Die Lebensversicherungsbranche muss ihre Kund*innen zu Nachhaltigkeitspräferenzen befragen und sie über Nachhaltigkeitsmerkmale der Angebote informieren. So fordert es die EU. Doch die guten Absichten verlieren sich in den schwer verständlichen Formulierungen und europarechtlichen Vorgaben. Eine einfachere, lebensnahe Sprache und „Nudging“ könnten helfen, die Kund*innen für mehr Nachhaltigkeit zu begeistern. Das konnten Forschende der Fachhochschule Dortmund in einer umfangreichen Studie belegen.
Die Europäische Union möchte bis 2050 klimaneutral werden und eine umfassende Transformation der Wirtschaft erreichen. Zur Finanzierung sollen in großem Umfang private Mittel umgeschichtet werden, die unter anderem in privaten Lebens- und Rentenversicherungen gebunden sind. Deshalb müssen bereits seit 2022 Kundinnen und Kunden vor dem Versicherungsabschluss gefragt werden, ob sie einen Mindestanteil an Taxonomie-konformen Anlagen oder einen Mindestanteil an ökologisch und/oder sozial nachhaltigen Anlagen gemäß Offenlegungsverordnung wünschen. Letzteres wird unter der Abkürzung „ESG“ (Environment, Social and Governance) zusammengefasst. Auch soll erfragt werden, ob konkrete Beeinträchtigungen auf Nachhaltigkeit explizit ausgeschlossen werden sollen.
„Die Begriffe sind für Laien schwer verständlich, und selbst Fachleute können kaum den Unterschied zwischen Taxonomie- und ESG-konformen Anlagen erklären“, sagt Professor Dr. Matthias Beenken. Er lehrt Versicherungswirtschaft an der FH Dortmund und stammt aus der Branche. „Dazu kommt das Enttäuschungspotenzial, denn nachhaltigkeitsinteressierte Kunden wünschen verständlicherweise hohe Mindestanteile, die aber am Markt so noch gar nicht verfügbar sind“, ergänzt sein Kollege Professor Dr. Lukas Linnenbrink, Stiftungsprofessor für Versicherungs- und Risikomanagement an der FH Dortmund. Auch er hat viele Jahre in der Branche gearbeitet.
"Das liest niemand und das hilft niemandem“
Die europarechtlich bis in Layout-Details festgeschriebenen Pflichtinformationen zu den Nachhaltigkeitsmerkmalen der Angebote helfen ebenfalls nicht weiter. „Das beginnt schon damit, dass sie mit ‚Finanzprodukt‘ statt mit ‚Versicherung‘ überschrieben werden müssen“, kritisiert Linnenbrink. Auch die teils widersprüchlich erscheinenden Pflicht-Grafiken verursachten mehr Verwirrung statt Aufklärung. Professor Beenken stellt fest: „Wir haben uns Angebote am Markt angesehen, die typischerweise um die 100 Seiten Pflichtinformationen und Versicherungsbedingungen umfassten, darunter zwischen 11 und 13 Seiten allein zum Aspekt Nachhaltigkeit – das liest niemand und das hilft niemandem.“
In ihrer repräsentativen Studie „Vertrieb nachhaltiger Versicherungen“ sind die Forschenden am Fachbereich Wirtschaft der FH Dortmund der Frage nachgegangen, ob bessere Informationen den Kund*innen helfen können, sich für nachhaltige Versicherungsanlageprodukte zu entscheiden. Gleichzeitig sollte die Wirkung von Anreizen im Beratungsprozess – auch als „Nudging“ oder „Anstupsen“ bekannt – getestet werden. Für die Untersuchungen wurde das fiktive Angebot einer fondsgebundenen Rentenversicherung für die Altersvorsorge genutzt.
Drei von zehn Kunden wünschen die nachhaltige Variante
Im Experiment mit 2.000 Probanden zeigten sich 29 Prozent am Abschluss einer nachhaltigen Rentenversicherung interessiert. Weitere 19 Prozent konnten sich auch den Abschluss einer nichtnachhaltigen Variante derselben Rentenversicherung vorstellen. Nur 23 Prozent waren sich sicher, keine der beiden Varianten abzuschließen. Der Rest wollte sich nicht festlegen.
Die Teilnehmenden wurden im Experiment in 15 Gruppen aufgeteilt, die verschiedenen Anreiz-Faktoren ausgesetzt waren: einer Vorabinformation zur Nachhaltigkeit, einer emotionale Nachhaltigkeitsbefragung, einem Nachhaltigkeitssiegel und einer Vorbelegung der gewünschten Antwort, was auch als Default-Option bezeichnet wird. Einige Gruppen wurden nur einem dieser Anreize ausgesetzt, andere einer Kombination aus mehreren. Die Kontrollgruppe hatte keine dieser Veränderungen im Beratungsablauf.
Einfache Fragen fördern das Nachhaltigkeitsinteresse
Das Nachhaltigkeitsinteresse der Kunden konnte dabei in großem Maß gesteigert werden, wenn die europarechtlich vorgeschriebene, technokratische Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen durch eine vereinfachte und emotionalisierte Ansprache ersetzt wurde. In diesen Fällen äußerten bei der Befragung vor Vertragsabschluss 60 statt nur 47 Prozent der Getesteten, an der Nachhaltigkeit ihrer Anlage interessiert zu sein. Von denen wiederum konnten sich erheblich mehr Kund*innen für ökologisch nachhaltige Anlagen im Sinn der Taxonomie-Verordnung (89 statt 54 Prozent) oder für allgemein nachhaltige, ESG-konforme Anlagen im Sinne der Offenlegungsverordnung (73 statt 58 Prozent) entscheiden.
„Die vereinfachte und emotional gehaltene Ansprache im Experiment widerspricht zwar den aktuell geltenden gesetzlichen Vorschriften“, so Prof. Beenken, „aber sie ist laienverständlich und erschließt das große Interesse in der Bevölkerung an nachhaltigen Lösungen viel effektiver. Die Europäische Union sollte die Vorschriften dringend vereinfachen, laienverständliche Fragen zulassen und den Profis der Branche die bestmögliche Umsetzung der Nachhaltigkeitspräferenzen in geeignete Produkte als Pflicht auferlegen.“
Zu viel ‚Anstupsen‘ schreckt die Kunden wieder ab
Unter den vier „Nudging“-Faktoren war die Default-Option am besten geeignet, die Kunden in Richtung der nachhaltigen Variante eines Rentenversicherungsangebots zu lenken. Die Wirkung wurde durch die Kombination mit weiteren Anreizfaktoren verstärkt. „Allerdings stimmt hier nicht die Formel ‚viel hilft viel‘, denn zu viel ‚Anstupsen‘ schreckt Kundinnen und Kunden wieder ab“, betont Professor Linnenbrink. „Insgesamt haben wir zwar nur leichte, aber doch überzeugende Wirkungen solcher Anreize messen können.“
Zugleich stellen die Autoren fest, dass der Vertrieb von Lebens- und Rentenversicherungen ohne Beratung nicht sinnvoll erscheint. „Wir konnten nur kleine Ausschnitte aus dem üblichen Beratungs- und Informationsprozess simulieren. In der Realität würden Beraterer die Kunden viel ausführlicher informieren und ihre Fragen beantworten“, sagt Professor Beenken.
Eine erfreuliche Entwicklung auf zeige sich beim Wissen in der Bevölkerung über den Zusammenhang zwischen Versicherungsanlageprodukten und der Nachhaltigkeit, so die Autoren der Studie. Der Anteil der Kund*innen, die entsprechende Werbung oder Informationen wahrgenommen haben, ist gegenüber einer vorhergehenden Studie der Fachhochschule Dortmund aus dem Jahr 2023 (DOI 10.26205/opus-3336) von sieben auf 16 Prozent (Werbung) beziehungsweise von sechs auf 14 Prozent (Informationen) gestiegen. Auch der Anteil von Kund*innen, die eine Beratung dazu erhalten haben, stieg von drei auf acht Prozent.
Hintergrundinformationen zur Studie
Die Studie „Vertrieb nachhaltiger Versicherungen“ der Autoren und Professoren der Fachhochschule Dortmund Matthias Beenken und Lukas Linnenbrink basiert auf einem Online-Experiment mit einer bevölkerungsrepräsentativ ausgewählten Stichprobe von 2.000 Personen zwischen 25 und 55 Jahren, die sich grundsätzlich den Abschluss einer - gegebenenfalls zusätzlichen - Rentenversicherung zur Sicherstellung ihrer Altersvorsorge vorstellen können. Repräsentativität besteht hinsichtlich Alters- und Geschlechterverteilung.
Die Teilnehmer stammen aus einem etablierten Panel und wurden im Juli 2024 online durch das Kölner Marktforschungsinstitut Heute und Morgen GmbH befragt. Die Datenbeschaffung wurde aus Mitteln der Forschungsförderung der Fachhochschule Dortmund finanziert. Die Studie ist hier digital und kostenfrei verfügbar.
Quelle: Fachhochschule Dortmund University of Applied Sciences and Arts
Autor(en): versicherungsmagazin.de