Die Corona-Pandemie stellt Vieles in Frage, was noch bis vor wenigen Tagen und Wochen als selbstverständlich schien. Nach der Krise wird die Frage zu stellen sein, was man aus ihr lernen konnte.
Mit geradezu atemberaubender Geschwindigkeit wird die bürgerliche Normalität eines freien Landes und einer freien Wirtschaft außer Kraft gesetzt. Noch bis Mitte März gab es Vermittlertagungen, Fachveranstaltungen, Präsenzvorlesungen und anderes mehr – seither findet nichts mehr mit körperlicher Präsenz statt. Seit Anfang März spürten Versicherungsvermittler erste Zurückhaltung bei Kunden angesichts einer zunehmend deutlich werdenden Ansteckungsgefahr mit dem neuartigen Coronavirus. Zwei Wochen später ist nahezu kollektiver Stillstand angesagt.
Das Ende ist derzeit nicht absehbar. Die Folgen für die Wirtschaft sind aber schon jetzt gravierend, selbst bei einem optimalen Verlauf der Pandemie, der eine baldige Lockerung der Beschränkungen der Bewegungsfreiheit und eine Wiederaufnahme der Produktion in vielen Branchen erlauben würde.
Freizeit als Bildungszeit nutzen
Aber in einer Krise stecken auch immer Chancen. So werben beispielsweise einige Bildungsanbieter damit, die Zeit ohne physische Kundenkontakte zu nutzen, um Bildungszeiten zu absolvieren. Web Based Trainings und andere Formen des E-Learnings machen es möglich, die Weiterbildungsverpflichtung aller im Versicherungsvertrieb Tätigen abzuarbeiten.
Überhaupt steht nun die Digitalisierung zum ersten Mal nicht mehr nur als ein Schön-Wetter-Konferenzthema im Raum, sondern als nackte Notwendigkeit, um den Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten. So werden plötzlich zahlreiche Kundengespräche per mobiler oder sonstiger Internet-Videotelefonie erledigt.
Kundentermin per Video
Darin steckt die Chance, doch eher zögerliche Vermittler wie auch zurückhaltende Kunden innerhalb weniger Wochen daran zu gewöhnen, dass eine Versicherungsberatung keineswegs nur vor Ort mit körperlicher Anwesenheit durchführbar ist. Im Gegenteil, der Zwang zum virtuellen Kontakt erspart viele Fahrzeiten und Fahrkosten. Vielleicht kann in Zukunft auch der eine oder andere Dienstwagen etwas kleiner und sparsamer ausfallen, wenn man ohnehin nur noch selten zum Kunden fährt. Das Klima wäre dankbar dafür.
Die Krise legt schonungslos offen, welche Betriebe in guten Zeiten vorgesorgt haben. Das fängt bei der organisatorischen Vorbereitung an. Der hoffentlich virtuelle Notfallordner, in dem mehrere Personen notwendige Unterlagen und Zugriffsdaten finden, wenn der Inhaber/die Inhaberin oder einzelne wichtige Mitarbeiter/-innen des Vermittlerbetriebs nicht in der Lage sind ihre Tätigkeit fortzusetzen. Die Notfallpläne, mit deren Hilfe alle Mitarbeitenden des Vermittlerbetriebs in der Lage sind, auch von zuhause aus einen Notbetrieb aufrecht zu erhalten und hilfesuchenden Kunden Auskünfte zu geben. Eine moderne und mobile Technik, die den jederzeitigen Rückzug ins Home Office erlaubt, gehört dazu.
Wert der Rücklagen
Weiter kommt es auf die finanzielle Vorsorge an: Rücklagen, die es über mehrere Monate ermöglichen, die Fixkosten und die notwendigen Privatentnahmen des Betriebs zu tragen. In vielen Branchen gibt es Solo- und Kleinstselbstständige, denen ohne solche Rücklagen das Wasser bald bis zum Hals steht.
Versicherungsvermittlern geht es vergleichsweise recht gut. Jedenfalls, wenn sie sich immer schon für das Sachversicherungsgeschäft interessiert und Bestandsprovisions-pflichtige Bestände aufgebaut haben. Das bricht nicht nur in einer Pandemie, sondern auch in normalen Zeiten nicht so plötzlich weg wie die Abschlussprovisionen, wenn es eine Flaute bei der Nachfrage nach neuen Lebens- und Krankenversicherungen gibt.
Versäumnisse rächen sich
Auch im Verhältnis zu den Versicherungsunternehmen sind Fragen zu beantworten. Das Thema technische Anbindung für ein reibungsloses Online-Arbeiten ist eines, das rund 25 Jahre nach dem beginnenden Siegeszug der Agentursysteme immer noch nicht durchweg zufriedenstellend gelöst wurde, jedenfalls im Makler- und Mehrfachvertretervertrieb. Es lief ja bislang auch so ganz gut, mögen auf beide Seiten (Versicherer wie freie Vermittler) oft genug gedacht haben – das rächt sich.
Oder dass es immer noch erkennbar in vielen Bereichen ein „Höher-schneller-weiter“-Denken im Vertrieb gibt, anstatt auf Nachhaltigkeit und damit auch auf stabile Kundenbeziehungen zu setzen. Der unsichtbare Virus könnte mehr bewirken als die sichtbare Regulierung.
Pandemiebekämpfung bei Finanzvermittlern
Stichwort Regulierung: Erstaunlich ist, dass die Bundesregierung trotz einer massiven Zuspitzung der medizinischen und der wirtschaftlichen Krise am 11. März noch die Zeit gefunden hat, ein BaFin-Aufsichtsübertragungsgesetz für Finanzanlagenvermittler und Honorar-Finanzanlagenberater zu beschließen. Als ob das Wohl und Wehe der deutschen Volkswirtschaft daran hängt, ob die freien Fondsvermittler von einer Landesbehörde Industrie- und Handelskammer oder der Bundesbehörde BaFin beaufsichtigt werden.
Wenn man etwas aus der Krise lernen kann, dann insbesondere, Wichtiges von Unwichtigen zu trennen, und Sachlich-Begründbares von Ideologisch-Motiviertem. Das BaFin-Übertragungsgesetz gehört ebenso zur jeweils zweitgenannten Kategorie, ebenso wie ein weiteres Lieblingsvorhaben des Bundesfinanzministers, der Provisionsdeckel auf Altersvorsorgeprodukte. Aber vielleicht werden nun selbst im Bundesfinanzministerium Umorganisationen vorgenommen und der Rettung der mittelständischen Wirtschaft, der Versorgungssicherheit und der Sicherheit von Banken und Versicherungsgesellschaften Vorrang vor solch überflüssigen Anliegen gegeben. Denn nach der Krise dürfte sich gerade der Bundesfinanzminister über jeden Vermittlerbetrieb freuen, der noch arbeitsfähig ist, sich um seine Kunden kümmert und Steuern zahlt.
Auch eine Zeit der Besinnung
Noch ist längst nicht absehbar, welche weiteren Folgen die Corona-Pandemie hat. Klar ist, dass sich manche Selbstverständlichkeit in Luft aufgelöst hat. Es ist damit auch eine Zeit der Besinnung, wie es danach weitergehen wird.
Autor(en): Matthias Beenken