar
Deutlich wird mittlerweile auch, dass kein EU-Land über Nacht den Finanzplatz London vorläufig ersetzen wird. Dies liegt unter anderem auch daran, dass Unternehmen des Vereinigten Königreichs immer noch nicht an das endgültige Ende der EU-Mitgliedschaft glauben oder aber zumindest die Folgen in ihrer ganzen Tragweite nicht akzeptieren wollen.
So wird versucht, neu zu errichtende Institute mit einer Minimalzahl an Mitarbeitern, die das Geschäft vor Ort durchführen sollen, aufzubauen. Hierzu sind in den vergangenen Monaten vollkommen neue Modelle entstanden, um letztlich die Mitarbeiter in London zu halten. Dual hatting – also die Anstellung bei einem Institut im Vereinigten Königreich und die gleichzeitige Anstellung bei einem Institut in der EU – ist nur ein Modell von vielen, welches die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die notwendige Substanz testet. Auch das Outsourcing ist und bleibt in diesem Zusammenhang ein schwieriges Thema, mit dem sich die EU jetzt schon mehrfach befasst hat, um Maximalgrenzen zu definieren.
Bafin hat rechtliche Probleme im Blick
Trotzdem versucht die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bafin aktuell, den Akteuren den Übergang im Rahmen des rechtlich Möglichen zu erleichtern. Aktuell hat sie die "gepassporteten" Unternehmen aus dem Vereinigten Königreich nochmals auf die Folgen in einem Anschreiben hingewiesen. Angedeutet wurde zum Beispiel auch, dass für einen Übergangszeitraum das Reporting nach den englischen Vorgaben für Institute akzeptiert wird.
Vermutlich wird der Brexit aus dieser Perspektive eine langfristige Entwicklung nach sich ziehen, wobei noch nicht absehbar ist, in welchem Umfang einzelne Märkte tatsächlich profitieren werden – wenn man angesichts des Brexits überhaupt von einem Gewinn sprechen kann.
Autor(en): Jochen Kindermann