Ob die IDD zu einer neuen Qualität an Anforderungen an die Versicherungswirtschaft geführt hat, und welche Pflichten Versicherer gegenüber ihren Vertretern haben, wurde beim 7. Symposium zum Versicherungsvertriebsrecht sehr strittig diskutiert.
Die Forschungsstelle für Versicherungswesen der Universität Münster, der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute e.V. (BVK) und die Anwaltskanzlei Friedrich Graf von Westphalen hatten letzte Woche schon zum siebten Mal illustre Redner eingeladen, vertriebsrechtliche Fragen mit Unternehmensjuristen, Anwälten, Richtern, Aufsehern und Wissenschaftlern zu diskutieren. Moderiert wurde die Veranstaltung durch Petra Pohlmann, Professorin an der Universität Münster und BVK-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Eichele.
Direktvertrieb als Konkurrenz zur Ausschließlichkeit
Ein aktueller Aufhänger für die erste Diskussionsrunde war der vor rund zwei Wochen erfolgte Start der Allianz Direct als dem neuen, internationalen Direktvertriebsarm des Allianz-Konzerns. Für die Allianz verteidigte Christian Sperling diese strategische Entscheidung, der eigenen Ausschließlichkeitsorganisation Wettbewerb zu machen. Zwar habe ein Versicherer Treuepflichten gegenüber seinen Vertretern, aber diese gehen nicht so weit, dass er ein Wettbewerbsverbot beachten muss.
Als Erfolgsfaktoren für ein gelungenes Nebeneinander von Direkt- und stationärem Vertrieb nannte er unter anderem die frühzeitige Einbeziehung der Vertreterschaft, die Ansprache unterschiedlicher Zielgruppen, die Überleitung von Onlinekunden zwecks Cross-Selling in den stationären Vertrieb sowie den Bestandsschutz.
Dass die Vertreter Cross-Selling bei Onlinekunden erreichen, bezweifelte allerdings Ulrich Zander, der nicht nur als BVK-Vizepräsident, sondern auch als Allianz-Vertreter von dem neuen Vertriebsweg betroffen ist. "Das höre ich seit 40 Jahren, aber es hat noch nie richtig funktioniert", meinte er.
Auch Rechtsanwalt Jürgen Evers empfahl die frühzeitige Einbindung der Ausschließlichkeit in Pläne für einen neuen Direktvertrieb und bestätigte wie schon vor ihm Graf von Westphalen, dass der Versicherer zumindest keinen ruinösen Wettbewerb wie eine Begrenzung der Vertreter auf die Bestandspflege oder eine systematische Unterbietung der Preise betreiben darf. Am besten sollten vertragliche Vereinbarungen getroffen werden.
Keine neuen Pflichten gegenüber dem Kunden
Dass Vermittler und Aufseher in Europa keineswegs immer einer Meinung sind, wurde während der zweiten Diskussionsrunde am Schlagabtausch zwischen Nic de Maesschalck, als BIPAR-Direktor sozusagen oberster Lobbyisten der europäischen Vermittlerschaft, und David Cowan von der Europäischen Versicherungsaufsicht EIOPA deutlich. Maesschalck erläuterte in seinem Vortrag zum Thema "bestmögliches Interesse der Kunden", dass die deutsche Übersetzung eigentlich viel zu weit geht und einen Superlativ formuliert, der sich weder wortgleich in der englischen und der französischen IDD-Version noch in der Entwicklungsgeschichte dieses Prinzips wiederfinden lässt. Er warnte die Anwesenden davor, dass Gerichte dies zu weit auslegen und Unmögliches von der Versicherungsbranche verlangen könnten.
Cowan hingegen wies darauf hin, dass sich das Prinzip des bestmöglichen Interesses durch die gesamte Richtlinie hindurchziehe. Die Branche sollte dem Geist und nicht nur dem Wort folgen. Ursprung sei aber gar nicht so sehr ein übertriebenes Verbraucherschutzverständnis, sondern viel mehr der Gedanke der Wettbewerbsgerechtigkeit ("Level Playing Field") zwischen den Vertriebswegen gewesen - anknüpfend an die vorherige Diskussionsrunde sollte zum Beispiel gerade verhindert werden, dass Onlinevertriebe geringeren Anforderungen unterliegen als personale Vertriebe. Er gestand aber zu, dass es Widersprüche in der Richtlinie gibt.
Europarechtswidriges Verzichtsrecht
Solche Widersprüche weist allerdings auch die deutsche Umsetzung der IDD auf, machte Maximilian Teichler, Rechtsanwalt und früheres Mitglied der VVG-Reformkommission, am Beispiel der Beratungspflichten deutlich. Während Europa einen zwingenden Wunsch- und Bedürfnistest verlange, der fakultativ sowie passend zum Vertriebsweg durch die Beratung im engeren Sinn ergänzt werden kann, aber nicht muss, gehe das deutsche Versicherungsvertragsgesetz (VVG) weiter von einer umfassenden Beratungspflicht aus. Das wäre auf den ersten Blick besser als in der IDD gefordert, gäbe es nicht das Verzichtsrecht. Denn der Verzicht wirke wohl keineswegs nur auf die Beratung im engeren Sinn, sondern auch auf die Standards für den Vertrieb ohne Beratung laut IDD. Teichlers Fazit: "Der Verzicht ist europarechtswidrig."
Kritik an der deutschen Umsetzung des IDD-Prinzips des bestmöglichen Kundeninteresses übte auch Christian Rüsing, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Münster, aber aus einer anderen Perspektive. Seiner Meinung nach gibt es eine Aufsichtslücke. Denn während die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht die Versicherer zu überwachen hat, ob sie im bestmöglichen Kundeninteresse handeln, fehlt ein solches Mandat in Bezug auf die Vermittler. Allenfalls die örtlichen Gewerbeämter oder Ordnungsbehörden könnten in Frage kommen, aber "in der Praxis wird keine Ordnungsbehörde ein VVG lesen".
Aus berufsständischer Perspektive machte Hubertus Münster, Geschäftsführer des BVK, auf eine andere Problematik aufmerksam. Er zitierte aus Rundschreiben von Versicherungsunternehmen an deren selbstständige Vertreter und kritisierte, dass dort teilweise aus der IDD abgeleitete Pflichten gegen über dem Versicherer behauptet würden. Er appellierte an die Unternehmen, sensibler vorzugehen und die Selbstständigkeit der Partner zu achten.
Autor(en): Matthias Beenken