Im Rahmen des IDD-Umsetzungsgesetzes wurde 2017 ein Sondervergütungs- und Provisionsabgabeverbot beschlossen, das eine Ausnahme für geringwertige Belohnungen oder Geschenke zur Anbahnung von 15 Euro vorsieht. Darf dieser Betrag auch mit der Zahl der Vertragsjahre multipliziert werden?
Das Thema Provisionsabgabeverbot war Jahrzehnte lang nur in Verordnungen geregelt und hielt der modernen Zeit des Internetvertriebs nicht mehr stand. Während die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) beim Versuch, das Provisionsabgabeverbot durchzusetzen, ein Gerichtsverfahren verlor, schossen die Insurtechs aus dem virtuellen Boden des Internets. Sie lockten Neukunden mit dem Versprechen, sie an den Abschlussprovisionen zu beteiligen, oder versuchten Maklermandate für Bestandsverträge gegen Beteiligung des Kunden an den Bestandsprovisionen zu gewinnen. Manche versuchten sogar ihre Dumpingpreise wirtschaftlich mit einem Verzicht auf das Beratungsrecht des Kunden per Allgemeiner Geschäftsbedingung auszugleichen.
Die Neuregelung in § 48b Absatz 2 VAG seit 2017 sieht ein Verbot von Provisionsabgaben, sonstigen Sach- oder Dienstleistungen über den Versicherungsvertrag hinaus oder Rabattierungen auf Waren und Dienstleistungen vor, sofern sie nicht geringwertig sind. Für geringwertig hält das Gesetz „Belohnungen oder Geschenke zur Anbahnung oder anlässlich eines Vertragsabschlusses, soweit diese einen Gesamtwert von 15 Euro pro Versicherungsverhältnis und Kalenderjahr nicht überschreiten“.
Amazon-Gutschein von 50 Euro versprochen
Das Oberlandesgericht Frankfurt/Main (Beschluss vom 27.5.2021, nicht rechtskräftig, Az. 6 U 81/20, VersR 24/2021, 1544-1549) musste sich in einer wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzung mit einem Provisionsabgabe-Versprechen befassen. Ein Versicherungsvermittler hatte einen Versicherer verklagt, der Anfang 2019 auf seiner Internetseite damit warb, bei Abschluss einer Risikolebensversicherung einen Amazon.de-Gutschein von 50 Euro zu erhalten.
Da die Urteile ohne Namensnennung veröffentlicht werden, ist nicht bekannt, um welchen Versicherer es sich handelt. Allerdings findet sich im Internet zum Zeitpunkt der Recherche für diesen Beitrag eine ähnliche Werbung für die Risikolebensversicherung mit dem Hinweis „Bis zu 75 € Amazon.de Gutscheine, nur bis 31.01.“ auf der Seite eines bekannten Direktversicherers. Entweder könnte es sich um den verklagten Versicherer oder um einen Nachahmer handeln.
Wettbewerbsverstoß angenommen
Das OLG sah das Versprechen von 50 Euro als nicht mit dem § 48b VAG vereinbar an und insofern als zu unterlassendes Verhalten des Versicherers im Wettbewerb. Der Versicherer hatte sich zwar darauf berufen, dass die beworbene Risikolebensversicherung eine Mindestvertragslaufzeit von fünf Jahren habe und die Bestimmung des § 48b VAG damit sogar fünfmal 15 Euro zulassen könnte. Aber gleichzeitig hatte der Versicherer selbst auf das Recht nach dem VVG hingewiesen, dass der Kunde auch schon nach einem Jahr wieder kündigen kann. Es komme „maßgeblich darauf an, für welchen Zeitraum der Versicherungsnehmer mindestens gebunden“ sei und „nicht welche Vertragslaufzeit ursprünglich vereinbart worden ist“.
Das Gericht legt vielmehr dem Versicherer nahe, er könne seine „Prämie sukzessive pro Versicherungsjahr“ ausloben. Das OLG beruft sich auf das Ziel des Gesetzgebers, durch solche Versprechungen Fehlanreize zu erzeugen, durch die der Kunde abgehalten wird, sorgfältig über den Nutzen des angebotenen Vertrags nachzudenken und eine ausgewogene Entscheidung zu treffen. Nach Meinung des Gerichts kann die vorausgezahlte Prämie den Kunden beispielsweise davon abhalten, bei möglichen Zweifeln am Nutzen des abgeschlossenen Vertrags frühzeitig von seinem Kündigungsrecht Gebrauch zu machen.
Allerdings hat der klagende Vermittler nach Meinung des Gerichts keinen Anspruch auf einen Schadenersatz. Er konnte wohl nicht plausibel darlegen, dass er tatsächlich und ernsthaft selbst Risikolebensversicherungen vermittelt, was aber einen Schaden durch den Versicherer mit dessen Amazon-Gutscheinwerbung erst plausibel gemacht hätte.
BaFin ist erst für, dann gegen Vorabauszahlungen
Das Urteil wird in der Zeitschrift Versicherungsrecht (VersR) durch Niklas Boslak und Jonas Kliesch kommentiert, die als Unternehmensanwälte bei einem Versicherer in Köln tätig sind. Sie zeigen sich verwundert, dass das Gericht das Merkblatt der BaFin zum Sondervergütungsverbot nicht berücksichtigt habe.
Die BaFin hatte im älteren Rundschreiben 11/2018 zum Versicherungsvertrieb die Ansicht vertreten, man könne die 15 Euro mit der Zahl der Jahre der Mindestvertragslaufzeit multiplizieren. In dem Merkblatt änderte sie ausdrücklich in einem Punkt ihre Meinung. Danach sei die tatsächliche Realisierung der Zuwendung an die 15 Euro-Grenze je Kalenderjahr gekoppelt. Eine über längere Zeit versprochene Zuwendung müsse daher ratierlich ausgezahlt werden.
Die Kommentatoren interpretieren dabei die Aussage „Kalenderjahr“ als nicht identisch mit „Versicherungsjahr“ bis auf die Ausnahme des Vertragsbeginns zum 1. Januar. Daraus ziehen sie den Schluss, dass bei einem Vertragsbeginn innerhalb eines Kalenderjahrs zwei Zahlungen zu 15 Euro fällig werden könnten, weil sich das Versicherungsjahr über zwei Kalenderjahre hinziehe. Damit könnten bei fünf Jahren Mindestvertragslaufzeit sogar bis zu sechsmal 15 Euro oder 90 Euro Sonderzuwendung zulässig sein.
Die BaFin-Verlautbarungen werden als nicht für das Gericht bindend eingeordnet. Das Fazit von Boslak und Kliesch ist, dass auch der Beschluss des Frankfurter Gerichts keine Klarheit gebracht habe, wie der § 48b VAG zu interpretieren ist. Der Gesetzgeber ist ihrer Meinung nach gefordert, das Gesetz nachzubessern.
Gleichbehandlung der Versicherten?
Prüfen könnte man darüber hinaus, ob sich das Versprechen auf Sondervergütungen für bestimmte Kunden, die sich bis zu einem bestimmten Datum für eine Antragstellung entschieden und einen Aktionscode in die Internetmaske eingegeben haben müssen, mit dem Gleichbehandlungsgebot der Versicherten nach § 138 Absatz 2 VAG vereinbaren lässt. Nach der Bestimmung müssen „bei gleichen Voraussetzungen“ die „Prämien und Leistungen nur nach gleichen Grundsätzen bemessen werden“.
Und wenn es doch zulässig sein sollte, mehrjährige Zuwendungen im Voraus zu zahlen, obwohl der Kunde jedes Jahr kündigen kann, stellt sich eine weitere Frage: Ist es realistisch, dass der Versicherer die zu viel gezahlte Sonderwendung beim Kunden wieder zurückfordern kann? Die Kommentatoren des Urteils ordnen das dem unternehmerischen Risiko des Versicherers zu. Aber handelt es sich wirklich um ein unternehmerisches Risiko des Lebensversicherers, wenn uneinbringliche Forderungen zulasten der Versichertengemeinschaft abgeschrieben werden?
Die Provisionsabgaben und Sonderzuwendungen sind weiterhin ein Stein des Anstoßes. Sie können den Kunden davon ablenken, eine ausschließlich an seinen Bedürfnissen orientierte Entscheidung zu treffen.
Autor(en): Matthias Beenken